Ein Sommerrätsel an der Côte d’Azur

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Eigentlich wollte der Herrscher über viele Ölquellen einen Monat lang in seinem 1979 erworbenen „Château de l’Horizon“ Urlaub machen, nur in Begleitung seiner engsten Entourage von rund tausend Männern und Frauen. Die waren in seinem Palast sowie in 500 Hotelzimmern in Vier- und Fünf-Sterne-Hotels im naheliegenden Cannes untergebracht.

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In seinem Schloss am Meer hatte der 79-jährige König es sich diesmal so richtig gemütlich machen wollen: Die Baugenehmigung für seinen Aufzug zum Strand und den Privatsteg hatte er gar nicht erst abgewartet – das ist er ja auch nicht gewohnt – und den Strand hatte er kurzerhand absperren lassen. Damit ihm und den Seinen der Anblick von Frauen im Bikini erspart bleibt und seine Frauen unter der Burka munter in den Wellen spielen können.

Hatte die Polizei das Verbot der Burka schlicht vergessen...?

Kurzerhand war der ganze Strand zum königlichen Sperrgebiet erklärt worden. Schließlich ist Saudi-Arabien ein wichtiger Geschäftspartner von Hollandes Frankreich und freuen sich auch die lokalen Boutiquenbesitzer und Juweliere über die Kundschaft, deren größtes, weil eines der wenigen, Vergnügen das Shoppen ist. Damit alles ungestört verläuft, hatte die republikanische Polizei schlicht vergessen, dass in Frankreich das Tragen der Burka verboten ist. Sie hatte für Absperrung gesorgt und sogar Boote auf offenem Meer patrouillieren lassen.

Doch hatten die Herrscher von Saudi-Arabien und Frankreich die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Das französische Volk – auch 226 Jahre nach 1789 noch auf „Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit“ geeicht – spielte nicht mit. Es hagelte Proteste. Eine Petition gegen die bürgerfernen Restriktionen erreichte innerhalb von wenigen Tagen 150.000 Unterschriften. Am meisten empörte das Volk die Sperrung des Strands. Denn die Strände in Frankreich sind ausnahmslos frei! Das besagt ein Gesetz von 1986, das sich von dem 68er Slogan „Unter dem Pflaster liegt der Strand“ inspirieren ließ.

Dem Herrscher aus Nahost aber war das alles offensichtlich zu demokratisch. Er reiste mit seiner 1.000-Mann-Entourage schon nach einer Woche wieder ab. Richtung Tanger. Beim marokkanischen König wird Salman zweifellos auf Verständnis stoßen für die königlichen Extrawünsche.

Vive la France!

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Burkaverbot: Der Schrei von Djemila

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Ich habe unter den Bedingungen einer islamistischen Diktatur gelebt. Das war Anfang der 90er Jahre. Ich war noch keine 18 Jahre alt. Ich war schuldig, weil ich eine Frau war, weil ich Feministin war und weil ich für die Trennung von Staat und Religion eintrat.

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Ich muss Ihnen gestehen, dass ich nicht Feministin und Laizistin aus Neigung bin, ich bin es aus Notwendigkeit, gezwungenermaßen, aus leidvoller Erfahrung. Denn ich kann mich nicht damit abfinden, hier und überall auf der Welt den politischen Islamismus auf dem Vormarsch zu sehen. Ich bin Feministin und Laizistin geworden, weil ich um mich herum Frauen leiden sah, schweigend, eingesperrt hinter verschlossenen Türen, um ihr Geschlecht und ihr Leid zu verbergen, um ihre Sehnsüchte zu ersticken und ihre Träume zum Schweigen zu bringen.

Es gab eine Zeit, da machte man sich in Frankreich Gedanken um das Tragen des islamischen Kopftuchs in der Schule. Heute geht es um den Ganzkörperschleier. Statt den Geltungsbereich des Gesetzes von 2004 auf die Universitäten auszuweiten, diskutieren wir darüber, ob wir wandelnde Särge auf unseren Straßen zulassen sollen. Ist das noch normal? Morgen steht vielleicht die Polygamie auf der Tagesordnung. Lachen Sie nicht. In Kanada ist das passiert, und die Gerichte mussten eingreifen. Denn schließlich hat die Kultur einen breiten Rücken, wenn es darum geht, die Frauen zu unterdrücken.

Ironie des Schicksals: In mehreren Stadtvierteln habe ich festgestellt, dass die Röcke länger werden und die Farbpalette eintöniger wird. Es ist üblich geworden, den eigenen Körper unter einem Schleier zu verbergen. Einen Rock zu tragen wird nun zu einem Akt des Widerstands. Während sich die Frauen in den Straßen Teherans und Khartums unter Gefährdung ihres Lebens immer freizügiger kleiden, ist in abgelegenen Gegenden der Französischen Republik der Schleier zur Norm geworden.

Was geht hier vor? Ist Frankreich krank? Der islamische Schleier wird oft als Teil der „gemeinsamen moslemischen Identität“ dargestellt. Das ist falsch. Er ist überall auf der Welt das Symbol des moslemischen Fundamentalismus. Wenn er eine besondere Bedeutung hat, dann eher eine politische, vor allem seit dem Beginn der islamischen Revolution im Iran 1979.

Der politische Islamismus ist nicht Ausdruck einer kulturellen Besonderheit, wie hier und da behauptet wird. Er ist eine politische Angelegenheit, eine kollektive Bedrohung, die mit der Verbreitung einer gewaltverherrlichenden, sexistischen, frauenfeindlichen, rassistischen und homosexuellenfeindlichen Ideologie das Fundament der Demokratie angreift.

Wir haben erlebt, wie die islamistischen Bewegungen im feigen Einvernehmen und mit Unterstützung bestimmter Teile der Linken die tiefgehende Rückschrittlichkeit zementieren, die sich mitten in unseren Städten eingenistet hat. In Kanada wäre es fast zur Einrichtung islamischer Gerichte gekommen. In Großbritannien ist das in vielen Gemeinden bereits der Regelfall. Von einem Ende des Planeten bis zum andern verbreitet sich das Tragen des islamischen Schleiers und wird zur Gewohnheit, manche halten ihn sogar für eine annehmbare Alternative, denn er sei immer noch besser als die Burka!

Was sagen wir zu der nachgiebigen Haltung der westlichen Demokratien, wenn es um die wesentlichen Grundlagen des Zusammenlebens und des Gemeinwesens geht, um die Verteidigung des staatlichen Schulsystems, die öffentlichen Dienstleistungen und die Neutralität des Staates? Was sagen wir zum Rückzug in der Abtreibungsfrage hier in Frankreich?

Als der FIS (Front islamique du salut – Islamische Heilsfront) Anfang der 90er Jahre meine Heimat Algerien mit Krieg überzog und Tausende von Algeriern ermordete, begriff ich die Notwendigkeit der Trennung von Staat und Religion. Seitdem hat sich, wie wir heute feststellen müssen, nicht viel verändert.
Noch immer werden weltweit sehr viele Frauen erniedrigt, geschlagen, vergewaltigt, verstoßen, ermordet, verbrannt, ausgepeitscht und gesteinigt. Und in wessen Namen? Im Namen der Religion, in diesem Fall eines instrumentalisierten Islams.

Weil sie eine arrangierte Ehe oder das Tragen des islamischen Schleiers verweigern, die Scheidung verlangen oder Hosen getragen haben, Auto gefahren oder ohne männliche Erlaubnis aus dem Haus gegangen sind, müssen Frauen, sehr viele Frauen, die Barbarei am eigenen Leib erdulden. Ich denke besonders an unsere iranischen Schwestern, die auf den Straßen Teherans demonstrierten, um Ahmadinejad, einem der schlimmsten Diktatoren der Welt, Angst zu machen. Ich denke an Neda, die junge Iranerin, die im Alter von 26 Jahren getötet wurde. Wir alle sahen das Bild, wie Neda am Boden liegt und ihr das Blut aus dem Mund läuft. Ich denke an Nojoud Ali, die kleine zehnjährige Jemenitin, die nach der Zwangsverheiratung mit einem Mann, der dreimal so alt war wie sie, um das Recht auf Scheidung kämpfte und es bekam. Ich denke an Loubna Al-Hussein, die im vergangenen Sommer durch ihre Kleidungswahl die Regierung in Karthum in Angst und Schrecken versetzte.

Bereits 1984 wurde in Algerien ein Familiengesetz beschlossen, das sich an der islamischen Scharia orientierte. Ich war damals zwölf Jahre alt. Dieses Gesetz verlangt von der Ehefrau Gehorsam gegenüber ihrem Mann und ihren Schwiegereltern, erlaubt die Verstoßung, die Polygamie, entlässt die Frau aus der elterlichen Verantwortung und erlaubt dem Ehemann, seine Frau zu züchtigen. Im Erbschaftsrecht wie bei Zeugenaussagen wird die Ungleichheit zum System erhoben, denn die Stimme zweier Frauen zählt so viel wie die eines Mannes, und das gleiche gilt bei Erbanteilen.

Die Frauen in den islamischen Ländern leben unter den schlimmsten Bedingungen weltweit. Das ist eine Tatsache, die wir erkennen müssen. Darin besteht unsere oberste Solidaritätspflicht gegenüber all den Frauen, die den schlimmsten Gewaltregimen auf der Welt die Stirn bieten. Wer wollte das bestreiten? Wer wollte dem widersprechen? Wer wollte das Gegenteil behaupten? Die Islamisten und ihre Komplizen? Natürlich. Aber nicht nur sie.

Es gibt auch einen Relativismus, eine politische Tendenz, die fordert, wir müssten im Namen der Kulturen und der Traditionen Rückschrittlichkeit akzeptieren. Man verdammt die anderen dazu, Opfer zu bleiben, und behandelt uns als Rassisten und Islamgegner, wenn wir für die Gleichberechtigung der Geschlechter und die Trennung von Staat und Religion eintreten. Und dieselbe Linke empfängt mit offenen Armen Tarik Ramadan (Anm.d.Red.: Enkel des Gründers der fundamentalistischen Muslim-Brüder in Ägypten und heute einer der islamistischen Vordenker in Europa), damit er sich landauf, landab aufspielen und die republikanischen Werte niedermachen kann.

Ich sage euch: In meiner Kultur gibt es nichts, was mich als Frau dazu bestimmt, unter einem Leichentuch als dem zur Schau getragenen Symbol von Andersartigkeit zum Verschwinden gebracht zu werden. Nichts, was mich dazu prädestiniert, den Sieg eines Schwachsinnigen, eines Dummkopfs und eines Feiglings zu akzeptieren, vor allem, wenn das Mittelmaß zum Richter erhoben wird. Nichts, was mein Geschlecht darauf vorbereitet, zerstückelt zu werden, ohne dass mein Leib daran erstickt. Nichts, weshalb ich dazu ausersehen wäre, mich an Peitsche oder Stachel zu gewöhnen. Nichts, was mich dazu verurteilt, Schönheit und Lust abzulehnen. Nichts, was mich dafür empfänglich macht, die Kälte der rostigen Klinge an meinem Hals zu spüren.

Und wäre das der Fall, würde ich ohne Reue und Gewissensbisse den Bauch meiner Mutter, die Zärtlichkeit meines Vaters und die Sonne, unter der ich aufgewachsen bin, verfluchen.

Es ist möglich, die Gesellschaft durch unseren Mut, unsere Entschlossenheit und unsere Kühnheit voranzubringen. Das ist nicht leicht. Keineswegs. Die Wege zur Freiheit sind immer steile Wege. Aber es sind die einzigen Wege, die zur Emanzipation der Menschheit führen. Ich kenne keine anderen. Dieser wunderbare Moment der Geschichte, unserer Geschichte, lehrt uns, dass erdulden nicht bedeutet, sich zu unterwerfen. Denn neben den Ungerechtigkeiten und den Erniedrigungen gibt es auch den Widerstand.

Widerstand zu leisten, heißt, sich das Recht zu nehmen, das eigene Schicksal selbst zu bestimmen. Das bedeutet für mich Feminismus. Kein individuelles, sondern ein gemeinsames Leben für die Würde aller Frauen. Ich verbünde mich als Frau mit allen, die von Gleichberechtigung und von der Trennung von Staat und Religion als den Grundlagen der Demokratie träumen, und gebe dadurch meinem Leben einen Sinn.

Die Geschichte ist reich an Beispielen von Religionen, die sich über die Privatsphäre hinaus in den öffentlichen Raum ausweiten und zum Gesetz werden. Verliererinnen sind dabei immer zuallererst die Frauen. Doch nicht nur sie. Wenn Gottesgebot und Menschengesetz miteinander vermengt werden, um alles Tun bis ins kleinste zu lenken, kommt es zu einer plötzlichen Erstarrung des Lebens in seiner ganzen Vielfalt. Es gibt keinen Raum mehr für den Fortschritt der Wissenschaft, für Literatur, Theater, Musik, Tanz, Malerei, Film, kurz, keinen Raum mehr zum Leben. Nur immer mehr Rückschrittlichkeit und Verbote.

Eben deshalb habe ich eine tiefe Abneigung gegen jeden Fundamentalismus, welcher Art auch immer, denn ich liebe das Leben. Ihr müsst bedenken: Wenn die Religion Staat und Gesellschaft beherrscht, bewegen wir uns nicht mehr im Raum des Möglichen, wir können nichts mehr in Frage stellen, wir beziehen uns nicht mehr auf Vernunft und Rationalität, die der Aufklärung so wichtig waren. Es scheint mir unerlässlich, durch die Stärkung der Neutralität des Staates den öffentlichen und den privaten Raum voneinander zu trennen, denn nur die Trennung von Staat und Religion macht es möglich, einen gemeinsamen Raum zu schaffen, sagen wir, einen staatsbürgerlichen Bezugsrahmen, fern von allem Glauben und allem Unglauben, um die Zivilgesellschaft gestalten zu können.

Monsieur Gérin (Anm.d.Red.: der Bürgermeister, der die Initiative zum Verbot der Burka ergriff), ich wende mich an Sie, ich möchte mit Ihnen sprechen, Ihnen von der Angst erzählen, die ich am 25. März 1994 empfunden habe, als ich noch in Oran in Algerien lebte und die GIA (Bewaffnete islamische Gruppe) den Frauen in meiner Heimat befahl, den islamischen Schleier zu tragen. An dem Tag ging ich mit unbedecktem Kopf, wie Millionen andere Algerierinnen auch. Wir haben dem Tod die Stirn geboten. Wir haben mit den Schlächtern der GIA Versteck gespielt, und über unseren unbedeckten Köpfen schwebte die Erinnerung an Katia Bengana, eine 17-jährige Gymnasiastin, die am 28. Februar 1994 vor ihrer Schule ermordet worden war, weil sie unverschleiert war.

Es gibt Schlüsselereignisse im Leben, die dem Schicksal des Einzelnen eine besondere Richtung geben. Für mich war dies so eines. Seit diesem Tag habe ich eine tiefe Abneigung gegen alles, was Hidschab, Schleier, Burka, Niqab, Tschador, Dschilbab, Khimar oder ähnlich heißt. Heute nun stehen Sie an der Spitze einer parlamentarischen Kommission, die sich mit dem Tragen des Ganzkörperschleiers in Frankreich befassen soll.

Man täusche sich nicht. Der islamische Schleier verbirgt die Angst vor den Frauen, vor ihrem Körper, ihrer Freiheit und ihrer Sexualität. Schlimmer noch, die Perversion wird auf die Spitze getrieben, wenn man Mädchen unter fünf Jahren verschleiert. Wann genau sah ich in Algerien diesen Schleier in den Klassenzimmern auftauchen? Während meiner Kindheit und bis zu meinem Übergang auf das Gymnasium im Jahr 1987 war das Tragen des islamischen Schleiers in meiner Umgebung eine Randerscheinung. In der Grundschule trug niemand den Hidschab, nicht unter den Lehrerinnen und erst recht nicht unter den Schülerinnen.

Jetzt lebe ich seit zwölf Jahren im kanadischen Québec, dessen Devise auf allen Nummernschildern der Autos geschrieben steht: „Ich erinnere mich“. Apropos Erinnerung: Woran sollte sich Frankreich erinnern? Dass es das Land der Aufklärung war! Dass Millionen von Frauen die Bücher von Simone de Beauvoir lesen, deren Name untrennbar mit dem von Djamila Boupacha verbunden ist (Anm.d.Red.: Eine Algerierin, die während des Algerienkriegs von französischen Soldaten gefoltert wurde und dank des Einsatzes von Beauvoir freikam).

Deshalb erwarten wir gerade von Ihnen, dass Sie Mut und Verantwortungsbewusstsein zeigen und das Tragen der Burka verbieten. Und ich schließe mit einem Zitat von Simone de Beauvoir: „Wir haben das Recht zu schreien, aber unser Schrei muss auch gehört werden. Er muss bei anderen Widerhall finden.“
Ich setze meine Hoffnung darauf, dass Sie meinen Schrei hören.

Übersetzung: Sigrid Vagt

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