Alice Schwarzer schreibt

Gibt es den falschen Körper?

Faksimile aus dem Stern vom 14.12. 2023
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Im Stern von dieser Woche ist ein Gespräch mit zwei Transmenschen erschienen: eine biologische Frau zum Mann und ein biologischer Mann zur Frau. Interviewer und Protagonisten sind sehr differenziert. Da ist der Mann, der sich schon als kleiner Junge nicht prügeln wollte, gerne Kleider anzog und von sich sagt: „Ich war ein nichtschwuler Mann mit einer weiblichen Seite.“ Und da ist die Frau, die sich schon als Jugendliche „gerne burschikos kleidete“ und mit ihren Bizeps kokettiert.

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So weit, so gut. Eine Feministin wie mich kann das nicht irritieren, im Gegenteil. Schließlich sind wir feministischen Pionierinnen seit den 70er Jahren überzeugt, dass alles, was ein Mann darf, auch eine Frau dürfen muss - und umgekehrt. Und dass ein eher „burschikoses“ Mädchen und ein „femininer“ Junge doch selbstverständlich sein sollten - und kein Grund für einen Geschlechtswechsel.

Die Geschlechtsrolle leitet sich schließlich keineswegs zwingend aus dem biologischen Geschlecht ab. Das biologische Geschlecht ist eher Vorwand für die kulturelle Zuweisung der Geschlechtsrolle. Wie schon Simone de Beauvoir so präzise geschrieben hat: „Man wird nicht zur Frau geboren, man wird es.“ Der Kampf von uns Feministinnen hat seither das Ziel, dass biologische Frauen wie Männer einfach Menschen sein dürfen, so sogenannt „weiblich“ bzw. „männlich“, wie sie Lust und Laune haben.

Die Zahl der geschlechtsirritierten Mädchen ist im ganzen Westen rasant gestiegen

Warum müssen Menschen wie Amanda und Henri, so heißen sie, dann eigentlich von der einen Schublade in die andere wechseln - statt sich einfach zu befreien vom Geschlechterklischee? Weil die kulturell bedingte Geschlechterrolle in manchen Fällen stärker ist als das biologische Geschlecht und sie ihren Körper, ihre Erscheinung zu hassen beginnen. Im Fall der beiden ist ihnen die Abweichung offensichtlich schon sehr früh bewusst geworden. Und sie scheinen beide sehr erleichtert, jetzt offiziell und sichtbar den Körper angepasst zu haben.

Das ist für die zwei Menschen und eine verschwindende Minderheit dann auch richtig. Es sollte akzeptiert und möglich sein, diese Position vertrete ich seit über 40 Jahren. Doch bei dem geplanten Selbstbestimmungsgesetz geht es um etwas ganz anderes.

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Es geht darum, dass damit Jugendlichen, die in ihrer Geschlechtsidentität verunsichert sind, wie an der Supermarkttheke angeboten wird: Du bist ein burschikoses Mädchen? Ja, dann bist du eben ein Mann! Von der einen Schublade in die andere.

Es ist kein Zufall, dass die geschlechtsirritierten Mädchen die Mehrzahl sind, 80 Prozent. Und es ist auch kein Zufall, dass ihre Anzahl in den letzten Jahren im ganzen Westen rasant gestiegen ist. Kein Wunder in einer Welt zwischen Barbie und Astronautin.

Doch statt den Mädchen im Identitätskonflikt eine „Geschlechtsangleichung“ mit lebenslangen Hormongaben und körperlichen Verstümmelungen anzubieten, sollten wir sie aufklären und ihren Frauenkäfig weit öffnen. Sie können sich auch als Frau burschikos anziehen, gerne Fußball spielen oder sich in die beste Freundin verlieben. Dafür brauchen sie kein „Mann“ zu sein.

Es wäre schön, wenn auch Amanda und Henri jenseits ihres kleinen Glücks diese große Verantwortung allen voran für unsere jungen Mädchen im Blick hätten. Wenn sie die unverantwortliche Transpropaganda - hinter der nicht zuletzt die kommerziellen Interessen der Pharmaindustrie stecken - ein wenig kritischer sehen wurden.

ALICE SCHWARZER

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