Mathematikerin: Ada Lovelace

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Augusta Ada Byron wurde am 10. Dezember 1815 in der Nähe von London geboren. Einen Monat später setzte ihre Mutter Annabella, geborene Milbanke, ihren Ehemann George Gordon Byron vor die Tür und beantragte die Scheidung. Die Ehe war kurz und qualvoll gewesen. Byron, ebenso berühmt für seine Dichtungen wie für Trinkgelage und Liebesaffären, hatte nach der Heirat sein lockeres Junggesellenleben nicht aufgegeben .Ein zärtlicher Ehemann war er auch nicht, im Gegenteil. Annabella bezichtigte ihn, sie während ihrer Schwangerschaft vergewaltigt zu haben. Augusta Ada lernte ihren Vater nie kennen. Nach der Scheidung verließ er England für immer und starb 36jährig in Griechenland. Die kleine, oft kränkelnde Ada wuchs unter dem strengen Regime ihrer herrschsüchtigen Mutter auf, die jede "byronische" Charakterregung in ihrer Tochter unterdrückte. Stattdessen ließ sie das Kind, sobald es sprechen konnte, in den verschiedensten Fächern unterrichten. Der Umgang mit Zahlen, seit je Annabellas liebstes Freizeitvergnügen, wurde - trotz des auferlegten Zwangs - bald auch zur Lieblingsbeschäftigung ihrer Tochter.

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Sie war 17 Jahre alt, als sie auf einer Party in London den exzentrischen Erfinder Charles Babbage kennenlernte. Er demonstrierte dort ein Modell seiner ersten Rechenmaschine, der "Difference Engine". Ada war sofort fasziniert. Sie bestürmte Babbage mit Briefen. Ihr Ziel war, seine Schülerin und Mitarbeiterin zu werden. Ada Byron unterhielt zahlreiche Korrespondenzen dieser Art mit Männern und Frauen der Wissenschaft. Nachdem sie sich als 19jährige in ihren Hauslehrer verliebt und versucht hatte, mit ihm durchzubrennen, blieb ihr zur Fortsetzung ihrer Ausbildung nur noch dieser Weg. "Ich glaube, daß nichts anderes als genaue und intensive Beschäftigung mit Themen wissenschaftlicher Natur meine Phantasie am Durchdrehen hindern und die Leere ausfüllen kann, die der Erlebnishunger in meinem Geist zurückgelassen hat", gestand sie kurz nach der Hauslehrer-Affäre Dr. King, einem Freund der Familie. Er antwortete mit moralischen Ermahnungen und mathematischen Erläuterungen.

Ein Universitätsstudium und der Zutritt zu wissenschaftlichen Bibliotheken waren zu Adas Lebenszeit, Anfang des 19. Jahrhunderts, den männlichen Adelssprößlingen vorbehalten. Doch zum großen Vorteil der Jungen aus Arbeiterfamilien und der - gar nicht so wenigen - adeligen Frauen, die sich für diese Themen interessierten, fand Wissenschaft auch außerhalb der Universitäten statt.

Mehrere wissenschaftliche Vereinigungen luden Forscher zu Vorträgen ein (bei denen auch Frauen zuhören durften) und gaben Zeitschriften für interessierte Laien heraus. Populärwissenschaftliche Bücher waren Bestseller. Die jeweils neuesten Erfindungen eines Babbage oder eines Faraday waren Partygespräch.

Zu Adas weiblichen Bekannten zählten etliche Wissenschaftlerinnen: die Mathematikerin Mary Sommerville, eine erfolgreiche Sachbuchautorin, die Astronautin Caroline Herschel sowie Harriet Martineau, Journalistin und Verfasserin von Ökonomie-Lehrbüchern. Die gelehrten Ladies waren selten genug, um von ihren Zeitgenossen als "Ausnahmen" bestaunt zu werden, aber doch zahlreicher als die offiziellen Geschichtsschreiber des 19. Jahrhunderts uns heute glauben machen wollen.

Leicht hatten sie es alle nicht. Denn die familiären und sozialen Pflichten einer viktorianischen Lady waren vielfältig und zeitraubend. Wer sie allzu sehr vernachlässigte, ruinierte schnell ihren guten Ruf. Nachdem Ada 1835 nach kurzer Brautwerbung Lord William King, den späteren Grafen von Lovelace, geheiratet hatte, hatte auch sie diese Pflichten am Hals. Dabei hatte sie gehofft, durch die Eheschließung der sozialen Kontrolle ihrer Mutter zu entkommen. Jetzt fand sie sich zusätzlich durch einen Ehemann kontrolliert. Nachdem sie innerhalb von vier Jahren drei Kinder geboren hatte, war ihr Zeitbudget ebenso begrenzt wie ihr finanzielles Budget, das sich auf ein bescheidenes "Nadelgeld" belief.

Trotzdem setzte Ada eisern ihre Studien fort. Nach langer Suche fand sie in dem Mathematiker Augustus de Morgan wieder einen Lehrer, der sie brieflich unterrichtete und "ihre außerordentliche Denkkraft" rühmte. Endlich entdeckte Ada auch eine Chance zur Zusammenarbeit mit dem von ihr so bewunderten Charles Babbage.

Dieser hielt 1840 in Turin eine Serie von Vorträgen über seine neue, verbesserte Rechenmaschine, die "Analytical Engine". Der Ingenieur Luigi Menabrea protokollierte die Vorträge und veröffentlichte eine Zusammenfassung in einer französischen Fachzeitschrift. Ada beschloß, Menabreas Artikel ins Englische zu übersetzen und ihn Babbage zur Verfügung zu stellen.

In der Autobiographie des Erfinders heißt es dazu: "Ich fragte sie, warum sie nicht selbst einen Original-Aufsatz über dieses ihr so wohlvertraute Thema geschrieben hatte. Darauf erwiderte Lady Lovelace, dieser Gedanke sei ihr nicht gekommen. Ich schlug dann vor, daß sie dem Menabrea-Protokoll einige eigene Anmerkungen beifügen solle."

Das ließ sich Ada nicht zweimal sagen. Mehrere Monate lang arbeitete sie an den "Anmerkungen", die schließlich den dreifachen Umfang der Menabrea-Übersetzung erreichten. Es sind diese "Anmerkungen", auf die sich Adas Ruhm als "erste Programmiererin" stützt. Sie stellt darin nämlich detaillierte Überlegungen an, welche Probleme mit Hilfe der "analytischen Maschine" zu lösen wären, und auf welche Weise die Operationen organisiert werden müßten.
In ihren Beschreibungen sind Organisationsprinzipien zu erkennen, die heutige Programmierer mit Schlagworten wie "Schleife", "Unterroutine", "bedingter Sprung" bezeichnen. Ausprobieren konnte Ada ihre "Programme" nicht; denn Babbages "Analytical Engine" wurde nie gebaut. Dem Erfinder fehlte es an Geld für ein so anspruchsvolles und riskantes Projekt.

Im August 1843 erschien Adas Übersetzung samt "Anmerkungen" in der Zeitschrift "Taylor's Memoirs". Die Autorin tarnte sich hinter den Initialen A.A.L. Ihre erste Publikation war ein großer Erfolg und Ada mächtig stolz darauf: "Ja, ich bin sehr zufrieden mit diesem meinem ersten Kind", schrieb sie. "Es ist ein ungewöhnliches Baby und wird zu einem Mann erster Größe und Macht heranwachsen." Wohlgemerkt, dies schrieb eine Frau, die bereits drei leibliche Kinder ihr eigen nannte! Kinder, von denen sie zugab, daß sie ihr meistens auf die Nerven gingen.

Von nun an hatte Ada große Pläne. Sie wollte nicht mehr nur die Rolle einer "Hohepriesterin von Babbages Maschine" spielen. Sie wollte selbst Laborexperimente anstellen und sah sich schon als "aufgehender Stern der Wissenschaft". Leider hielt die Wirklichkeit nicht Schritt mit ihren Ambitionen. Babbage verschleppte gemeinsam geplante Projekte; Michael Faraday, der Erforscher der Elektrizität, lehnte ihre Mitarbeit rundweg ab.

So schweiften Adas Interessen ohne Resonanz von außen von Thema zu Thema: Hatte sie sich gestern noch für Elektrizität und Magnetismus interessiert, war es heute die Hypnose und morgen die Wirkung von Giften. Plötzlich ließ ihre Begeisterung für die Naturwissenschaften nach und wandte sich der Musik zu; sie träumte von einer Karriere als Harfenistin und Sängerin.

"Ich fühle, daß mein zielloses, gegenstandsloses, nutzloses Leben zutiefst bedrückend ist", sah sie eines Tages ein. Es fehlte ihr an konkreten Aufgaben, die ihren Geist gefesselt und ihren Ehrgeiz befriedigt hätten.
Bevor Ada Lovelace am 27. November 1852 nach langem Leiden an Gebärmutterkrebs starb, lief ihr Leben einige Jahre lang völlig aus dem Ruder. Nach der Musik waren Pferdewetten ihre große Leidenschaft geworden. Sie machte Schulden, versetzte Familienschmuck und verschenkte Kostbarkeiten an ihren heimlichen Geliebten, einen adeligen Nichtsnutz. Ihr Abstieg läßt sich psychologisch als späte und selbstzerstörerische Rebellion gegen die moralischen und finanziellen Beschränkungen ihres Gräfinnenlebens deuten. Auf dem Totenbett äußerte sie den Wunsch, neben dem berüchtigten Vater bestattet zu werden und nicht im Lovelace-Familiengrab.

Wechselhaft wie Adas Leben verlief auch die Geschichte ihres "Nachruhms". Zunächst geriet ihr Name in Vergessenheit. Erst in den fünfziger Jahren erinnerten sich die ersten Computer-Pioniere ihres "Urahnen" Babbage und seiner "Übersetzerin" Ada Gräfin Lovelace. Als sich in den 60er Jahren Hardware und Software zu eigenständigen Gebieten mauserten, wurde Ada als "erste Programmiererin" gefeiert. Babbage und Lovelace gingen sozusagen ins Familienalbum der Computerei ein: er als "Vater" der Hardware, sie als "Mutter" der Software - ein schönes Paar.

Einen pikanten Höhepunkt erreichte Adas posthume Karriere, als 1979 das amerikanische Verteidigungsministerium eine neue Computersprache, ADA, nach ihr benannte. Danach erst entdeckten Feministinnen die Software-Pionierin. Kaum hatten sie Ada Lovelace ein Denkmal errichtet, wurde es wieder zerstört durch die Psychologin und Programmiererin Dorothy Stein. In ihrer Biographie "Ada. A Life and a Legacy" wies sie der Gräfin Rechenfehler, Übertreibungen und einen Hang zur Mystik nach und zog ihr Abstraktionsvermögen in Zweifel.

Ein Jahr später regte sich Widerspruch. Eine neue Biographie (Joan Baum: "The Calculating Passion of Ada Byron") gesteht Ada einen legitimen Platz in der Geschichte der Mathematik zu. Baum findet: Ada trägt den Titel "erste Programmiererin" zu Recht.

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