Julias Wille zum Leben
Gewehrt hat sie sich erfolgreich gegen alle Schubladen inklusive Alter. Besuch bei einer Lebensfrohen.
Die Frau beschönigt nichts. Sie wohne im schweinchenrosafarbenen Haus bei der Straßengabelung, etwas außerhalb des Dorfes, die Adresse sei leicht zu finden, hatte Julia Onken am Telefon erklärt. Das Haus ist so, wie man sich ein Haus in Schweinchenrosa vorstellt: eine ausladende Villa mit weißen Fensterstürzen, einem herausgeputzten Vorgarten, einem Teichlein mit Springbrunnen, Granitplattenweg und schmiedeeiserner Pforte.
Mit ausladender Armbewegung bittet uns die Hausherrin hinein, führt uns über den marmornen Flurboden in den Wintergarten. Der Blick durchs Glas endet in einer wuchernden Wildnis von tropischer Üppigkeit, mit blühenden Clematis und noch einem kleinen Teich mit Springbrunnen.
Julia Onken schmiegt sich in Verführerinnenpose auf die Chaiselongue, die Beine seitlich aufs Polster gelegt, einen Arm anmutig auf der Lehne, nestelt sie an ihrem Seidenschal. Im Frühling ist die Bestsellerautorin 60 geworden. Man gäbe ihr die Jahre nicht. Keine Falte im Gesicht, den wunderschön geschwungenen Mund hat sie sorgfältig nachgezogen und leuchtend rot geschminkt. Eine reife, selbstbewusste Frau, die spielerisch mit ihrem Alter kokettiert.
Das blondgrau melierte Haar färbt sie grauer, als es von Natur aus wäre. "Als mir vor kurzem bei einem Gesundheitscheck die Ärztin sagte, ich sei jetzt im jungen Alter, alt werde man erst nach siebzig, da wurde mir bewusst: Jetzt ist offenbar noch nicht die Zeit, in der man den Griffel weglegt, Im Gegenteil, es ist die Zeit, in der man zum Griffel greift."
Das hat sie denn auch getan. Rechtzeitig zu ihrem Geburtstag ist ihr neuestes Buch erschienen: "Altweibersommer". Sie schlägt damit den Bogen über knapp 20 Jahre: In ihrem ersten Bucherfolg, der "Feuerzeichenfrau", ging es ihr um die Wechseljahre. Sie war die Erste, die das Thema aus der Sicht einer Betroffenen aufgriff. "Ich war dermaßen empört, dass es nur Fachbücher von Gynäkologen hat, die den Frauen weismachen wollten, sie müssten sich auf ein verwelktes Dasein ohne Lustgefühle vorbereiten. Das entsprach gar nicht dem, was ich empfand. Für mich wurden die Wechseljahre zu einer Zeit des Aufbruchs."
Das Buch wurde zu einem Megaseller, und die Psychologin hatte ihre Berufung gefunden. In Vorträgen, Schriften und in Seminaren nimmt Julia Onken sich der Frauen und ihrer Probleme an. Alle paar Jahre beglückt sie ihre Fangemeinde mit einem neuen Buch, allesamt eine Mischung aus Autobiografie und populärer Fachliteratur. Ob die Beziehung zum Vater, der Seitensprung, Beziehungsfallen oder Selbstbewusstsein, immer sind ihre eigenen Erfahrungen Ausgangspunkt. Folgerichtig ist heute das Älterwerden ihr Thema.
Julia Onken rappelt sich aus ihrer Liegeposition hoch. Breitbeinig wie eine Bäuerin sitzt die Tochter einer Bauerstochter auf dem Sofarand, die Ellbogen auf die Knie aufgestützt. Das sei auch ein Vorteil des Älterwerdens, dass sie nicht immer darauf achten müsse, wie sie wirke. Vor allem in den Talkshows, wo sie öfter zu Gast ist, müsse sie nicht dauernd daran denken, ob sie jetzt vorteilhaft dasitze, sondern könne sich voll auf das Thema konzentrieren: "Die laden mich ja nicht ein, weil ich toll aussehe, sondern weil ich etwas zu sagen habe."
Julia Onkens Markenzeichen ist ihre Unverblümtheit. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund, hält mit keiner Erfahrung zurück. Und wenn sie sich auch in ihren Büchern öfter mal verbal verstolpert und die Leser zwischen vielem, was sie eigentlich gar nicht so detailgenau wissen möchten, auf die eigentliche Aussage warten müssen – ihre Fans nehmen es ihr nicht übel. Denn hinter solchen Unzulänglichkeiten ist spürbar: Hier schreibt eine Frau über das, was Frauen bewegt.
Unermüdlich schöpft sie aus dem Fundus ihrer eigenen Erlebnisse. Ihr Vater, ein Fischer vom deutschen Bodenseeufer, war 64, als sie zur Welt kam, ihre Mutter, eine scheue Schweizer Bauerntochter, 30 Jahre jünger. "Er war ein Deutscher von der Art, die uns Schweizern auf die Nerven geht."
Aus erster Ehe bringt er vier selbstbewusste Töchter mit, die älter sind als Julia Onkens Mutter. In der Familie geht es zu wie in einer griechischen Tragödie. Eifersucht, Intrigen, Missgunst sind an der Tagesordnung. Julia Onken beginnt schon früh, die griechischen Klassiker zu lesen, "weil ich darin wiederfand, was ich in unserer Familie erlebte". Damit ist ihr Interesse an Psychologie geweckt. Auch wenn sie zunächst Papeteristin wird und, erst als ihre Ehe mit dem Leiter eines Fernstudien-Institutes bereits am Zerbrechen ist, eine Ausbildung zur Psychologin absolviert.
Teilhaben lässt Julia Onken ihre Leserinnen auch an ihrer Beziehung zu dem elf Jahre jüngeren Partner Bernhard, den sie in ihren Büchern Felix nennt und der darin längst nicht immer gut wegkommt. Trotzdem, das Paar ist seit 24 Jahren zusammen und wird es wohl noch länger bleiben. Umso mehr, als er auch bald in die Wechseljahre kommt. Wird sie darüber ein Buch schreiben? Nein, lacht Julia Onken, da fühle sie sich nicht kompetent. Die Männer sollten sich gefälligst selber um ihre Prostataprobleme kümmern.
Haia Müller, EMMA 6/2002
Von Julia Onken erschien zuletzt "Altweibersommer. Ein Bericht über die Zeit nach den Wechseljahren" (2002) und zuerst "Feuerzeichenfrau. Ein Bericht über die Wechseljahre" (1988). Beide Verlag C.H. Beck.
Porträts & Interviews