Ihr dort und ich hier

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Es ist ihr bisher noch nie etwas passiert. Aber dennoch: Die Angst ist da. Und sie macht die Welt unserer schwarzen Kollegin Hindia Kiflai Monim in Halle von Tag zu Tag enger.

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Danke! Danke, Herr Uwe-Karsten Heye. Ich habe Sie noch nie getroffen, Sie haben mich noch nie getroffen, wissen nicht einmal, dass es mich gibt. Trotzdem haben Sie mir aus dem Herzen gesprochen. Sie haben gesagt: „Es gibt kleine und mittlere Städte in Brandenburg – und auch anderswo –, wo ich keinem, der eine andere Hautfarbe hat, raten würde hinzugehen. Er würde sie möglicherweise lebend nicht wieder verlassen.“

Ja, es gibt sie: Die Gebiete in Deutschland, die ich als schwarze Frau nicht besuche, weil mir dort etwas passieren könnte. Es hat etwas Beruhigendes für mich, dass Sie diese Tatsache nicht stillschweigend zur Kenntnis nahmen, sondern auch öffentlich thematisieren. Menschen, die mich kennen, beschreiben diese No-Go-Areas etwas diplomatischer: „Da solltest du lieber nicht allein hingehen.“ Meist gefolgt von der abmildernden Bemerkung: „Ich selbst gehe da auch nicht allein hin.“
Die Sache wird nicht beim Namen genannt, es heißt nur: „Die wohnen da.“ Wer da wohnt, ist klar: Die Rechten, die mir womöglich nichts Gutes wollen, die nicht möchten, dass ich hier wohne. Und noch nie hat auch nur einer dieser Bekannten seine Einschätzung gewisser Stadtteile als „zugespitzte Äußerung“ bedauert oder gesagt, er wolle bestimmte Plattenbausiedlungen „nicht stigmatisieren“.
Trotz der No-Go-Areas lebe ich sehr gern hier. Ich kann gar nicht sagen, wie wohl ich mich fühle. Ich bin begeistert von der mir entgegengebrachten Freundlichkeit, von Soljanka und Knusperflocken. Wäre da nicht diese Angst. Diese sich einschleichende Befürchtung, mir könnte etwas passieren.
Ich lebe nicht in Potsdam oder Wismar: Ich lebe in Halle an der Saale. Ehrlich gesagt, habe ich hier noch keine Rechten gesehen. Zumindest keine, die sich als solche zu erkennen geben. Aber die Angst ist da. Nicht immer, nicht allgegenwärtig, aber doch lähmend.
„In Eisleben wurde eine 18-jährige Afrikanerin von mehreren Jugendlichen wegen ihrer Hautfarbe ins Gesicht geschlagen und beleidigt.“ Ich höre die Radio-Meldung, während ich im Büro sitze. Mein Magen zieht sich zusammen. Aber ich habe keine Zeit, mir Gedanken zu machen, was da wohl passiert ist. Ich habe zu tun und mache meine Arbeit. Klar, erschreckt es mich, aber irgendwie bin ich schon abgehärtet. Am Ende meiner Schicht laufe ich nach Hause. Da kriecht es wieder hoch: dieses ungute Gefühl in meinem Bauch.
Ich bin eine schwarze Frau, die in einer Stadt im Osten lebt. Eine innere Stimme drängt sich in den Vordergrund: Riskierst du hier dein Leben, nur um ein bisschen Karriere zu machen? Ich laufe durch die Straßen meiner neuen Heimat und versuche mich zu beherrschen. Und während ich mich meiner Wohngemeinschaft nähere, bin ich fast beruhigt und auch stolz auf mich. Ich habe eine super Lösung für dieses Problem gefunden: Ich halte mich aus euren Gebieten fern, meine Damen und Herren gewaltbereite Rechte. Ihr habt keine Lust auf mich, und wisst ihr was? Ich auch nicht auf euch! Also führe ich eine freiwillige Apartheid ein.
Ihr dort und ich hier.
Der Deutsch-Äthiopier Ermyas M., den es an Ostern in Potsdam erwischt hat, ist aus dem Koma erwacht. Die Meldung schwirrt durch die Nachrichten. Vor ein paar Wochen hörte ich von einem Mann aus Togo, der aus vermutlich rassistischen Gründen in Wismar zusammengeschlagen wurde. Zwar sind hier in Halle nur zwei Stadtteile No-Go-Areas für mich, aber plötzlich fühlt sich alles so eng an.
Sind es wirklich nur diese beiden Siedlungen, in denen die Rechten wohnen? Das sagte mir zumindest eine Kollegin. War es ein Fehler, den sicheren Westen zu verlassen und hier mein Glück zu versuchen? Diese Fragen schießen immer wieder durch meinen Kopf.
Noch in Gedanken, rufe ich meine Familie in Frankfurt am Main an, bevor sie kommen, um mich abzuholen. Meine Eltern sind Anfang der 80er Jahre als Kriegsflüchtlinge aus Eritrea nach Deutschland gekommen. Ihnen ist die Geografie Deutschlands nicht vertraut. Ich beschwichtige: Mama, hier ist alles bestens. Sätze prasseln auf mich ein. Immer wieder die Frage: Bist du sicher? Immer wieder die Antwort: Klar, mach’ dir keine Sorgen.
Ich gebe das Versprechen, mich abends nicht allein in der Stadt zu bewegen. Ich lege auf und bin plötzlich nicht mehr so zuversichtlich. Übertreibe ich, wenn ich mich doch ein wenig fürchte? Ich darf diesem Unwohlsein nicht nachgeben, ermahne ich mich.
Ich lebe seit 25 Jahren in Deutschland, also die meiste Zeit meines Lebens. Noch nie war ich in meiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Höchstens früher, als meine Eltern mir nächtlich Ausflüge verbaten. Sonst konnte ich im Westen immer tun und lassen, was ich wollte. In meiner Heimatstadt Frankfurt konnte ich überall hin. Ausflüge aufs Land waren problemlos. Der Radius, in dem ich mich bewegte, erscheint mir rückblickend riesig.
Dummerweise konnte ich mich als Journalistin beruflich nicht entfalten, und so zog ich in den Osten. Rund 250.000 Einwohner hat Halle, wunderschöne Häuser und meinen Traumjob. Schon während des Vorstellungsgesprächs fragte ich meinen angehenden Chef: Wie rassistisch ist diese Stadt? Und: Ich komme nur, wenn ich angstfrei mit der Bahn abends allein nach Hause fahren kann. Das waren angesichts der vielen anderen Bewerber um diesen Job ziemlich unbequeme Fragen. Er hat mich trotzdem eingestellt.
Doch entgegen meinen Befürchtungen lebt es sich hier in Halle hervorragend. Ich wurde bis jetzt weder angepöbelt, beschimpft noch sonst irgendwie behelligt. Aber ich bewege mich nur in einem kleinen Gebiet: in der Innenstadt und dem Stadtteil, in dem ich lebe. Manchmal bin ich neugierig, würde gern mal rausfahren und mir die Umgebung anschauen. Doch ich entscheide mich dagegen.
Vielleicht lande ich ja per Zufall in einer Nazi-Stammkneipe. Vielleicht führen die Rechten ja gerade in diesem Park ihren Pitbull aus. Lieber nicht.
Vor kurzem musste ich mein Auto in die Werkstatt bringen. Ein Kollege empfahl mir eine Werkstatt etwas außerhalb der Stadt. Weil ich mich nicht auskenne, hat mich ein Freund hingefahren. Zum Autoabholen wird er mich auch wieder hinfahren. Die Werkstatt ist zwar sehr gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar. Aber: Ich müsste in einer No-Go-Area umsteigen.
Hindia Kiflai Monim, EMMA Juli/August 2006
 

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