Katastrophe Kita-Lockdown

Kinderbetreuung zu Hause: Es wird höchste Zeit für die Kita-Öffnung. Foto: Nasos Zovoilis/imago images
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Vier Millionen Elternpaare und Alleinerziehende haben gerade Stress. Aber so richtig. Vier Millionen Kita-Kinder gibt es in Deutschland. Für mindestens weitere drei Monate sollen die Kitas geschlossen bleiben. Oder sie machen vielleicht ein bisschen auf. So genau weiß die Regierung das noch nicht. Es sind ja in erster Linie auch nur vier Millionen Frauen, die nicht wissen, wie es beruflich weiter gehen soll. Corona führt dazu, dass der Großteil der Familien in Deutschland gerade wie in den 50er Jahren lebt. Papa geht zur Arbeit, Mama macht den Rest und verdient dazu. Und selbst diesen Teilzeit-Job wird sie verlieren.

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Lockdown ohne mit der Wimper zu zucken

"Die Betreuung von Kleinkindern wird von der Bundesregierung wie ein entbehrlicher Luxus betrachtet. Kitas werden ohne mit der Wimper zu zucken und ohne den kleinsten Versuch für Monate geschlossen gehalten, in der Annahme, dass Familien einen Familienernährer haben und Frauen die Kinderbetreuung locker auffangen können“, sagt Christa Stolle, Bundesgeschäftsführerin von Terre des Femmes. Doch genau dieses verstaubte Familienbild führe dazu, dass Frauen in die Rolle der minderverdienenden Kinderbetreuerin regelrecht hineingezwungen würden. Die Frauenrechtsorganisation fordert die Bundesregierung daher dazu auf, die öffentliche Kinderbetreuung schnellstens für Kita- und Grundschulkinder unter Berücksichtigung hygienischer Standards wieder aufzunehmen.

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie – um die es vor Corona gar nicht schlecht aussah – geht den Bach runter. Wie rückständig Deutschland wirklich tickt, zeigte sich jüngst in den wissenschaftlichen Empfehlungen der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die niemand geringeren als die Bundesregierung berät und mit ihr Leitlinien erarbeitet. Das Leopoldina-Team, bestehend aus 24 Männern und zwei Frauen mit einem Durchschnittsalter über 60, blendete die Mütter-Perspektive komplett aus und wollte Kita-Kinder pauschal im Lockdown verharren lassen.

Neben Kritik aus der Gesellschaft und Politik, stemmen sich nun auch 44 deutsche Wissenschaftlerinnen offiziell dagegen. Darunter Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin: "Das Familiäre Wohl und Wohlergehen der Frauen wird gar nicht adressiert! Wie soll das gehen, dass eine Frau und Mutter dann wieder erwerbstätig ist und auf der anderen Seite für Kinder unter neun Jahren keine Betreuung bekommt? In Dänemark zum Beispiel wird das familiäre Wohl übergeordnet berücksichtigt – und gleichzeitig eine virologische Perspektive. Da hat man genau das Umgekehrte angeordnet, am Mittwoch werden zuerst die Kitas wieder öffnen. Hintergrund ist auch die Annahme, dass sich das Virus unter kleinen Kindern am ungefährlichsten ausbreiten kann, weil sie in aller Regel keine oder keine schweren Krankheitssymptome zeigen. Auch eine solche Diskussion vermisse ich in Deutschland."

Die berufliche Zukunft der Frauen spielt keine Rolle

Wenn Regierungen und Behörden bei ihrem aktuellen Kurs bleiben, können Kindergärten und untere Grundschulklassen kaum zum gewohnten Alltag zurückkehren, solange es keinen Impfstoff gibt. Neben dem Impfstoff fehlt die Datenauswertung zu Kindern. Eine Arbeitsgruppe von Ländern, Bund und ExpertInnen erarbeitet - in Anbetracht der ad-hoc-Vorschläge der Leopoldina - derzeit Leitlinien, wie eine schrittweise Wiederöffnung der Kitas aussehen könnte. Das Konzept zielt auf die Zeit nach dem 4. Mai.

„Familien geraten zunehmend an ihre Grenzen, Eltern - besonders Frauen und Alleinerziehende – sind über das vertretbare Maß hinaus belastet“, sagt Familienministerin Franziska Giffey (SPD). Vor dem Koalitionsausschuss am Mittwoch forderte sie, die Notbetreuung von Kindern auszuweiten. Konkret schlug sie vor, dass „nicht nur systemrelevante Berufe mit reinkommen, sondern auch Kinder, deren Kindeswohl gefährdet ist“. Auch die sogenannte „Ein-Eltern-Regelung“, wonach nur ein Elternteil in einem systemrelevanten Beruf arbeiten muss, damit die Familie Zugang zur Notbetreuung hat, müsse bundesweit einheitlich umgesetzt werden.

Für Familien, die keinen Anspruch auf Notbetreuung haben, forderte Giffey Lohnausgleichs- und Lohnausfallzahlungen. Die sind nach dem Infektionsschutzgesetz im Moment noch bis Mitte Mai möglich. Auch die Spielplätze will Giffey öffnen. Statt sie geschlossen zu halten, solle nur eine bestimmte Anzahl von Kindern raufgelassen werden. „Eine Einlassbeschränkung im Baumarkt ist möglich, wieso dann nicht auf Spielplätzen?“ fragte Giffey.

Der Druck auf Eltern dürfte sich in den kommenden Wochen noch verschärfen, wenn viele aus dem Homeoffice und Kurzarbeit an ihren Arbeitsplatz zurückkehren und dann erst recht nicht wissen, wie sie nebenbei auch noch die Betreuung ihrer Kinder regeln sollen. Sollte es beim Lockdown der Kitas bleiben, werden die allermeisten Mütter ihren Job verlieren.

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Home Office: Schreiende Mütter

Auf den Balkon stellen und Schreien statt Klatschen? Die Autorin wäre dabei! drobotdean - de.freepik.com
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Am Tag neun des Lockdowns habe ich um 13 Uhr ein Telefonat. Kurz vorher will ich meine drei Jahre alte Tochter ins Bett bringen. Ich habe ihr und ihrem fünf Jahre alten Bruder vorher ein Mittagessen gekocht, gefüllte Tortellini aus dem Beutel. Um eins liegt sie im Bett, ich will zum Telefon gehen, sie fängt an zu weinen. Die Zeit tickt, mein Atem wird flacher, und ich muss mich entscheiden: Chef oder Kind? Ich atme tief ein und beruhige meine Tochter. „Will nicht schlafen“, sagt sie. Es ist 13.15 Uhr. Ich gehe raus und rufe meinem Mann zu, der vor seinen zwei Bildschirmen sitzt. Er ist Grafikdesigner, auch im Home Office. „Kannst du mal bitte“, rufe ich und mein Ton klingt schärfer als beabsichtigt.

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Seit zwei Wochen sind in Berlin die Kitas geschlossen, bis nach Ostern, mindestens. So lange waren wir als Familie noch nie zusammen, tagein tagaus in der 90-Quadratmeter-Wohnung; weder im Urlaub, noch in der Elternzeit. Home Office gilt als Privileg, aber ich glaube, das gilt nur für Menschen, die keine kleinen Kinder haben, die Aufmerksamkeit wollen und regelmäßige Mahlzeiten. Home Office ohne feste Regeln ist eine ständige Überforderung. Man kann nicht gleichzeitig wach sein und schlafen, rennen und stillsitzen.

Die Pläne, sich die Betreuung mit einer anderen Familie aufzuteilen, sind gescheitert

Am Anfang wollten wir uns die Betreuung mit einer anderen Familie aus der Kita aufteilen, aber die Familie wollte dann lieber doch nicht, wegen Ansteckungsgefahr. Zum Glück schlossen wir uns dann mit der Nachbarin zusammen, die unter uns wohnt. Sie nimmt die Kinder vormittags, ich am Nachmittag. Wir haben einen Garten, das ist Luxus, das rettet uns. Ich nehme das Laptop mit in den Garten, in der Hoffnung, mal zehn Minuten arbeiten zu können. Konzentration auf Knopfdruck. Dann wieder voll im Fürsorge-Modus schalten, wenn sich ein Kind beim Trampolin-Springen verletzt.

Die drei Stunden am Vormittag vergehen sehr schnell, ich spüre den inneren Druck, so viel wie möglich zu erledigen, denn die Zeit läuft. Die freien Stunden vergehen wie Minuten. Mein Mann saß in der ersten Woche seine sechs Stunden am Rechner und vergaß die Welt um sich. Ich weiß, warum er sich so anstrengt: Er hat einen befristeten Vertrag, er sorgt sich um die Verlängerung.

Ich kochte mittags essen, redete gleichzeitig mit der Kollegin am Telefon, räumte die Spülmaschine aus und beobachtete, was bei Slack, einer der vielen neuen Kommunikationskanäle, so reinlief. Mein Sohn zeigte mir sein Surfboard, das er aus Pappe gebastelt hatte. „Guck mal, guck mal“, sagte er.

Mein Problem: Wie soll ich arbeiten - und gleichzeitig die Kinder betreuen?

Mein Kopf brummte, mir wurde schwindlig. Wie sollte ich das alles fünf Wochen aushalten? Am liebsten wäre ich weggerannt oder hätte ganz laut geschrien. Mein Mann saß ungerührt am Rechner, als ginge ihn das Chaos nichts an. Ich merkte, wie ich wütend wurde. An manchen Tagen schrie ich meine Kinder schon morgens vor dem Frühstück an. Mich nervte es, wenn ich überall die Basteltipps sah, auf Instagram und in anderen sozialen Medien. Mein Problem ist nicht, dass ich nicht weiß, wie ich die Kinder beschäftige, mein Problem ist, dass ich nicht weiß, wie ich arbeiten und Kinderbetreuung gleichzeitig schaffen soll.

Jemand hat vorgeschlagen, dass sich abends alle Eltern auf den Balkon stellen und nicht musizieren oder klatschen, sondern schreien. Ich wäre dabei.

Es ist, als ob die Krise alle Ungerechtigkeiten verschärfen würde: die schlechte Bezahlung der Pflegerinnen und Supermarktkassiererinnen, die auf einmal als „systemrelevant“ gelten; und die Mütter, an denen die Sorgearbeit hängen bleibt, selbst wenn sie voll erwerbstätig sind.

Vorher hatte ich acht Stunden im Büro gearbeitet, die Kita hatte uns die Kinderbetreuung abgenommen und die Hausarbeit teilte ich mir mit meinem Mann: Hälfte/Hälfte. Das war das Angebot des Staates, um Vereinbarkeit zu ermöglichen. Nun fällt dieses System weg, und auf einmal ist es so, dass meine Nachbarin (eine Ingenieurin) und ich einen Großteil der Betreuungsarbeit leisteten. Gleichzeitig kochte ich, telefonierte, schrieb E-Mails, entwickelte ein Arbeitskonzept. Abends wischte ich die Küche.

Statt Klatschen auf dem Balkon: Einfach mal alles rausschreien. Ich wäre dabei!

Ich klagte einer Kollegin, die große Kinder hat, meine Probleme, sie sagte: „Nimm dir doch einen Babysitter.“ Wie sollte ich während der Kontaktsperre einen Babysitter, also eine fremde Person, anheuern?

Am zehnten Tag entschuldigte ich mich bei meinen Kindern für meine schlechte Laune. Und ich hatte ich eine Aussprache mit meinem Mann. Wir werden jetzt einen Plan machen, die Stunden aufteilen und feste Zuständigkeiten für jeden Tag festlegen. Er wird außerdem mehr abends arbeiten, wenn die Kinder im Bett sind. Zeit für uns? Zeit zum Erholen, zum Kopf-Frei-Bekommen? Jeder bekommt täglich eine halbe Stunde frei. Mal sehen, ob es funktioniert. Wir schreien erst mal nicht.

SABINE RENNEFANZ

 

 

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