Barbie wird fünfzig!

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Sie sehen mir über die Schulter, während ich schreibe. Meine drei Büro-Barbies, die namenlosen. Sie sitzen auf dem Regal hinter meinem Schreibtisch und schauen mir zu. Wenn ich nicht weiterkomme, stehe ich auf und drehe mich zu ihnen um. Ich nehme sie in die Hand. Lasse sie über den Schreibtisch stolzieren, auf den Bildschirm schauen, die Nase rümpfen. Mit hohen Stimmen sprechen: "Mehr fällt dir dazu nicht ein?" Barbies sind nun mal keine lieben Mädchen.

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Vielleicht ziehe ich sie um. Tausche ihre Schuhe. Eine von ihnen hat flache Füße. Die anderen beiden haben diese seltsamen Stümpfe am Ende ihrer Endlosbeine, die mit ein Grund sind, warum meine Mutter mir damals keine kaufen wollte. Keine Barbie. Die Füße, die Taille, der Busen: Ich sollte keine unrealistischen Vorstellungen bekommen vom Frauenkörper, den ich selber noch nicht hatte. Ich sollte nicht denken, ich würde eines Tages so aussehen müssen. Eine verbreitete Sorge und eine Beleidigung der Intelligenz ­kleiner Mädchen überall auf der Welt. Wir sind doch nicht blöd!

"Ach nicht? Dann schreib doch mal was!"

Ich frisiere sie um – die eine hat eine Afrokrause, die seit der Überfahrt im ­Zügelcontainer vor drei Jahren einseitig flach ist, die andere eine Art Stickgarnhaar, das beim Kämmen leicht ausfällt. Ich flechte Zöpfe. Dabei falle ich in eine Art meditative Trance. Und plötzlich geht es weiter im Text.

Barbie wird dieses Jahr fünfzig. Barbie hat eine Midlife-Krise, das ist die Medienmeldung, die überall vervielfältigt wird. Barbie braucht ein Lifting. Damit sie auch für ältere Mädchen wieder attraktiver wird, für das "verlorene Marktsegment". Mit ­älteren Mädchen sind die über Fünfjährigen gemeint. Die sich lieber mit cooleren Puppen, mit Bratz und so was, abgeben. Da muss ich etwas verpasst haben: Meine letzte Barbie-Puppe habe ich vor zwei Jahren gekauft, da war ich 43 Jahre alt. Sie kam mit einem Pferd. Das Pferd hat einen auswechselbaren Kopf. Passend zur Reiterin, blond oder brünett.

Die Gedanken, die einem dabei kommen, wenn man den Kopf auswechselt. Die könnte man direkt philosophisch nennen.

Ich war längst erwachsen, als ich im Spielzeuggeschäft stand, unter den rosa Schachteln nach einem Geschenk suchte und mir plötzlich bewusst wurde: "Hey du darfst. Du kannst. Du bist erwachsen." Seither kaufe ich mir immer wieder mal eine neue Puppe, ein Set Kleider, ein paar Glitzerspangen, die auch in die ­Pferde­mähne passen.

"Ich will eine Barbie!" Um meine erste Barbie-Puppe musste ich kämpfen. Meine Mutter hatte eine lange Liste pädagogischer Einwände, siehe oben. Doch dann kam meine Chance. Ich war acht Jahre alt und lag mit einem gebrochenen Hinterkopf im Kinderspital. Mit meinen Nieren war auch irgendwas. Es sah nicht gut aus. Meine ­Eltern saßen an meinem Bett. Meine Mutter, glaube ich, weinte. Jetzt oder nie. Ich schloss die Augen. Ich flüsterte, nein, ich hauchte: "Ich will eine Barbie!"

Zwei Stunden später hatte ich sie. Sie hatte ebenfalls ein Loch im Hinterkopf bis heute frage ich mich, ob sich mein Vater, der mit dem Taxi zum nächsten Spielzeugladen gerast war, etwas dabei ­gedacht hatte oder ob er, was wahrscheinlicher ist, einfach die erstbeste rosa Schachtel aus dem Regal gegriffen hatte. Durch ihr Loch im Kopf wuchs, im ­Gegensatz zu meinem, ein Pferdeschwanz, den man nach Belieben länger und kürzer machen konnte. Indem man ihn in den Kopf zurückstopfte. Auch das: Anlass zu philosophischen Grundsatzfragen.

Jahrelang spielte ich mit ihr, mit ihr und mit meiner besten Freundin. Wir bauten Häuser und Theaterbühnen, wir strickten mit Zahnstochern und Lurexgarn die verruchten Roben, die das Spielwarengeschäft nicht anbot. Mit Barbie-Puppen spielt man nun mal nicht einfach das ganz normale Leben nach, so wie man es vor der Nase hat. Mit Barbies spielt man sich ganz von allein in andere ­Dimensionen. Gerade, weil sie so surreal aussieht, so außerirdisch, ist doch klar.

Die Puppe meiner besten Freundin war eine berühmte Schauspielerin, die von Verehrern verfolgt wurde, zum Beispiel von Elton John, der ihr lange Briefe schrieb. Meine Barbie war ihre Sekretärin, die diese Briefe beantwortete. Ihre stand auf den aus Karton ausgeschnittenen Bühnen der Welt, meine fabulierte derweil auf vielen Seiten die wilden Verwicklungen zusammen, die eine Verbindung mit Elton John unmöglich machten. Alles sehr aufregend. Jahrelang spielten wir so. Die Puppen waren die Ersten, die es wussten: Sie wollte Schauspielerin werden, ich wollte schreiben. Und nachdem wir es lange genug ­gespielt hatten, setzten wir es um.

Die oft geäußerte Befürchtung, das Spielen mit Barbie-Puppen führe zur Beschränkung des weiblichen Ehrgeizes auf eine Taillenweite, für die man auf innere Organe verzichten müsste, ist nicht nur unbegründet, sondern auch leicht zu widerlegen.

Meine Freundin L. zum Beispiel hatte ­früher 52 Barbie-Puppen. In Worten: zweiundfünfzig. L. ist dreißig Jahre jünger als ich. Sie hat die eidgenössische Matur gemacht, weil ihr das Gymi zu langsam war, und studiert jetzt Medizin. Und was hat sie mit ihren 52 Barbie-Puppen gespielt? Genau: Spital. Operation, Amputation, ketchupverschmierte Verbände. "Diese seltsamen Kugelgelenke konnte man super ein- und ausrenken!"

Sich ausprobieren. "Was wäre, wenn ..." spielen. "Ich wär' eine berühmte Schauspielerin und du ..." Die Welt größer und glitzernder denken, die eigenen Grenzen sprengen. Dafür gibt es viele Methoden, viele Namen. Ich sage: Dazu braucht man Barbie.

"Ach ja? Dann beweis es doch. Und schreib mal diesen blöden Text fertig!"

Von der Schriftstellerin erschien zuletzt "Flowers in your hair" (Blessing)

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