Femizide: Klage gegen Österreich!

Die Wiener Anwältin Sonja Aziz kämpft für die Frauen. Foto: Johannes Zinner/Parlamentsdirektion
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Der „Bierwirt“ also. Am 29. April geht bei der Polizei ein Notruf aus dem Wiener Winarskyhof ein, einem Gemeindebau. Ein Nachbar hat mitangesehen, wie eine Frau in ihrer Küche in den Kopf geschossen wurde. Die Frau wird mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht. Unweit des Hauses, bei einer Parkbank, findet die Polizei einen Mann mit nacktem Oberkörper und fast drei Promille Alkohol plus Amphetaminen intus. Dessen ehemalige Lebensgefährtin, eine 35-jährige Krankenschwester und Mutter zweier Kinder, verstirbt nur wenige Stunden nach der Attacke.

Wie sich herausstellt, handelt es sich bei dem Angreifer um den allseits bekannten und berüchtigten „Bierwirt“: Die heutige Fraktionsvorsitzende der Grünen, Sigi Maurer, hatte im Mai 2018 eine obszöne Nachricht öffentlich gemacht, die sie vom Facebook-Account seines Craftbeer-Shops erhalten hat. Der Verfasser habe vor, sie in den „fetten Arsch zu ficken“. Der Wirt zeigte Maurer wegen übler Nachrede an, erst kürzlich zog er die Anzeige zurück.

Weil der Bierwirt inzwischen fast jeder und jedem in Österreich ein Begriff ist, sorgte dieser Frauenmord für besonderes Aufsehen. Noch mehr als die brutale Attacke vom März 2021, bei der in Wien ein Mann seine Ex-Freundin in ihrer Trafik, also ihrem Kiosk, mit Benzin übergoss, anzündete und einsperrte. Passanten retteten die brennende Frau, doch einen Monat später starb sie im Spital.

Bis zum 17. Mai wurden in Österreich insgesamt bereits zwölf Frauen mutmaßlich ermordet – erstochen, erschossen, erschlagen, verbrannt oder zu Tode gewürgt. Dazu kommen mindestens fünf Mordversuche. Auf die neunmal so große Bevölkerung in Deutschland umgerechnet, wären das 105 getötete Frauen. In allen Fällen waren die Opfer Partnerinnen oder Ex-Partnerinnen der mutmaßlichen Täter, in Salzburg erschoss ein Privatdetektiv zusätzlich zur Ex-Freundin noch deren Mutter. Femizide sind in Österreich in den letzten Jahren häufiger geworden: Waren es 2015 noch 17 Frauen, so schnellte die Zahl der bekannt gewordenen Fälle im Jahr 2018 auf den bisherigen Höchststand von 41. Was ist da los? Und warum gehen einige Gewaltopfer sogar mit einer Klage gegen den österreichischen Staat vor?

GewaltschützerInnen kritisieren seit Jahren zwei Dinge: Dass die Opferschutzeinrichtungen mit viel zu wenig Geld auskommen müssen. Und: die Rolle von Polizei und Staatsanwalt schaften. „Wir haben bei jedem Femizid an die Regierung appelliert, endlich zu handeln, aber wir wurden nicht gehört“, sagt Maria Rösslhumer, Geschäftsführerin der „Autonomen Österreichischen Frauenhäuser“. Immer mehr Frauen riefen bei der Frauenhelpline an, „weil sie sich von der Polizei nicht geschützt und unterstützt fühlen“.

Der allseits bekannte und berüchtigte "Bierwirt" hat seine Exfreundin ermordet. Foto: TZOe Artner
Der allseits bekannte und berüchtigte "Bierwirt" hat seine Exfreundin ermordet. Foto: TZOe Artner

Nicht nur hat die frühere ÖVP/FPÖ-Regierung 2018 unter dem blauen, rechtskonservativen Innenminister Herbert Kickl die bewährten Fallkonferenzen eingestellt. Dabei hatten sich Beamte der Polizei und Justiz mit Opferschutzeinrichtungen gemeinsam über Hochrisikofälle beraten. Expertinnen werfen Polizei und Staatsanwaltschaften auch vor, diese würden zu wenig ermitteln (lassen), die Staatsanwaltschaften gefährliche Männer viel zu selten in Untersuchungshaft nehmen. So sind die Opfer auch dann nicht sicher, wenn die Polizei einen Gefährder wegweist – weil danach meist nichts passiert und die Männer unbetreut und unbehelligt weitermachen wie zuvor. Bei fast jedem zweiten Frauenmord des Jahres 2018 hatte die Polizei zuvor bereits ein oder mehrere Betretungsverbote ausgesprochen.

Am Ende stellen die Behörden den Großteil der Anzeigen wegen „Häuslicher Gewalt“ wieder ein. „Aus Mangel an Beweisen“, heißt es dann oft. „Dabei wäre schon viel geholfen, würde die Polizei bei Häuslicher Gewalt zumindest so genaue Erhebungen durchführen wie bei jedem Verkehrsunfall“, sagt die Anwältin Sonja Aziz. Eine ihrer Klientinnen habe der Polizei erzählt, dass sie zur Nachbarin geflüchtet sei. Doch weder habe jemand nach dem Namen der Nachbarin gefragt geschweige denn diese einvernommen.

Die kämpferische Wiener Anwältin hat für zwei Frauen Klage gegen die Republik eingereicht. Eine Frau wirft den Behörden vor, trotz jahrelanger Gewalt-Vorgeschichte den Mord an ihrem siebenjährigen Sohn durch dessen Vater nicht verhindert zu haben. Diese Klage behandelt derzeit der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg.

Der zweite Fall betrifft die Schülerin Anja (Name geändert), die zum Tatzeitpunkt wie ihr Freund erst 16 Jahre alt war.

Anjas Freund kontrolliert das Mädchen von Anfang an, er schlägt sie und schickt ihr übers Handy Drohungen. Einmal schreibt er: „messer rein messer raus messer rot anja tot.“ Nachdem er sie so fest ins Gesicht getreten hat, dass sie kurz das Bewusstsein verliert, ruft ihre Mutter die Polizei.

Die Beamten notieren Anjas Aussage, dass ihr Freund ihr drohe und ihr „bestimmt mehr als zehn Mal ... blaue Flecken an Armen und Beinen“ und „drei oder vier Mal“ im Gesicht zugefügt habe. Sie erstatten Anzeige wegen Körperverletzung und fortgesetzter Gewaltausübung. Anja wird wegen Verdachts auf Gehirnerschütterung im Spital aufgenommen.

Ein Betretungs- und Annäherungsverbot sprechen die Beamten aber nicht aus. Weitere Maßnahmen erschienen „weder indiziert noch zielführend“, da es keinerlei aktuelle Drohungen gebe. Erst neun Tage später schickt die Polizei Ladungen für die Vernehmung von Anja, deren Mutter und dem Beschuldigten, und zwar für einen Termin drei Wochen nach der Anzeige. Doch dazu kommt es nicht mehr.

Als der Junge die Anzeige erhält, will er seine Freundin zur Rede stellen. Anja geht gerade von der Schule heim, als er sie abpasst und in ihre Wohnung drängt. Mit einem Messer sticht er fünfzig Mal auf sie ein. Mehrfach durchsticht er Lippen und Wangen sowie den rechten Augapfel. „Stirb!“, ruft er immer wieder. Anja wird notoperiert, die Ärzte müssen eine abgebrochene Klinge aus ihrem Schädel fräsen. Sie kommt durch, aber ihr rechtes Auge ist zerstört. Gesicht und Hände sind stark verunstaltet.

„All das hätte verhindert werden können“, sagt Sonja Aziz – hätte die Polizei pflichtgemäß ein Betretungs- und Annäherungsverbot ausgesprochen und die Staatsanwaltschaft kontaktiert. Diese hätte den Jungen festnehmen lassen oder zu einem Antigewalttraining verpflichten können. Aziz hat daher die Republik aufgefordert, „die Amtshaftung wegen rechtswidrigen und schuldhaften Handelns der Sicherheitsbehörde anzuerkennen“. Sie will „ein Exempel statuieren: Dass der Staat verpflichtet ist, Menschen zu schützen, insbesondere wenn den Behörden bereits zahlreiche Gefährdungsmomente bekannt sind“.

Angesichts der jüngsten Femizid-Serie hat die Regierung zwei Gewaltschutzgipfel einberufen. Wieder einmal. Seit Jahren fordern die Frauen-NGOs sorgfältigere Ermittlungen und Gefährlichkeitsprognosen nach jeder einschlägigen Anzeige. Auch die Arbeit mit den Tätern werde unzureichend unterstützt und finanziert.

Die Grüne Justizministerin Alma Zadić kündigte nun einen Erlass an, wonach die Staatsanwaltschaften künftig mehr Beweise und Informationen zu früheren Vorfällen sammeln sollen.

Und die Kanzlerpartei ÖVP? Deren Frauenministerin Susanne Raab kündigte 25 Millionen Euro zusätzlich für Gewaltschutzzentren und Beratungsstellen an. Aus Sicht der Fraueneinrichtungen ein erster Schritt, aber immer noch viel zu wenig. Innenminister Karl Nehammer, ebenfalls ÖVP, verspricht, die Fallkonferenzen wiederzubeleben. Längerfristig soll es in jeder Polizeiinspektion speziell ausgebildete Ansprechpartner für Gewaltopfer geben.

Abgelehnt hat das Innenministerium aber inzwischen die Aufforderung zur Übernahme der Amtshaftung im Fall von Anja. Die „abscheuliche Tat“ sei von den „Bundesorganen bedauerlicherweise nicht zu verhindern“ gewesen. Aziz wird nun die Amtshaftungsklage einreichen.

GERLINDE PÖLSLER

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