Gewalt an Schulen eskaliert
„Du hast mir gar nichts zu sagen, du Fotze. Ruf doch meinen Vater an! Der macht dich so richtig fertig. Wir machen euch alle fertig!“ So redete Hakim H. mit seiner Lehrerin, holte sein Springmesser aus der Hosentasche und rammte es in den Tisch. Der Sechzehnjährige bekam einen Schulverweis. Sabine F., seine Lehrerin an einer Gelsenkirchener Gesamtschule, hat seitdem Angst im Klassenzimmer.
Kein Einzelfall. Die Gewalt an Schulen steigt seit Jahren. Nicht nur unter den SchülerInnen, sondern auch gegen LehrerInnen. Anfang September wurde eine Lehrerin in Essen mit einem Messer angegriffen und schwer verletzt. Der Täter - ein 17 Jahre alter Kosovare - wurde später gefasst.
Verbale und körperliche Gewalt, Cybermobbing und psychische Gewalt stehen mittlerweile an der Tagesordnung. Statistiken aus 14 Bundesländern belegen eine zunehmende Verrohung. Für 2024 wurden 27.000 Gewaltdelikte gemeldet. Das sind etwa 1.500 Fälle mehr als im Vorjahr. Besonders die Zahlen aus Baden-Württemberg schockieren. Dort sind laut Innenministerium im vergangenen Jahr fast 2.800 SchülerInnen Opfer einer Straftat geworden. Bedeutet: Jeden Tag werden 15 Jungen und Mädchen auf dem Schulgelände geschlagen, bedroht, beleidigt oder sexuell herabgewürdigt. Ein Anstieg von 46 Prozent im Vergleich zu 2018.
157 Pädagoginnen wurden 2024 in Baden-Württemberg drangsaliert
Noch erschreckender ist die Zunahme der Gewalt gegenüber LehrerInnen. Vergangenes Jahr wurden in Baden-Württemberg 157 PädagogInnen von zumeist männlichen Schülern verletzt, beschimpft oder gemobbt – ein Plus von 158 Prozent.
Die ausufernde Gewalt mussten zwei Schüler mit ihrem Leben bezahlen. Im November 2023 wurde der 15-jährige Pawlos an der Offenburger Waldbachschule von einem Mitschüler erschossen. Zwei Monate später starb die 18-jährige Lilli in St. Leon-Rot durch einen Messerstich.
Laut einer Umfrage des Verbands "Bildung und Erziehung" sind nicht nur Schüler, sondern auch Eltern für die zunehmende Verrohung verantwortlich. SchulleiterInnen berichteten, dass Eltern bei Gesprächen mit LehrerInnen handgreiflich werden. Zugleich erklärte jedeR zweiteR SchulleiterIn, dass Gewalt an Schulen ein Tabu-Thema in der öffentlichen Diskussion sei.
Viele SchulleiterInnen haben den Eindruck, dass die politisch Verantwortlichen die Gewaltvorfälle tabuisieren – um nicht in die rechte Ecke gestellt zu werden. „Natürlich haben nicht alle Täter einen Migrationshintergrund, es gibt auch genug deutsche unter ihnen“, sagt Sabine F. aus Gelsenkirchen. Aber zur Wahrheit gehöre auch, dass die Gewalt an Schulen mit Kindern aus vorwiegend migrantischen Milieus besonders hoch sei. „Viele unserer Schüler mit muslimischem Migrationshintergrund sehen Frauen nicht als gleichwertige Menschen an. Wir erleben eine migrantische Gewaltkultur. Und die beeinflusst natürlich auch alle anderen“, sagt sie ernüchtert. Besonders leid täten ihr migrantische SchülerInnen, die mit dem Islam nichts am Hut hätten und von ihren Mitschülern als „Ungläubige" drangsaliert würden, wie es auch jüngst im Ramadan geschehen sei.
Aber auch deutsche Schüler gehören zu den Tätern. Theresa W. ist Lehrerin an einem Hamburger Gymnasium. Ein Schüler von ihr, der sich ungerecht benotet fühlte, hat ihren Kopf in einen Deep-Fake-Porno geschnitten und das Video an der ganzen Schule verteilt. „Auf dem Schulhof wurden hinter mir über Wochen Stöhnlaute gemacht. Jemand hat Gleitgel auf mein Pult geschmiert“, sagt sie.
Hinzu kommt das sogenannte Cybermobbing. „Social Media macht die Kinder kaputt“, klagt Theresa W. „Sie mobben sich gegenseitig auf Instagram und mobben auch uns Lehrerinnen.“ Wie Theresa W. sind viele LehrerInnen nicht nur für ein Handyverbot an Schulen, sondern auch für ein generelles Social-Media-Verbot für Kinder bis 16, wie Australien es umsetzen will. Europäische Länder wie Frankreich, Großbritannien oder die Niederlande erwägen dies ebenfalls. Auch Hessen und Bayern wollen mit einem Handyverbot an Schulen anfangen, die Gewalt einzudämmen. (Mehr dazu hier!)
Eltern wissen oft nichts von der Parallelwelt, in der Kinder unterwegs sind
Gegen Kanäle wie Instagram und TikTok als Treiber von Gewalt zieht bundesweit auch die Schulleiterin Silke Müller aus Oldenburg zu Felde. Mit ihrem Buch „Wir verlieren unsere Kinder“ hat sie die Diskussion über Gewalt an Schulen in den Medien in Gang gebracht. „Wenn ich Eltern darauf anspreche, was wir auf den Handys ihrer Kinder gefunden haben, sind sie geschockt“, sagt sie im EMMA-Interview.
Die ausufernde Gewalt an Schulen ruft in NRW nun die Polizei auf den Schirm. Die NRW-Landesregierung testet an 20 Schulen ein neues Konzept gegen Gewalt. Dort sollen PolizistInnen versuchsweise auf Schulhöfe gehen, um Lehrkräfte zu stärken und Gewalt vorzubeugen.
"Immer mehr junge Menschen neigen zu Gewalt", erklärte Innenminister Reul bei der Vorstellung des Projektes und hofft auf die dringend nötige Wende in der Kinder- und Jugendkriminalität.

