Handarbeiten: An die Nadeln!

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Berlin-Kreuzberg, zwischen türkischen Gemüseläden und Szenekneipen, im „Stitch’n’Bitch Nähcafé“: Kater Franz hat es sich auf einer Stoffbahn gemütlich gemacht, Nähmaschinen surren, Inhaberin Linda Eilers ­erzählt von ihrer Arbeit. Ab und zu wird sie von einer Kundin unterbrochen. Denn bei der gelernten Schneidermeisterin aus den Niederlanden kann man nicht nur für fünf Euro die Stunde eine Nähmaschine mieten, sondern bekommt professionellen Rat gleich dazu.

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Nach den älteren Damen kamen schnell die Jüngeren, denn Nähen, wie Handarbeiten überhaupt, ist seit einigen Jahren wieder angesagt. „Crafting“, „Do it Yourself“ (kurz DIY) oder „Marke ­Eigenbau“ heißt das heute, unter neuem Label wird wieder interessant, was Frauen eigentlich schon immer beschäftigte: Die gute alte Handarbeit.

Seit einigen Jahren wuchern die Angebote rund um das Thema Selbermachen, die mit biederen Kaufhaus-Stoffabteilungen wenig gemein haben: Näh-Enthusiastinnen können sich in Läden mit Namen wie „Siebenblau“ (hier gibt es nur fair gehandelte Bio-Ware) oder „Frau Tulpe“ eindecken, den Nähkurs gibt’s oft gleich mit. Kreative treffen sich zur „Stricklounge“, bei „Bastelpartys“ oder in der Berliner „Bastellerie“, wo neben dem Kaffee Werkzeug und Material bereitstehen.

Die Zeitschrift Cut, von drei Münchnerinnen 2009 auf den Markt gebracht, ist das Magazin zum Trend und macht dem Burda-Verlag Konkurrenz. Bei „Frau Tulpe“ in Berlin Mitte liegt das hippe Heft neben knallbunten Stoffen, die durchaus auch schon mal mit artig beschürzten Damen zwischen Kochlöffeln und Geschirr bedruckt sind. Ihre Kundschaft, so Inhaberin Tania Gehrmann, hat keine Angst, in alte Rollenmuster zu verfallen: „Schließlich nähen sie nicht, weil sie oder ihre Familien sonst nichts anzuziehen hätten, sondern, weil sie Lust haben, sich etwas Eigenes auszudenken.“ Mit Hausfrauendasein habe das nichts zu tun: „Eine kann nähen, aber dass sie kochen kann, heißt das noch längst nicht!“

Im Mainstream ist der Trend auch schon angekommen, Madonna und Julia Roberts lassen sich gern mit Strickzeug fotografieren. Letztere sicherte sich die Hauptrolle in der Verfilmung des „Friday Night Knitting Club“, einem Bestseller von Kate Jakobs („Die Maschen der Frauen“, Heyne), der von einer alleinerziehenden New Yorkerin und ihrem Strickladen ­erzählt. In Hollywoods legendärem „Knitting Circle“ der 1940er-Jahre sollen sich übrigens Stars wie Greta Garbo und Marlene Dietrich zum lesbischen Stelldichein getroffen haben. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.

Offensichtlich hat sich das Image der Handarbeit verändert. In den USA spricht man vom kritischen, ja radikalen „Crafting“. Hier treffen sich Leute zum öffentlichen Stricken, sticken in Kreuzstich „Homo Sweet Homo“ oder verbinden ihr Hobby mit politischen Zielen wie „Knitting against Bush“. Das feministische Magazin Bust unterstützt den Trend schon länger, denn immerhin entwickelte er sich im Umfeld der Riot-Grrls.

Der Punkbewegung, dem kreativen Aufruhr und alternativen Produktionsweisen nahe stehende Frauen entdeckten das Thema Kleidung und Selbermachen Ende der 1990er Jahre für sich. „Fuck Sizes“ lautet nur eins ihrer kernigen Mottos. Mit „Yarn Bombing“ knüpfen sie an die Graffiti-Kultur an und möbeln den tristen Stadtraum mit Wolle auf: Mützen auf Überwachungskameras oder pompösen Statuen, umhäkelte Gitterstäbe, hübsch bestrickte Parkautomaten und Rohre wirbeln Sehgewohnheiten durcheinander.

Die postmoderne Handarbeiterin ist nicht nur über ihren Knitting Circle oder Nähkurs mit anderen vernetzt, sie nutzt auch die Möglichkeiten des Internets: Viele bieten ihr Selbstgemachtes auf Plattformen wie Dawanda und Etsy an. Auf anderen (wie www.yarnharlot.ca oder www.subversivecrossstitch.com) werden Anleitungen ausgetauscht, fertige Stücke präsentiert oder über die politischen ­Dimensionen des Trends diskutiert.

Eine der interessantesten ist www.craftivism.com der Britin Betsy Greer, die Craft und Activism zu Craftivism verschmolz. In ihrem Buch „Knitting for Good! A Guide to Creating Personal, ­Social and Political Change, Stitch by Stitch“ bedankt sie sich bei der Zweiten Frauenbewegung, die mit ihrem Kampf um gleiche Rechte dafür sorgte, dass sie nun – mit selbst verdientem Geld – Wolle für ihre Pullover kaufen kann und drückt gleichzeitig ihren Respekt für all jene Frauen aus, die ihre Familien in ­Zeiten, als es noch keine Shopping-Malls gab, mit Selbstgemachtem einkleideten.

Vor allem aber denkt Greer darüber nach, wie Selbermachen zum kritischen, kreativen und individuellen Statement werden kann. Sie schreibt über Strickgruppen in der Nachbarschaft oder mit Strafgefangenen und darüber, dass sie Mützen für die Organisation „Afghans for Afghans“ stricke. Das sei einerseits eine klassische ­Charity-Aktion mit weiblicher Tradition, andererseits eine klare Aussage gegen einen ganz konkreten Krieg.

Hierzulande scheint die Wiederent­deckung von Nadel und Faden nicht ganz so aktivistisch abzulaufen. Die Münchner Ausstellung „Aufstand der Textilen Zeichen“ zeigte im November 2009 vor allem Arbeiten von KünstlerInnen: zum Beispiel Kleider, die Krach machen, gigantische Häkelmützen aus Wäscheleine, mit der Bohrmaschine durchlöcherte und bestickte Parkbänke oder Videodokumentationen der Münchner Yarn-Bombing-Szene.

Elke Gaugele, Professorin für Mode und Styles an der Akademie der bildenden Künste Wien sieht klare Unterschiede zu den USA: „Im deutschsprachigen Raum findet vieles statt, was sich an der Grenze zur Kunst bewegt. Die dezidiert aktivistische Verschränkung von Handarbeit und Politik ist im politischen und sozialen Klima der USA entstanden, im Kontext der Anti-Bush-Bewegung, der Friedens­bewegung gegen den Irakkrieg und des Third Wave Feminismus.“ Gaugele ist Mitherausgeberin des Buches „Craftista! Handarbeit als Aktivismus“, das jetzt erscheint und die jüngere Crafts-Bewegung in verschiedenen Beiträgen diskutiert.

Linda Eilers aus dem „Stitch’n’Bitch Nähcafé“ sagt zu den Motiven ihrer Kundschaft: „Die meisten Leute fangen mit dem Nähen an, weil sie keinen Bock mehr auf Billigklamotten haben und ­darauf, dass alle das Gleiche tragen.“ Hieraus ergäbe sich oft ein nachhaltiger Aha-Effekt: „Wenn die Leute ihren ersten Rock genäht haben, sagen sie: ‚Ich kaufe nie wieder was bei H&M, weil ich jetzt weiß, wie viel Arbeit in so einem Stück steckt. Es ist nicht möglich, dass die ­Arbeit gut bezahlt ist, wenn ich das für fünf Euro kaufen kann.‘“ Eilers: „Die meisten wissen gar nicht, woher ihre billigen Klamotten kommen, die denken einfach, dass sie aus komplett automatisierten Fabriken kommen. Das sind aber ganze Hallen voller Frauen. Die eine näht den ganzen Tag Nähte von Hosenbeinen. Das ist das einzige, was sie den ganzen Tag macht, 16 Stunden lang. Den Leuten ist nicht ­bewusst, dass sich da jemand die Augen, die Hände, die Finger kaputt macht, damit sie für 50 Euro eine Jeans kaufen können.“

Der DIY-Trend wird in aktivistischen wie theoretischen Debatten als Einspruch gegen die globalisierte Massenproduktion interpretiert. Das Buch „Marke Eigenbau. Der Aufstand der Massen gegen die ­Massenproduktion“ von Holm Friebe und Thomas Ramges beschreibt, wie die neue Wertschätzung der Handarbeit im Verbund mit dem Internet zu ganz neuen Vertriebswegen und Produktionsweisen führen könnte. Nähen, Stricken und ­Häkeln ist also eine Ergänzung zu Anti-­Sweat­shop-Aktionen oder Konzernboykotten.

Seit Anfang des 19. Jahrhunderts mehr und mehr zur Frauensache geworden, galt Handarbeit als sterbenslangweilige Fummelei. Sie zwang zum Stillsitzen, je mehr Frauen für die gewerbliche oder industrielle Textilverarbeitung zuständig waren, desto schlechter wurde die bezahlt. Die Kreativität der handarbeitenden Frau galt traditionell weniger als Handwerk oder gar Kunst.

Dies unterwandern Künstlerinnen heute mit wachsendem Erfolg: Rosemarie Trockels ironische Strickbilder erzielen auf dem Kunstmarkt Spitzenpreise. Die Ägypterin Ghada Amer kommentiert die Geschlechterhierarchie, insbesondere beim Thema Sexualität, mit provokant bestickten Leinwänden. Patricia Waller liebt es drastisch: Einem großäugigen Bambi steckt ein Hackebeil im Rücken, eine knallrosa Miss Piggy mit Pin-Up-Brüsten wird durch einen Fleischwolf gedreht, auch das reichlich tropfende Blut ist liebevoll gehäkelt.

Manche dieser heutigen Strickerinnen oder Stickerinnen distanziert sich von ­vor­hergegangenen Frauengenerationen: „This ain’t your grammas embroidery!“ (Dies ist keine Stickerei von deiner Oma) heißt es etwa auf www.sublimestitching.com, ­dane­ben ein niedlicher rosa Totenkopf in Stielstich. Allerdings beschränkten sich auch die Stickerinnen und Strickerinnen der Vergangenheit keineswegs aufs brave Handwerkeln. Gaugele, die über die feministischen Vorläuferinnen der aktuellen „Craftistas“ geforscht hat, erinnert etwa an die Tricoteuses, Strickerinnen also, die sich an der französischen Revolution beteiligten. Sie marschierten nach Versailles und saßen mit ihrem Strickzeug im Nationalkonvent oder auch vorm Schafott. Vertreterinnen der Ersten Frauenbewegung gründeten in Wien ein Museum für weibliche Handarbeiten. Das zeigt, wie zentral Handarbeiten für das weibliche Selbstverständnis waren. Und Vertreterinnen der sozialistischen Frauen­be­wegung organisierten Textilarbeiterinnenstreiks.

Seine erste Renaissance erlebte das Stricken in den frühen 1980er-Jahren, an den Schnittstellen zwischen Frauen- und Ökologiebewegung. Die Strick­nadeln klapperten in Schulen, Frauenhäusern, Vorlesungen und schließlich auch im ­Bundestag. Die Wollläden verzeichneten Traumumsätze und die Kleidung, die in diesen Jahren selbstgemacht wurde, wandte sich gegen starre Konfektionsgrößen und Schönheitsideale: Wer erinnert sich nicht an riesige Pullis, selbstgeschneiderte Kleider und pink gefärbte Malerhosen?

Den Kampf gegen frauenfeindliche Kreationen, gegen „Sizeism, Ageism und Lookism“ wie die DIY-Aktivistinnen heute sagen, gab es schon vor 30 Jahren. Insofern hat der ­aktuelle Crafting-Trend das Rad nicht neu erfunden, aber das behauptet ja auch keine. Neu ist die internetgestützte Kritik an der globalisierten Massenproduktion. Und hier ist tatsächlich viel zu tun, zumal Textilarbeiterinnen nicht nur in fernen Sweatshops, sondern auch hierzulande sehr schlecht ­bezahlt werden. Handarbeit, sofern sie mehr als ein Hobby sein soll, führt allzu oft in eine prekäre Existenz. Aber das muss ja nicht so bleiben.

Weiterlesen
critical crafting circle (hg.): Craftista! Handarbeit als Aktivismus (Ventil Verlag). Mandy Moore, Leanne Prain: Yarn Bombing. The Art of Crochet and Knit Graffiti (Arsenal Pulp Press).

www.magdasayeg.com
http://stitchnbitch.org
www.knittedlandscape.com

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