Golineh Atai: Die Mutige

Golineh Atai in Aktion. Foto: WDR
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Ein einziges Mal hat sie die Fassung verloren. Das war im April 2014, als die KorrespondentInnen von ARD und ZDF noch aus Donezk berichteten. Kurz darauf wurden sie abgezogen, weil die Kämpfe in der Ost-Ukraine nun auch um Flughafen und Bahnhof tobten und eine Evakuierung der ReporterInnen im Notfall nicht mehr gewährleistet gewesen wäre. Golineh Atai filmte eine friedliche ukrainische Demo. „Mehrere hundert Menschen hatten sich versammelt. Frauen mit Blumenkränzen im Haar und kleinen Kindern auf dem Arm. Alte Leute, junge Leute.“ Dann: der Überfall. Männer mit schwarzen Masken und kugelsicheren Westen schlagen auf die Menge ein. „Die Menschen schrieen, Leute mit ­blutigen Köpfen lagen auf der Straße.“ 

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An den Straßenrand gestellt und eine Stunde geheult

In Beirut hat Atai erlebt, wie ihr Bett von einem Bombeneinschlag wackelte; sie hat aus Syrien und Sudan berichtet und einen Dokumentarfilm über die „Eiszeit im ägyptischen Frühling“ gemacht. Aber jetzt in Donezk brach, warum auch immer, ein Damm. „Ich habe mich an den Straßenrand gestellt und eine Stunde lang geheult.“

Wer Golineh Atai dabei zusieht, wie sie im Presseclub kühl die Gefahr eines neuen Kalten Krieges analysiert oder in den Tagesthemen abgeklärt die Rolle der EU beim Arabischen Frühling kommentiert, könnte auf die Idee kommen, dass diese Journalistin dazu neigt, ihre Emotionen sicherheitshalber im Eisschrank zu deponieren. Wer aber der Deutsch-Iranerin jenseits des Bildschirms begegnet, spürt schon bei ihrem festen Händedruck und ihrem herzlichen Begrüßungslächeln, dass hier ein äußerst warmer Mensch am Werk ist. Ein Mensch, der früh gelernt hat, dass das Leben Verletzungen und ­Gefahren bereithält – und dass man sie überleben kann.

„Es gibt in meiner Generation immer weniger Menschen, die bereit sind, etwas zu riskieren und sich Gefahren auszusetzen“, bedauert Golineh Atai. „Die Werte haben sich verschoben. Das Privatleben hat einen sehr hohen Stellenwert bekommen.“ Nicht, dass man sie falsch versteht: Sie findet es „sehr schön“, dass Menschen Familien gründen. „Für mich selbst ist die Kinderfrage aber nicht sinnstiftend“, sagt Atai. Die 39-Jährige, die seit über zehn Jahren aus Kriegs- und Krisengebieten berichtet, ist auch nicht der Meinung, dass sie eine Heldin ist. Es ist nur so, dass sie aus einer Familie kommt, in der nicht nur Weltoffenheit eine Selbstverständlichkeit ist, sondern auch, dass es Werte gibt, für die es sich zu kämpfen lohnt. 

Als Golineh Atai mit ihren Eltern aus dem Iran nach Deutschland flieht, ist sie fünf Jahre alt. Khomeini hat die islamische Republik ausgerufen, und Golinehs Eltern wissen, was das bedeutet. Der Vater ist Maschinenbauingenieur und hat japanische und deutsche Freunde, die Mutter hat Englisch studiert und arbeitet bei Irans nationaler ­Ölgesellschaft. Schon die Großmutter hatte gegen alle Widerstände Abitur gemacht und arbeitet jetzt im Erziehungsministerium.

Am 8. März 1979 demonstriert Atais Mutter, gemeinsam mit aus dem Ausland um Hilfe gerufenen Frauenrechtlerinnen wie Kate Millet und Alice Schwarzer, gegen die drohende Zwangsverschleierung. Die aber ist nicht mehr aufzuhalten. „Meine Mutter hat mir damals erklärt, dass wir auch deshalb weggehen, damit ich nicht verschleiert zur Schule gehen muss“, erinnert sich Golineh Atai.

Ihre Erinnerungen an die Flucht sind „dramatisch“. Alles ist in Auflösung. Die Familie, die sich über den rechten Weg heillos zerstreitet; die Deutsche Schule in Teheran, die geschlossen wird; der Hausstand, der per Inserat auseinandergenommen wird. „Fremde haben meine Puppe mitgenommen.“ Andere Fremde rufen an und beschimpfen ihre Eltern als „Nationalverräter“.

Aus der Millionenstadt Teheran verschlägt es die Familie ausgerechnet ins 3000-Seelen-Städtchen Hoffenheim bei Heidelberg. „Weil in der Nähe deutsche Freunde gewohnt haben.“

Tochter Golineh wird Einser-Schülerin und bleibt das auch, als sie in Heidelberg Politik, Romanistik und Iranistik studiert. Bald zieht es die so früh Entwurzelte in die Welt. Nach einem Versuch bei der UNESCO stellt Golineh fest, dass Diplomatie nicht ihr Ding ist. Nach einem Volontariat beim SWR geht es rasant voran: Irak-Krieg, Studio Kairo, Libanon-Krieg. Tagesschau, ARD-Morgenmagazin. 

Es sind aufregende, aber auch ein wenig heimatlose Jahre. „Meine Eltern haben mir da wohl ihre Leerstelle weitergegeben“, vermutet die Tochter. Ihre Zelte schlägt sie schließlich doch noch auf: in Köln, wo sie beim WDR andockt. Und wo es eine große iranische Community gibt. Zusammen mit Regisseur Ali Samadi Ahadi („The Green Wave“) gründet sie hier den iranischen Kulturverein. 

Ich habe nur einen Kompass: Die Menschen- rechte!

Am 22. Oktober erhält Golineh Atai den Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis, einen der renommiertesten Journalisten-Preise. Golineh Atai bekommt ihn für ihre „ruhigen und keinen vordergründigen Zuspitzungen verfallenden Reportagen und Interviews aus der arabischen Welt und aus dem Krisenstaat Ukraine“, so die Jury. Atais Berichte vom Maidan-Platz seien „vorbildlich in ihrer sichtbaren Suche nach dem vollständigen Bild und glaubwürdig im offenen Eingeständnis, dieses Bild im Nebel der Ereignisse nicht liefern zu können“.

Die Nachricht vom Preis hat sie überrascht. „Ich konnte es zuerst gar nicht glauben.“ Warum? Weil sie, seit sie aus der Ukraine berichtet, massenhaft Schmähbriefe bekommen hat – von beiden Seiten. Sowohl von denen, die ihr Parteilichkeit für den „Despoten Putin“ vorwerfen, als auch von denen, die meinen, sie verharmlose die „faschistoide Regierung“ in Kiew. Atai: „Man hat mir gedroht, Unterschriften für meine Entlassung zu sammeln.“ Und sie, was sagt sie dazu? „Ich habe nur einen Kompass“, sagt die ­Preis­trägerin. „Und das sind die Menschenrechte.“

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Friedensnobelpreis für Malala!

Malala Yousafzai: Kämpferin für das Recht auf Bildung. - © Reuters/Luke MacGregor
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Sie galt schon im letzten Jahr als Favoritin. Dass die 17-jährige Malala Yousafzai jetzt den Friedensnobelpreis bekommt, ist ein Zeichen: Ein Zeichen gegen die fanatischen Islamisten, die den Frauen Bildung und Gleichberechtigung verweigern. Denn es war die Sehnsucht nach Bildung, die die Lehrerstochter vor zwei Jahren in Lebensgefahr gebracht hatte: Auf dem Weg zur Schule schossen Taliban im Swat-Tal dem Mädchen am 9. Oktober 2012 in den Kopf. Sie hätte es beinahe nicht überlebt.

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Eine mutige Kämpferin für Menschenrechte - und ein junges Mädchen.

Die Familie flüchtete mit Malala nach London, wo man der zunächst Gelähmten und Sprachlosen nicht nur das Leben, sondern auch die Gesundheit rettete. Seither fightet sie nicht nur weiter für das Recht aller Mädchen auf Bildung, sondern schwärmt auch für Twilight oder telefoniert schon mal mit Justin Bieber. Sie ist eben nicht nur eine mutige Menschenrechtlerin, sondern ebenso noch ein schwärmerisches, junges Mädchen.

Den Friedensnobelpreis erhält Malala Yousafzai zusammen mit dem Kinderrechtler Kailash Satyarthi. Das Komitee will mit der Ehrung einer Muslimin aus Pakistan sowie eines Hinduisten aus Indien ein Zeichen „gegen religiösen Fanatismus“ setzen.

Ministerpräsident Nawaz Sharif begrüßte die Ehrung Malalas, die der „Stolz aller Pakistanis“ sei. Die Heldin des Westens gilt in ihrer Heimat offiziell als „Netzbeschmutzerin“ und „Marionette des Westens“. Dennoch träumt Malala davon, eines Tages zurückzukehren nach Pakistan – und dort Präsidentin zu werden. Wir träumen gerne mit.

Sie bloggte schon mit elf - ermutigt vom Vater, einem Lehrer.

Das Zeug dazu hätte sie. Schon als Elfjährige hat Malala gebloggt und öffentlich kritisiert, dass die Taliban die Mädchenschulen in ihrer Heimat, dem Swat, geschlossen hatten. Der BBC bot ihr daraufhin an, auf seiner Webseite ein Tagebuch über ihr Leben als Mädchen unter der Taliban-Herrschaft zu schreiben. Der Vater, Direktor einer privaten Mädchenschule, ermutigte seine Tochter. Nun berichtete auch das pakistanische Fernsehen über Malala. Sie wurde Sprecherin eines Kinderparlaments.

Letztendlich hat dieses öffentliche Engagement Malala zwar gefährdet, aber gleichzeitig geschützt. Denn ohne ihre Bekanntheit hätte man sie nach dem Attentat wohl kaum nach London ausgeflogen, um sie zu retten. Seither wurde die Pakistanerin weltweit zum Symbol für die Mädchen- und Frauenrechte im islamischen Kulturraum. Sie hat eine Autobiografie veröffentlicht („Ich bin Malala“), den Sacharow- und den Simone-de-Beauvoir-Preis erhalten und am 13. Juli 2013 eine Rede vor der UNO gehalten. „Lass uns zu Büchern und Stiften greifen, das sind unsere mächtigsten Waffen“, sagte sie in New York. „Denn die Extremisten fürchten sich vor gebildeten Frauen.“

Bis wohin diese Furcht führen kann, sehen wir gerade mal wieder in Syrien. Da ist es gut, wenn eine Stimme wie die von Malala gestärkt wird durch einen so renommierten Preis wie den Friedensnobelpreis. Er wird Malala am 10. Dezember in Oslo verliehen.

(aktualisiert  am 13.10.2014)

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