Ist das Homeoffice eine Frauenfalle?

Chantal Louis über das Homeoffice - eine Falle für Frauen.
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Natürlich klingt es erstmal zukunftsgewandt: Homeoffice. Die Menschen sparen sich den Arbeitsweg und schonen dabei auch noch das Klima, die Meetings laufen über Zoom angeblich effizienter als im Konferenzraum. Der Computer steht im Sommer auf dem Balkon, wo es erstens sonnig und zweitens viel ruhiger ist als im Großraumbüro. In der Mittagspause schnell mal eine Runde joggen und dann wieder entspannt an den Rechner.

Nur ist die Sache die: Die Menschen, die in dieser schönen neuen Arbeitswelt leben, sind in der Regel: männlich. So wie der Kollege vom Spiegel, der kürzlich in einer Hausmitteilung dafür gefeiert wurde, dass er im Homeoffice einen wunderbaren Artikel geschrieben hat, „während neben ihm im Kinderzimmer seine Tochter gewickelt wurde“. Klar, so ist die Arbeit im Homeoffice eine wahre Freude.

Und darum ist es auch kein Zufall, dass uns von zwei Männern verkündet wurde, wie toll die Heimarbeit angeblich ist. Der eine ist Hubertus Heil. Der Arbeitsminister kündigte seinen Gesetzentwurf, mit dem er das „Recht auf Homeoffice“ festschreiben will, mit folgenden Worten an: „Die vergangenen Wochen haben gezeigt, wie viel im Homeoffice möglich ist – das ist eine echte Errungenschaft, hinter die wir nicht mehr zurückfallen sollten“. Der andere Mann ist Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Er weiß: „Homeoffice bedeutet ja nicht heim an den Herd.“

Da waren sich der SPD-Minister und der CSU-Ministerpräsident ausnahmsweise einig: Homeoffice ist super! Allerdings ist den beiden Herren offenbar entgangen, wie viele Frauen
gerade am Rande des Nervenzusammenbruchs sind, weil vor allem sie dieses Kunststück möglich gemacht haben, das Hubertus Heil „Errungenschaften“ nennt. Und ist Markus Söder, selbst vierfacher Vater, wirklich entgangen, dass jede vierte berufstätige Mutter tatsächlich heim an den Herd gegangen ist, sprich: ihre Arbeitszeit reduziert bzw. die Erwerbsarbeit ganz eingestellt hat? In einer Umfrage unter Müttern und Vätern hat das Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) ermittelt: Die „Familien-, die Lebens- und die Arbeitszufriedenheit“ ist in den letzten Wochen bei den Vätern leicht – bei den Frauen jedoch „dramatisch gesunken“.

Ja aber, wird jetzt so mancher und so manche einwenden, das war doch eine coronabedingte Ausnahmesituation. Normalerweise sind die Kinder ja in der Kita oder in der Schule. Und dann ist Homeoffice doch eine prima Lösung, um Beruf und Familie zu vereinbaren. Aha. Und wer vereinbart? Dreimal dürfen wir raten. Richtig. Mama.

Eine Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung kam im Frühjahr 2019 diesbezüglich zu einem eindeutigen Ergebnis: Väter im Homeoffice arbeiten zu Hause im Schnitt sechs Stunden pro Woche länger als Väter im Büro. Dafür verbringen sie (noch) weniger Zeit mit ihren Kindern. Mütter im Homeoffice arbeiten ebenfalls mehr als in der Firma, durchschnittlich eine Stunde. Kümmern auch sie sich weniger um die Kinder? Natürlich nicht. Mütter im Homeoffice arbeiten länger und investieren mehr Zeit in die Familienarbeit. Von der sie auch ohne Homeoffice schon den Löwinnenanteil übernehmen: 21 Stunden pro Woche – bei Vätern sind es acht. Und an diesen Zahlen hat sich seit 20 Jahren kein bisschen geändert.

Das Homeoffice verstärkt also die Schieflage der Geschlechter, die wir ohnehin schon haben. Nur jedes siebte Elternpaar macht bei Kinderbetreuung und Hausarbeit halbe-halbe. Zwei von drei erwerbstätigen Müttern arbeitet Teilzeit – aber nur jeder 16. Vater. Damit ist Deutschland, das Land der „Rabenmutter“, in Sachen Gendergerechtigkeit nach den Niederlanden Schlusslicht in Europa.

„Die Hälfte der Welt für die Frauen – die Hälfte des Hauses für die Männer!“ Mit diesem Slogan war die Frauenbewegung in den 1970ern angetreten. Es war einer ihrer zentralen Kämpfe, die traditionelle Verbannung der Frau ins Haus zu beenden und den öffentlichen Raum zu erobern, der traditionell den Männern gehörte. Die sogenannte „Heimarbeit“ wurde damals zu 95 Prozent von Frauen geleistet. Frauen, die zu Hause nähten, Tüten klebten, Adresslisten tippten. Meist für Minilöhne.

„Eine Frau, die sich für Heimarbeit entscheidet, hat meist gute Gründe: Die Kinder bleiben nicht allein und der Haushalt läuft reibungslos weiter. Die Hausfrau arbeitet sozusagen ‚zwischendurch‘“, schrieb EMMA anno 1978. Ein knappes halbes Jahrhundert später gilt für die Mütter im „Homeoffice“ – klingt moderner, ist aber nichts anderes als „Heimarbeit“ – immer noch das gleiche.

Und noch etwas gehört damals wie heute zu den Gefahren der Arbeit zu Hause: „Zur üblichen Doppelbelastung durch Haushalt und Beruf kommt für die Heimarbeiterin die Isolation: Sie ist rund um die Uhr am Arbeitsplatz“, erklärte EMMA vor 42 Jahren. „Sie spart zwar den Weg zur Arbeitsstelle, andererseits hat sie keine Möglichkeit, mal mit Kolleginnen über ihre persönlichen und beruflichen Probleme zu sprechen, mal nach Feierabend ein Bier oder einen Kaffee mit den anderen zu trinken.“
Und während Männer beim besagten Bier auch ihre beruflichen Netzwerke knüpfen und karrierefördernd ausbauen, verschwimmt bei Frauen die Grenze zwischen Arbeitsplatz und Wohnzimmer bis zur Selbstauflösung. Resultat: Die Arbeit hört nie auf.
Das beschrieb übrigens schon Schiller in seiner berühmt-berüchtigten „Glocke“. Die „züchtige Hausfrau, die Mutter der Kinder“, waltet nämlich, wenn frau so will, auch im Homeoffice. Sie kümmert sich nicht nur um die Mädchen und Knaben, sondern, „dreht um die schnurrende Spindel den Faden“, um Wolle und Leinen zu produzieren. „Und füget zum Guten den Glanz und den Schimmer“. Und – jetzt kommen wir zur entscheidenden Stelle: „Und ruhet nimmer.“ Die Hausfrau mag 200 Jahre später nicht mehr ganz so züchtig sein, aber das Schiller’sche Prinzip gilt noch. Während Mama nimmer ruht, legt Papa, wenn er von der Arbeit nach Hause kommt, die Füße hoch und macht sich ein Bier auf.

Deshalb ist es für Frauen keine gute Nachricht, wenn Mark Zuckerberg ankündigt, dass Corona „einen langfristigen Wandel hin zur Arbeit außerhalb des Büros angestoßen“ habe und dass er damit rechne, dass demnächst die Hälfte seiner 50.000 MitarbeiterInnen von zu Hause aus arbeiten werden. Da wird das „Recht auf Homeoffice“ ganz schnell zur „Pflicht zum Homeoffice“ – für Mama.

„Der Gender Care Gap ist insbesondere unter den Beschäftigten mit Homeoffice und völlig selbstbestimmten Arbeitszeiten hoch“, weiß die Hans-Böckler-Stiftung. Mit anderen Worten: Das Homeoffice ist vor allem eins: eine Frauenfalle.

 

 

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