Das Sofa-Gate

Deutlicher geht es nicht: Erdoğan zeigt von der Leyen, wo ihr Platz ist. Foto: Twitter
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Erdoğan ist für seine Demütigung von Ursula von der Leyen schon vom italienischen Ministerpräsidenten als „Diktator“ bezeichnet worden. Aber was ist mit EU-Ratspräsident Charles Michel, der sich ohne zu zögern auf von der Leyens Stuhl setzte?

Zur Erinnerung: Beim Spitzentreffen zwischen EU-Chefin Ursula von der Leyen, EU-Ratspräsident Charles Michel und dem türkischen Präsidenten Erdoğan in Ankara am 7. April stand für von der Leyen kein Sessel parat. Sie musste auf einem mehrere Meter entfernten Sofa Platz nehmen.Ein unüberhörbares „Ähm“ rutschte ihr raus, sie hob die Arme, halb überrascht, halb ratlos. EU-Ratspräsident Charles Michel nahm wie selbstverständlich neben Erdoğan auf dem Rokokosessel unter der EU-Flagge Platz. Ein Platzverweis für die Frau mit Symbolkraft. Ein Gespräch auf Augenhöhe? Nicht mit dir, Schätzelein.

Protokollarisch dreist, aber keine Überraschung. Schließlich sind Ehefrau und Töchter des deklarierten Islamisten Erdoğan vollverschleiert, würden niemals Hosen tragen wie von der Leyen –und geben auch keinem Mann die Hand. Erdoğan ist kein schlichter Muslim, er ist ein in der Wolle gewaschener Islamist.

In Brüssel war prompt vom „Sofa-Gate“ die Rede. Interessant: Diese Provokation war kein Zufall. Von der Leyen wollte das Treffen mit Erdoğan nutzen, um mit dem Islamisten auch über Frauenrechte und den Rückzug der Türkei aus der Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen und Kindern vor Gewalt zu sprechen. Noch bevor das Gespräch überhaupt losging, hatte der türkische Präsident also klargemacht, was er von Frauen hält – und wo so eine ihren Platz hat.

Danach ließ Erdoğan erklären, Sitzordnungen wären doch „nicht so wichtig“. Das dachte sich wohl auch sein Sitznachbar, der Belgier Charles Michel.

„Der Ratspräsident hätte Erdoğans Spiel nicht mitspielen dürfen!“ twitterten EU-Abgeordnete und Brüssel-KorrespondentInnen. In der Tat: Warum hatte Michel nicht protestiert? Schließlich hätte er einen dritten Sessel verlangen oder von der Leyen seinen Platz anbieten können. Ja, müssen!

Doch Michel hatte seine Gründe, die Sache auszusitzen. Nur zu gern hätte er schon vorher von der Leyens Platz an der Spitze in der EU eingenommen. In Brüssel wird das Verhältnis der beiden gerne als „wie zwischen Hund und Katze“ beschrieben. Michel nutze jede Bühne, sich in der Außenpolitik zu profilieren.

Auf Facebook beteuerte der 45-Jährige zwei Tage später (!), dass ihm die „bedauerliche“ Behandlung von der Leyens „nicht gleichgültig“ gewesen sei. Oho! Doch das reicht nicht. Konservative und Sozialdemokraten verlangten als größte Fraktionen im Europaparlament daraufhin eine Plenarsitzung. Und darin stellte Ursula von der Leyen klar: „Ich werde nicht noch einmal eine Behandlung wie beim EU-Türkei-Treffen akzeptieren!“

Charles Michel musste also nachlegen und erzählte nun den Medien: „Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich seither nachts nicht gut schlafe, weil sich die Szenen in meinem Kopf immer wieder abspielen. Wenn es möglich wäre, würde ich zurückreisen und die Sache reparieren.“

Da Zeitreisen ja noch nicht möglich sind, schlagen gleich mehrere ParlamentarierInnen Michel eine andere Reise vor: Raus aus dem EU-Parlament! Und Erdoğan, den sollte die EU gar nicht erst hereinlassen – und aufhören, sich ihm anzubiedern. Aber Wirtschaftsinteressen wiegen eben allemal schwerer, in der EU sogar traditionell schwerer als Menschenrechte.

ANNIKA ROSS

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