Alice Schwarzer schreibt

Kate Millet: The basement

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Hast Du es gelesen? Auf diese Frage antwortete mir in den vergangenen Monaten fast immer nur Kopfschütteln. Sätze wurden gemurmelt wie: Da hab ich Horror vor. Oder: Das macht mir Angst. - Angst wovor? Angst davor, mehr zu verstehen?

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Sicher, die Geschichte des basements ist grauenvoll: es ist die rituelle Ermordung einer 16-Jährigen, Sylvia Likens, durch die eigene Pflegemutter. Doch mit einer Mischung von journalistischer Dokumentation und literarischer Fiktion läßt sich Kate Millett zwar auf das Grauen ein, überwindet es damit jedoch gleichzeitig und - liefert mit "The basement" ein erschütterndes und ermutigendes Beispiel zugleich des Aufbruchs von Frauen aus den Niederungen, dem basement. Kate Millett, "größte lebende Schriftstellerin Amerikas" (Simone de Beauvoir) und eine der potentesten feministischen Theoretikerinnen, Kate läßt sich fallen in diese Geschichte vom Opfersein (und Täterin), geht bis in die tiefsten Abgründe und taucht wieder auf mit der Klarsicht, aus der die Kraft zur Überwindung kommen wird.

"Wie haben sie es geschafft, in Deine Seele zu dringen?" Das ist Kates zentrale Frage an Sylvia Likens und uns alle. Und sie stellt sie zu einem Zeitpunkt, zu dem dies in der Tat für uns Frauen eine der entscheidensten Fragen überhaupt ist. Und eine der mißbrauchbarsten...

Warum lassen Frauen sich soviel gefallen? Warum gehen soviele Frauen selbst aus den Häusern für geschlagene Frauen zurück? Einmal. Zweimal. Dreimal. Weil sie keine Alternativen haben, keinen Beruf, Angst, nicht wissen wohin, etc. etc. Richtig. Und wichtig, das aufzuzeigen, zu bekämpfen, zu verändern. Aber da ist och etwas. Da ist auch etwas in uns. Sie haben es geschafft, in unsere Seele zu dringen.

Es gab Momente, da hätte Sylvia Likens dem Martyrium entkommen können. Sie blieb. "Es muß nicht nur der Körper gewesen sein, der gebrochen wurde, sondern auch der Geist", schreibt Kate Millett und wagt sich damit auf eine Gratwanderung, bei der der kleinste falsche Schritt tödlich sein kann. Tödlich für uns selbst. Ausgebeutete, Vergewaltigte - das macht denen doch auch noch Spaß! Die wollen's doch gar nicht anders! Die sind masochistisch! - Zu Recht haben Feministinnen solche Unterstellungen strikt zurückgewiesen. Sie begannen, die Bedingungen zu analysieren, die uns zum Opfer machen.

Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, weiter zu gehen. Kate Millett tut es. In einem Moment, in dem Frauen - wieder einmal - anfangen, sich selbst im Weg zu stehen, sich gegenseitig zu zerfleischen, sucht Millett nach den Spuren der Deformationen in uns selbst. Millett, die selbst seit Jahren gerade in ihren autobiographischen Werken ("Sita" und "Flying") offen das Nebeneinander ihrer ungewöhnlichen Stärke und ihrer erschreckenden Schwäche darlegt. Nach "Sexus und Herrschaft" war sie eine Zeitlang in der Psychiatrie, die Wundheit ihrer Züge verbirgt sie längst nicht mehr. Und es ist gerade diese Verletzbarkeit, die ihr, der Schriftstellerin und Bildhauerin, die Kraft gibt, sich ihre (und unser aller!) Gemeinsamkeit mit Sylvia Likens einzugestehen.

Mehr noch: Millett identifiziert sich nicht nur mit dem Opfer, sondern gleichzeitig mit der Täterin. Es ist kein Zufall, daß in einer Welt, in der gemeinhin Männer Frauen ermorden, ausgerechnet ein Fall zu ihrer Obsession wurde, in dem eine Frau die Täterin ist: dramatische Vollendung unserer Verformung an Leib und Seele, die uns zu instrumentalisierten Opfern und zu opfernden Instrumenten werden läßt.

Das Buch ist, bezeichnenderweise, bisher nicht viel besprochen worden. Im Spiegel allerdings wurde es verrissen. Von einer Frau, Angela Present. Sie verbreitete selbstgefällig plappernd über zwei Seiten ihre umfassende Inkompetenz für solche Fragen, und eine ganz besondere Hemmungslosigkeit: bedauert Frau Present doch in der Tat, daß der Fall Likens statt von Millett nicht von Truman Capote oder Norman Mailer literarisch aufgearbeitet worden sei. Truman Capote hat vor einigen Jahren wegen der Ermordung seiner Ehefrau im Gefängnis gesessen...

Die Spiegel-Rezensentin findet Millets neuestes Buch "fatalistisch". Nun, so hätte man's wohl gerne. Aber - es ist das ganze Gegenteil! Dieses Buch wird dazu beitragen, nicht länger akzeptieren zu müssen, daß ein Fall Sylvia Likens "Schicksal" ist! Es zwingt uns förmlich, nicht länger fatalistisch hinzunehmen, uns auch selbst zu fordern. Was wäre mutiger? Und was menschenwürdiger?!

Weiterlesen: "Das Basement" von Kate Millett

 

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