Foto: Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA)
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Zürich ist für Patriarchen ein wahrhaftiges Paradies. Alle wichtigen Medien- und Kulturposten sind fest in Männerhand, auch die Universitäten glänzen durch eine erschlagende Männerquote.

Das Feuilleton der Neuen Zürcher Zeitung liest sich, als ob die Schweiz an Gendersternchen zugrunde geht, während das Media-Too des TX-Konzerns (78 Journalistinnen des Medienkonzerns wehrten sich gegen Übergriffe, Sexismus und Diskriminierungen) ebenso folgenlos bleibt wie der MeToo-Skandal des westschweizerischen Fernsehens SRG. Dessen ehemaliger Direktor, Gilles Marchand, bleibt trotz ähnlicher Vorwürfe. Direktor der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft – und zwar problemlos.

Im Alpenländli finden sich immer Ämtli für Uralt-Machos. Aber nun folgt ein Sexismus-Knüler, der selbst für Schweizer Verhältnisse unterirdische Tiefen der Diskriminierung erreicht. Wir blenden ein Jahr zurück: Es ist 2021 und das 50-jährige Jubiläum der Einführung des eidgenössischen Frauenstimm- und Wahlrechts. Auf kantonaler Ebene dauerte es bis 1990 (!), bis die Frauen in Appenzell-Innerrhoden wählen und stimmen konnten. Der Geschichte der männlichen Geschlechter-Diktatur folgend, lanciert eine Handvoll Männer, übrigens mit kräftiger deutscher Unterstützung, ausgerechnet im FrauenwahlrechtsJubiläumsjahr 2021, einen „Swiss Democracy Passport“. Die 54-seitige Broschüre, die genau wie ein Schweizer Reisepass aussieht, informiert über die Grundsätze, die Funktionsweise und die Praxis der Demokratie in der Schweiz. Denn die ist bekanntermaßen direkt, erfolgt durch unmittelbare Abstimmungen in der Bevölkerung. Der „Swiss Democracy Pass“ soll also die „Direkte Demokratie Schweiz“ mit ihrem einzigartigem „Vorbildcharakter“ in die ganze Welt tragen. 

Nur wurde da jemand vergessen. Frauen gibt es im „Swiss Democracy Passport“ nicht. Also fast nicht: Auf lächerliche 275 Zeichen, also auf Twitter-Länge reduziert, wird die politische Entmündigung, Entrechtung und Enteignung von Frauen als nebensächliches „Dilemma“ karikiert. Kein einziges Wort zum bitteren Kampf der Frauen ums Stimmrecht.

Als der feministische Podcast „Die Podcastin“ dieses Skandalon aufnahm, reagierten die Autoren der Geschlechter-Apartheidschrift leicht verschnupft. Schließlich ginge es, so die Herausgeber, ja nicht um „Frauenrechte“, sondern um „die Direkte Demokratie“. Die Wissenschaftler der Universität Bern meinten allen Ernstes, Demokratie sei auch ohne Frauenrechte demokratisch. Solche Aussagen freuen sicherlich Zeitgenossen wie die Taliban, die momentan mit ihrem ganz speziellen Staatsmodell für internationale Anerkennung werben.

2022 soll der „Swiss Democracy Passport“ wiederum am internationalen Tag der Demokratie, dem 15. September, über das Auswärtige Amt der Schweiz verteilt werden. Deshalb läuft in der Schweiz eine Interpellation, ein Auskunftsverlangen, der engagierten Abgeordneten Marianne Binder-Keller von der Mitte-Partei, die der Schweizer Regierung kräftig Feuer unter dem Hintern macht. Sie stellt die dringliche Frage: Wie rechtfertigt der Bundesrat die Promotion und die mit staatlichen Geldern erfolgte Alimentierung einer Broschüre zum politischen System der Schweiz, die ausgewiesenermaßen durch den Ausschluss von Frauen einen „Pass für eben nicht alle“ darstellt?

EMMA wird über den Ausgang dieses Paradebeispiels sexistischer Geschichtsschreibung inklusive Verharmlosung der Geschichte der Geschlechter-Apartheid berichten. Denn das Schweizer Fernsehen hat es nicht getan: Im Gegenteil. Ausgerechnet im Frauenstimmrechts-Jubiläumsjahr feierte der öffentlich-rechtliche Sender lieber die Werbung für „Hip mit Hijab“.

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