Frauen, die Welt-Märkte bewegen

Ökonominnen unter sich: Janet Yellen (links) mit Christine Lagarde. Foto: Andrew Harrer/Bloomberg/Getty Images
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Hellgraue Bluse, schwarze Krawatte, melierter, ärmelloser Dior-Mantel, die Haare im Wind wehend. Auf dem Titel der indischen Ausgabe der Vogue ist eine Frau zu sehen, die modische Standards setzt. Aber der Grund für das Coverbild ist ein anderer: Gita Gopinath gibt auch ökonomisch den Ton an. Die gebürtige Inderin mit indischer und US-amerikanischer Staatsbürgerschaft ist Chefvolkswirtin des Internationalen Währungsfonds (IWF), einer Institution, die jahrzehntelang in Ländern wie Indien als „Weltfinanzpolizei“ verachtet oder gefürchtet wurde: Männer in feinen Anzügen, die in Luxushotels abstiegen und Sparprogramme schrieben. Jetzt ist da Gita Gopinath.

Gopinath macht der Welt als erste Frau auf diesem Posten Vorschläge, wie die Pandemie wirtschafts- und fiskalpolitisch zu bewältigen sein könnte. Und die eine diebische Freude daran hat, alte Gewissheiten in Frage zu stellen. Sie suche Antworten in Daten, nicht in Dogmen, sagt sie. Was für ein Wandel.

Dass Gopinath die volkswirtschaftliche Forschung der größten internationalen Finanzorganisation leitet, hat sie neben ihrer akademischen Qualifikation – zuletzt hatte sie an der Harvard-University einen Lehrstuhl inne – Frauen zu verdanken. Die frühere IWF-Chefin Christine Lagarde hatte sich die Sichtbarmachung von Ökonominnen auf die Agenda geschrieben – und Gopinath ins Amt befördert. Lagardes Nachfolgerin, die Bulgarin Kristalina Georgiewa, hat sie gehalten.

Gita Gopinath, Chefökonomin des Internationalen Währungsfonds. Foto: Saul Loeb/AFP/Getty Images
Gita Gopinath, Chefökonomin des Internationalen Währungsfonds. Foto: Saul Loeb/AFP/Getty Images

Lagarde, Georgiewa und Gopinath sind drei von immer mehr mächtigen Frauen, die Märkte bewegen. Die frühere Chefin der US-Notenbank Fed, Janet Yellen, ist US-Finanzministerin. Carmen Reinhart, Veronika Grimm, Isabel Schnabel sind Chefökonominnen globaler, europäischer und nationaler Organisationen. Ursula von der Leyen führt Europas größte Behörde; Elwira Sachipsadowna Nabiullina seit acht Jahren die Zentralbank in Russland. Und die Neue bei der Welthandelsorganisation, das ist Ngozi Okonjo-Iweala aus Nigeria (EMMA 2/21).

Mit diesen Frauen hat sich die globale Agenda geändert. Austerität und strenge Reformen, die stolzen Flaggschiffe neoliberaler, männlich geprägter Wirtschaftspolitik, segeln thematisch allenfalls noch im Mittelfeld mit, hinter Klima, Frauen, Armut.

Hängt das eine mit dem anderen zusammen? Oder ist es der Zeitgeist, einfach Zufall? Ganz und gar nicht, findet Christine Lagarde: „Das ist kein Zufall!“ Die Französin ist ausweislich der eigenen Karriere die Kronzeugin dieser Entwicklung, sowohl beim Agenda-Setting als auch in obligatorischen Machtkämpfen. Die Juristin, Tochter einer alleinerziehenden Mutter und Schwester mehrerer Brüder, lernte früh sich durchzusetzen. Sie war Finanzministerin in Paris und IWF-Chefin in Washington, sie ist die erste EZB-Präsidentin in Frankfurt. In ihren Positionen hat sie den Unterschied gemacht. Sie hat es als Erste verstanden, die Interessen der Frauen empirisch belegt in eine Währung zu übersetzen, die männliche Anhänger des Neoliberalismus verstanden haben: Mehr Frauen bedeutet mehr Geld.

Denn Länder, in denen Frauen mehr Jobs und mehr Macht haben, haben ein höheres Wirtschaftswachstum, die Unternehmen sind profitabler. Dass sich damit auch die Agenda ändert, hält Lagarde für selbstverständlich: „Dass inzwischen mehr Frauen in Politik und Wirtschaft vertreten sind und Politik allgemein mitgestalten, führt zu mehr Vielfalt im Handeln.“ Schon das allein habe alle Entscheidungsträger gezwungen, gängige Weisheiten infrage zu stellen.

Frauen in ökonomischen Spitzenjobs, das war lange nur ein Traum. Inzwischen ist die gläserne Decke komplett durchstoßen. Es gibt nicht nur eine Vorzeigefrau, sondern so viele, dass sie mit ihren Ideen die Gesellschaft durchdringen und sich durchsetzen können. „Ich bin überzeugt, dass wir auf einem Weg sind zur Gleichberechtigung, auf dem es kein Zurück mehr gibt“, sagt Kristalina Georgiewa. Die Bulgarin, die schon EU-Kommissarin war und Vize-Chefin der Weltbank, hat die Agenda des IWF weiter verändert. Investieren, investieren, lautet ihr Credo. „Geben Sie jetzt das Geld aus und heben Sie sich die Rechnungen auf!“, feuert sie Regierungen weltweit an, in klimafreundliche Technologien, erneuerbare Energien, in Menschen und in Bildung zu investieren. Die globale Finanzpolizei soll ein menschlicheres Antlitz bekommen.

Die am längsten amtierende und mächtigste Chefin ist seit fast 16 Jahren die deutsche Bundeskanzlerin. Es ist nicht zu übersehen, wie Angela Merkel das Land verändert hat. Die Bundesrepublik ist moderner geworden, weltoffener. Ursula von der Leyen sollte ihre Nachfolgerin werden, das hat nicht geklappt. Dafür ist von der Leyen jetzt Chefin in Europa. Und sorgt dort nicht nur mit einem mutigen Paradigmenwechsel für Aufsehen.

Kristalina Georgieva und Ngozi Okonjo-Iweala. Foto: Cory Hancock/IMF Photo
Kristalina Georgieva und Ngozi Okonjo-Iweala. Foto: Cory Hancock/IMF Photo

Erstmals wird die EU in großem Stil Schulden aufnehmen, um Zuschüsse an die von Corona besonders getroffenen Staaten zu geben. Und erstmals hat eine EU-Chefin offengelegt, wie Frauen in hohen Ämtern diskriminiert werden. Es ist von der Leyen jüngst wieder selbst vor der Weltöffentlichkeit passiert – siehe das Sofa-Gate (EMMA 3/21). „Ich habe mich allein gefühlt und verletzt“, sagte sie vor dem EU-Parlament. Das hat es noch nie gegeben.

Die Finanz- und Schuldenkrise hat gezeigt, wie wichtig es ist, dass viele Frauen ganz oben arbeiten. Alleine oder zu zweit kann frau nicht den entscheidenden Unterschied in der Krisenpolitik machen – das hat man bei Merkel und Lagarde in den Krisenjahren damals sehen können. Es dominierte die männliche Kriegsrhetorik, siehe Begriffe wie die „Bazooka“ – die Panzerwaffe, das so laute wie unangebrachte Geschrei um faule Griechen und fleißige Deutsche und Schuldenstände als Symbole des Versagens.

Dass Angela Merkel Gleichberechtigung wichtig gewesen sein könnte, hat sie jedenfalls lange verborgen. So lange, bis sie Mitstreiterinnen hatte – denn den feinen, aber entscheidenden Unterschied macht die Quantität.

Inzwischen sind so viele Frauen ganz oben angelangt, dass sie begonnen haben, belastbare Netzwerke zu knüpfen. Die frühere Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth musste noch hinnehmen, dass Bundeskanzler Helmut Kohl ihr ausrichten ließ, die Dame mit den Stöckelschuhen solle ihm nicht auf die Nerven fallen, von wegen mitbestimmen. Der frühere Premierminister Luxemburgs, Jean-Claude Juncker, hat gelegentlich erzählt, wie die Herren Finanzminister in dicken Ledersesseln Zigaretten rauchend und Kühlschränke leer trinkend die gemeinsame Währung erschufen, den Euro. Öko, Klima, Familie – das war Zinnober und höchstens erlaubt, nachdem man unter seinesgleichen die großen Entscheidungen getroffen hatte.

Heute geben Frauen den Leitzins vor und grüne Anleihen aus, sie lenken den weltweit größten Binnenmarkt, arbeiten ökonomische und ökologische Leitlinien aus, legen riesige IWF-Kreditprogramme auf wie das für Argentinien. Sie haben den neoliberalen Kurs verlassen, es gibt keine knallharten Sparprogramme mehr als Bedingung für Kreditprogramme. Stattdessen sollen mehr Frauen in Arbeit für Wachstum sorgen, die Volkswirtschaft klimafreundlich umgebaut werden. Themen und Zeitgeist seien zwar im Wandel, räumt die Wirtschaftsweise Veronika Grimm ein – die übrigens eine begeisterte Fußballspielerin ist – „aber der Einfluss der Entscheidungsträgerinnen prägt zunehmend das Geschehen in Wirtschaft und Gesellschaft“. Also, kein Zufall das alles.

Christine Lagarde ist überzeugt, dass die wirtschaftspolitische Agenda durch den stärkeren Einfluss von Frauen insgesamt menschlicher geworden sei. „Ich glaube außerdem, dass Frauen stärker und regelmäßiger dazu tendieren, Zweckmäßigkeit über Rhetorik und Menschen über Statistiken zu stellen“, sagte sie der Süddeutschen Zeitung.

Ein Beispiel? Was bringt es, eins zu eins auf eine vor zwanzig Jahren beschlossene Regel zur Schuldenquote zu pochen, wenn darüber gemäßigte Regierungen stürzen, man schaue nur in den Süden Europas? Dass Frauen zweckorientiert arbeiten, hat die zweite Jahreshälfte 2020 gezeigt, in der es dem derzeit wohl effizientesten Chefinnen-Netzwerk gelungen ist, die Europäische Union über die schroffen Klippen von Pandemie, Schuldenbergen und nationalen Egoismen zu hieven. Angela Merkel, die deutsche Ratspräsidentin, verhandelte erfahren und unermüdlich noch da Kompromisse aus, wo andere schon aufgegeben hatten; siehe die umstrittene Klausel zur Rechtsstaatlichkeit, die einzuhalten ist, bevor Gelder aus dem Fonds an Mitgliedsländer fließen.

Elwira Sachipsadowna Nabiullina und Christine Lagarde. Foto: Andrew Caballero-Reynolds/Getty Images
Elwira Sachipsadowna Nabiullina und Christine Lagarde. Foto: Andrew Caballero-Reynolds/Getty Images

Kommissionschefin von der Leyen hielt Merkel in Brüssel den Rücken frei. Und Christine Lagarde, die Merkel schätzen gelernt hat in vielen Jahren, in denen sie die einzigen Frauen in mächtigen Gremien waren, legte die zur Pandemie passende Geldpolitik vor.

Dass Europa in das Jahr 2021 gestartet ist mit einem siebenjährigen EU-Haushalt und einem Wiederaufbaufonds mit 750 Milliarden Euro, der –noch immer fast unvorstellbar – in großem Stil Kredite aufnehmen darf, und dass alle 27 Mitgliedstaaten mitmachen, ist, nicht nur, aber vor allem, dem Trio „Female Leaders“ zu verdanken. Es war das erste Mal, dass das Schicksal Europas überwiegend in weiblichen Händen gelegen hatte.

Zum Netzwerk gehören die deutsche EZB-Direktorin Isabel Schnabel, die den Sparbuch-verliebten Bundesbürgern europäische Geldpolitik nahebringt. Und die Professorin Veronika Grimm, eine der Wirtschaftsweisen der Bundesregierung, die einen wirtschaftspolitischen Kurswechsel weg von Sparen und Austerität vorantreibt. Die Netzwerke sind neu – aber sie halten. Lange war es ganz nett, übers Klima zureden oder Kitas und Familien – irgendwann kam aber immer ein Chef vorbei und sagte, ist mal gut hier mit dem „Gedöns“ (Gerhard Schröder), jetzt machen wir wieder was Richtiges (eine große Reform).

Idealtypisch für diese Arroganz männlicher Macht verlief die Begegnung der schwedischen Klimaaktivistin Greta Thunberg mit von der Leyens Vorgänger Jean-Claude Juncker im Februar 2019 in Brüssel. Thunberg bezeichnet Juncker indirekt als einen Schurken, weil er so gut wie nichts gegen den Klimawandel unternehme. Juncker gibt zurück, dass es durchaus mehr Probleme gebe als den Klimawandel. Man könne Menschen nicht einfach vorschreiben, Dinge zu tun, auch wenn sie sinnvoll sein könnten – und nennt als Beispiel europaweit harmonisierte Toilettenspülungen. „Damit würden wir eine Menge Energie sparen.“ Mit der Arroganz der Macht machte er eine engagierte junge Frau lächerlich.

Als Ursula von der Leyen Ende 2019 als neue Kommissionschefin ihre Agenda vorstellt, steht dort ganz oben, was Thunberg ein gutes halbes Jahr zuvor in Brüssel gefordert hatte: ein grüner Deal. Dazu Digitalisierung und Nachhaltigkeit, nichts erinnerte an vermeintlich altbackene Sparprogramme.

Auf Papier, schön und gut, mag sich mancher europäische Regierungschef da gedacht haben, aber wenn es ernst wird, wandert das in den Papierkorb. Es wurde ernst, als die Pandemie kam. Tschechiens Ministerpräsident Andrej Babiš fordert die EU-Kommission auf, sie solle aufhören mit dem grünen Gedöns und sich auf die Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise fokussieren. Und was passiert? Beides! Ein 750 Milliarden Euro umfassender Wiederaufbaufonds, in dem 30 Prozent der Mittel für grüne Projekte reserviert sind.

Mit der regulierten Klo-Spülung hält sich niemand mehr auf, jetzt geht es um den grünen Umbau der Wirtschaft. Die Frage, wie es zu diesem Wandel kommen konnte, beantwortet von der Leyen so: Krisen seien Trigger, sie beschleunigen absehbare Entwicklungen. Dass das Klima geschützt werden müsse, sei inzwischen Konsens, dank der Millionen junger Klima-AktivistInnen. Sogar das Bundesverfassungsgericht macht jetzt Druck.

Dass der Green Deal ganz oben auf der Agenda großer Organisationen stehe, habe auch mit deren Führungspersonal zu tun. „In ausgeglichen besetzten Gremien ist die Gruppendynamik einfach eine andere.“, sagt von der Leyen, und weiter: „Nicht, weil Frauen besser als Männer wären – sie sind einfach anders. Frauen sind oft pragmatischer, mit weniger Pathos. Sie haben einen anderen Zugang zur Welt. Männer bringen dafür andere Stärken ein. Unser aller intuitiver Blick auf die Dinge ist doch geprägt durch die Art und Weise, wie wir durchs Leben gegangen sind. Dabei spielt das Geschlecht natürlich eine Rolle, aber ebenso Herkunft und der Erfahrungsschatz.“ Und das Trio der „Female Leaders“ hat Verstärkung bekommen.

Für den Juli 2021 hat Janet Yellen eine Revolution angekündigt. Die frühere Präsidentin der US-Notenbank Fed, von Donald Trump entlassen, hat sich als US-Finanzministerin aufgemacht, mit unbeirrbarer Entschlossenheit eine links-progressive Agenda durchzusetzen. Dann sollen sich die Staaten der Welt auf eine global gültige Mindeststeuer einigen, auch die Tech-Konzerne sollen endlich zahlen. Sie will das nationale wie internationale Steuersystem reformieren, Reiche sollen mehr zahlen und Konzerne sich nicht mehr davonstehlen können. Wow!

2013 schrieb die New York Times, als Yellen als Fed-Chefin berufen wurde: „Mit Yellen, Lagarde und Merkel gibt es nun drei Frauen, die die globalen Märkte bewegen.“ Acht Jahre später sind noch von der Leyen und Georgiewa ganz oben hinzugekommen. Zwei mehr. Die Zahl zeigt, wie zäh der Fortschritt ist. Und trotzdem kann frau zuversichtlich sein. Anders als damals drängen selbstbewusste Frauen nach – und bewegen wirklich was.

CERSTIN GAMMELIN

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