Güner Yasemin Balci: Wütend

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Güner Balci ist wütend. Sogar sehr wütend. Über eine Stunde lang hat sie die Fragen von Moderatorin Maischberger engagiert, aber gelassen beantwortet. Sie hat erzählt, wie sehr sich das Neuköllner Viertel, in dem sie aufgewachsen ist, in den letzten zehn Jahren verändert hat. Dass die muslimischen Mädchen dort im Sommer noch nicht mal mehr im T-Shirt herumlaufen können, „weil die Väter und die Sittenwächter das nicht zulassen“. Dass sie eine Menge Mädchen kennt, die zum Kopftuch gezwungen werden, und dass „gerade diese jungen Frauen keine Lobby haben“.

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Die Berliner Journalistin mit den türkischen Wurzeln macht TV-Dokumentationen über diese Probleme und sitzt öfter in Talkshows. Sie ist es gewohnt, diese bedrückenden Entwicklungen zu schildern. Aber wie Hans-Christian Ströbele da jetzt herumschwadroniert, das bringt Güner Balci auf die Palme.

Ihre schwarzen Augen funkeln den Grünen an, der mit sorgenzerfurchtem Gesicht das „Selbstbestimmungsrecht der Frau“ in Gefahr sieht, wenn das von Balci zum Schutz der Mädchen geforderte Kopftuchverbot an Schulen eingeführt würde. Auch der Einspieler, der eine Szene aus Balcis aktueller TV-Dokumentation „Krieg im Klassenzimmer“ zeigt, scheint den Kreuzberger Bundestagsabgeordneten nicht von seinem Toleranztrip abzubringen.

Der Film, der im Juli in der ARD ausgestrahlt wurde, zeigt eine Hauptschule in Essen-Karnap. In dem Ausschnitt erklärt ein kurdischer Schüler, wie dieses Gesetz funktioniert: Wenn seine Schwester mit einem Jungen schlafen würde, würde der eben gezwungen, sie zu heiraten. „Und wenn er das nicht will, knallen wir den ab“, sagt er gelassen in die Kamera. „Und die Schwester auch.“

Glücklicherweise seien das mit den Ehrenmorden ja nur „Einzelfälle“, erklärt Ströbele. Und wenn ein Schüler so etwas sage, müsse der Lehrer eben „mal mit den Eltern reden“. Jetzt reicht es Güner Balci endgültig. „Sie leben doch in Kreuzberg, kriegen Sie eigentlich nicht mit, was um Sie herum passiert?!“ donnert sie. „Und das ist auch nicht Aufgabe des Lehrers, das wäre Ihre Aufgabe als Politiker gewesen!“

Wäre gewesen. Das klingt, als wäre der Integrations-Zug abgefahren, und wer die Filme der 35-jährigen Ex-Sozialarbeiterin anschaut und ihre Bücher „Arabboy“ und „ArabQueen“ liest, könnte tatsächlich auf die Idee kommen, dass sie das so sieht.

Güner Balci hat viel gesehen. Nicht nur bei ihren Recherchen, sondern auch in den zwölf Jahren, in denen sie im Neuköllner Mädchentreff „MaDonna“ gearbeitet hat. Sie hat die Mädchen erlebt, die auf ihrem Gang zur Mülltonne heimlich durch die Tür huschten, um ihren Familienpflichten ein paar Minuten zu entwischen. Sie hat sie nachts zum Jugendnotdienst begleitet, weil zu Hause wieder geprügelt oder ein Stiefvater zudringlich wurde. Und sie hat eine Postkarten-Aktion initiiert, die weit über Berlin hinaus Aufsehen erregte: „Ehre ist, für die Freiheit meiner Schwester zu kämpfen“ stand auf diesen Karten, die zwei junge Männer schützend vor ihren Schwestern zeigten (EMMA 6/2005).

Als MaDonna 1982 eröffnete, war Güner sieben, wohnte mit ihren Eltern und drei Geschwistern im Neuköllner Rollbergviertel und drückte sich an der Glasscheibe des Treffs die Nase platt. Grund war die Frauen-Malgruppe, die sie durch das Fenster beobachtete. Dass Güner zum Mitmachen angeblich zu klein sei, ließ sie nicht gelten. Mit ihrem Vater und ihrem Tuschekasten steht sie hartnäckig im Ladenlokal – und darf mitmalen. MaDonna ist ihre „feministische Lehrzeit“. Ihre alevitischen Eltern, die in den 1960ern aus Anatolien nach Deutschland kamen, haben nichts dagegen, dass ihre Tochter Karatekurse besucht und eine Menge über Gleichberechtigung lernt.

Später, als Güner Balci Erziehungs- und Literaturwissenschaften studiert, arbeitet sie ehrenamtlich bei MaDonna. Sie erlebt, wie immer mehr Deutsche und gebildete Türken das Viertel verlassen, wie Araberjungs und Kopftücher kommen. Mit den Jungen, die vor dem Treff herumlungern und an bestimmten Tagen auch reindürfen, ist es, gelinde gesagt, schwierig.

„Ich hab versucht, mit denen zu arbeiten, aber die verachten Frauen so sehr, dass das unmöglich war.“ Eines Tages schlägt die zarte Balci einem baumstarken Kerl, der ihre Kollegin an die Wand drückt und würgt, die Faust ins Gesicht. „Da hab ich gedacht: Jetzt ist es Zeit aufzuhören.“

Aber sie macht weiter, nur anders. 2008 verschmelzen die vielen realen Jungs zu Rashid, dem „Arabboy“ mit der steilen Karriere zum Intensivtäter. Eine „schonungslose Beschreibung eigentlich unhaltbarer Zustände“, schreibt die FAZ über den Roman. Zwei Jahre später folgt „ArabQueen“, die Geschichte von Fatme und Mariam, die vor ihrer Zwangsverheiratung flüchtet. Auch die beiden haben reale Vorbilder – bis auf das Happy End. Beiden jungen Frauen, ehemals quirlige MaDonna-Besucherinnen, ist sie später mit Kinderwagen und straff gebundenem Kopftuch wiederbegegnet.

„Das ist doch der eigentliche Rassismus“, sagt sie, „dass die deutschen Politiker hier mit zweierlei Maß messen und das einfach zulassen.“ Also hält Güner Balci gegen. Seit 2004 ein Journalist vom ZDF zu MaDonna kam und ihr, beeindruckt von ihrem Wissen und Bewusstsein, die Mitarbeit an seinem Feature anbot, macht sie Filme. Sie versucht, das zu zeigen, wovor Ströbele & Co. die Augen verschließen.

Vor einem Jahr ist Balci selbst aus Neukölln geflüchtet. Ihr einjähriger Sohn Neo soll in der Altbauwohnung in Berlin-Mitte aufwachsen, die sie mit dem Vater sowie Hund und Katze teilt. Nihat ist wie Güner in Neukölln aufgewachsen und arbeitet als Kellner, so dass er sich tagsüber um Sohn und Haushalt kümmern kann und seiner Lebensgefährtin, dem „Arbeitstier“, den Rücken  freihält.

Als Güner schwanger war, wurden die Eltern in spe gefragt: „Was wird es denn?“ Sie haben geantwortet: „Es wird ein Feminist.“ Das klingt, als ob Güner Balci durchaus Hoffnung in die nächste Generation setzt. Denn sie ist nicht resigniert. Nur wütend.

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Güner Balci: "ArabQueen" und "ArabBoy" (beide S. Fischer Verlag)
 

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