Heather Booth: Mit den Janes

Heather Booth organisierte in den 1960ern mit dem "Jane Collective" illegale Abtreibungen. - Foto: Monica Schipper/Getty Images
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Die Idee war so einfach wie gefährlich. Frauen, die während der 1960er Jahre in Chicago abtreiben wollten oder mussten, riefen bei Heather Booth und ihren Mitstreiterinnen an und hinterließen auf einem Anrufbeantworter Namen, Telefonnummer und Datum der letzten Periode.

Wenig später wurde die Frau von Booth oder einer Unterstützerin des „Jane Collective“, wie sich das geheime Abtreibungsnetzwerk der Frauenbewegung nannte, kontaktiert. Sobald sich die ungewollt Schwangere zu einer Abtreibung entschloss, bekam sie die Adresse der „Front“, einer Wohnung, die das Jane-Kollektiv in Chicago gemietet hatte. Von dort brachte eine Helferin die Frau zu einem weiteren, geheimen Apartment, um die Abtreibung vornehmen zu lassen. Oft mussten die Hilfesuchenden während der Autofahrt eine Augenbinde tragen. „Ich wusste, dass das Netzwerk illegal war, aber wie illegal es war, habe ich nicht geahnt“, erinnert sich Booth. „Ich habe erst später erfahren, dass es bereits den Straftatbestand der ‚Verschwörung zu einem Verbrechen‘ erfüllte, wenn sich drei Personen über eine geplante Abtreibung nur unterhielten.“

Abtreibungen standen während der 1960er Jahre in fast ganz Amerika unter Strafe. Jedes Jahr starben Tausende Amerikanerinnen bei dem Versuch, eine Schwangerschaft mit Stricknadeln, Gift oder einem Kleiderbügel zu beenden. Dass Booth sich für sie einsetzen würde, war nur eine Frage der Zeit.

Die Tochter eines jüdischen Militärarztes und einer Lehrerin war von Long Islands wohlhabender Nordküste zum Studium der Sozialwissenschaften nach Chicago gekommen. Dort engagierte sich die heute 76-Jährige in der schwarzen Bürgerrechtsbewegung. Sie ging mit der linken Organisation „Students for a Democratic Society“ auf die Straße und gründete das „Radikale Aktionsprogramm für Frauen“, die erste studentische Frauengruppe des Landes. Im Jahr 1965 erzählte ihr ein Freund von der ungewollten Schwangerschaft seiner Schwester. Booth fand einen Arzt, der bereit war, die Abtreibung vorzunehmen. „Das sprach sich herum, und andere Frauen kontaktierten mich. Daraus entwickelte sich das ,Jane Collective‘“, erzählt sie rückblickend. Die damals 19-Jährige hatte den Namen Jane als Code gewählt, um die Anrufe hilfesuchender Frauen bei der Nummer des Studentenwohnheims zu kaschieren.

Jetzt verfilmte Hollywood die Geschichte der „Janes“. Wie „Call Jane“ von Phyllis Nagy („Carol“) zeigt, in dem sich Sigourney Weaver an Booths Vorbild orientiert, griffen die Aktivistinnen damals manchmal auch selbst zur Kürette, um Schwangerschaften zu beenden. Im Mai 1972 war es mit dem geheimen Abtreibungsnetzwerk vorbei. Nach einer Anzeige nahm die Polizei sieben „Janes“ fest. Booth, die inzwischen den SDS-Führer Paul Booth geheiratet und die Söhne Eugene und Daniel zur Welt gebracht hatte, blieb frei. Anwältin Joanne Wolfson zögerte den Strafprozess gegen Booths Mitstreiterinnen hinaus. Als der Supreme Court dann im Januar 1973 das Recht auf Abtreibung in der Grundsatzentscheidung Roe v. Wade festschrieb, ließ die Staatsanwaltschaft auch die Anklage gegen die „Janes“ fallen. Das geheime Netzwerk hatte mehr als 11.000 Frauen geholfen.

Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs Ende Juni 2022, das landesweite Abtreibungsrecht nach fast 50 Jahren zu kippen, hat Booth erschüttert. „Ich war entsetzt, aber nicht überrascht“, sagt sie. „Man ist seit Jahren dabei, Frauen immer stärker bei der persönlichsten Entscheidung ihres Lebens zu bevormunden.“ Als Gründerin der Midwest Academy, einer Art Trainingslager für Protest, wurde Booth jetzt wieder aktiv. Vor den Zwischenwahlen Anfang November forderte sie die AmerikanerInnen bei unzähligen Auftritten und in YouTube-Videos auf, für die Demokraten zu stimmen, denn die sind pro Recht auf Abtreibung. Tatsächlich blieb die befürchtete rote Welle der Republikaner aus. „Jetzt geht es darum, in den Bundesstaaten Gruppen zu organisieren, um Gesetze für das Recht auf Abtreibung verabschieden zu können“, sagt Booth. „Wir können die Zukunft immer noch beeinflussen.“ Dass die ehemalige „Jane“ dabei sein wird, ist garantiert.

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