Alice Schwarzer schreibt

Merkels Idee war sie nicht

Foto: Christian Spicker/imago images
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Alle 26 EU-Staaten waren für Ursula von der Leyen – nur die deutsche SPD nicht, die ja bekannt ist für ihre Freude an Spitzenfrauen in der Politik. Auch Merkels Idee war von der Leyen nicht, sondern die von Macron. Der nun ist in echt bekannt für seine Freude an starken Frauen.

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Merkel hingegen scheint eher ein schlechtes Händchen fürs Personal zu haben. Denn wie man den blassen Manfred Weber als Spitzenkandidaten nach Brüssel schicken kann, ist schwer nachvollziehbar. Kein Wunder, dass den niemand will. Und zwar nicht, weil er Deutscher ist, sondern weil er so viel besser nach Landshut passt als nach Brüssel.

Sie sorgte auf jedem Posten für Überraschungen

Nun also Ursula von der Leyen, 60, die Europäerin und ewige Seiteneinsteigerin. Sie war bisher noch auf jedem Posten eine Überraschung bzw. hat für eine solche gesorgt. Als Familienministerin machte die Mutter von sieben Kindern unter Merkel eine moderne Familienpolitik (nach der unter Schröder gelähmten SPD-Ministerin). Und als Verteidigungsministerin war sie die erste, die ernsthaft versuchte, Korruption und Männerbündelei in der Bundeswehr Einhalt zu bieten (nach vielen Männern, die entweder Teil des Problems waren oder ihm machtlos gegenüberstanden). Das musste ja schiefgehen. Von Anbeginn an wurde die Verteidigungsministerin gegrillt für Probleme, die ihre Vorgänger verursacht hatten. Nun hat sie selber die überteuerten „Beraterverträge“ an der Backe, von denen aber noch nicht sicher ist, ob sie überhaupt davon wusste.

Jetzt also Brüssel, Von-der-Leyen-Terrain. Da ist die Tochter des CDU-Spitzenpolitikers Ernst Albrecht geboren und zur Schule gegangen. Und von da startete Vaters Liebling in die Welt, bestärkt von einer Mutter, die bis zu ihrem Tod nicht verwinden konnte, dass sie ihren geliebten Beruf als Journalistin für die Familie aufgegeben hatte. An Motivation und (psychologischen) Aufträgen fehlte es „Röschen“ also nicht.

Dennoch war die Frau, die über Jahrzehnte neben Merkel an der Spitze zu stehen schien und lange als Kanzlerkandidatin gehandelt worden war, noch nie eine „Freundin“ der Kanzlerin. Die Pfarrerstochter und Physikerin aus dem Osten fremdelte mit der brillierenden Frau aus dem Westen. Nicht bescheiden genug. Vermutlich sogar ambitiös und eitel.

Interessanterweise hat von der Leyen, die doch scheinbar alles richtig macht - gute Mutter und tüchtige Politikerin, pro Väterurlaub und pro Quote etc. - von Anbeginn auch mit dem Misstrauen und der Aversionen gerade vieler Frauen zu tun gehabt (wie jetzt auch auf Facebook bei EMMA). Nicht zuletzt aus den eigenen Reihen. Hätten ihre heutigen Kritikerinnen eigentlich auch gegen Herrn Weber protestiert? Nicht anzunehmen. Und da fängt es doch echt an, kläglich zu werden. Oder sind das etwa die Zensursula-Kreise? (Also die Kräfte, die einst gegen Ministerin von der Leyen eine Diffamationskampagne gestartet hatten, weil sie der Kinderpornografie im Netz an den Kragen wollte).

Happy End für von der Leyen. Zumindest vorläufig.

Gerade hatte es ja schon ganz so ausgesehen, als würde auch von der Leyen auf dem Friedhof der geköpften deutschen Politikerinnen landen. Doch Überraschung. Sie entflieht dank Unterstützung aus dem Ausland der Berliner Kleingeistigkeit und Gehässigkeit, ab Richtung Brüssel. Das ist doch mal ein Happy End. Zumindest ein vorläufiges.

Jetzt muss die in Europa hochgelobte und in Deutschland tief gehasste Politikerin zeigen, ob sie sich weiter was traut. Zu tun gibt es in dem behäbigen, volksfernen Polit-Koloss EU ja genug. Konkret wie symbolisch. Auf die Fotos mit von der Leyen und Lagarde dürfen wir uns jedenfalls schon mal freuen. 

Alice Schwarzer

 

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Von der Leyen gegen Sexismus

© Johannes Eisele/AFP/Getty Images
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Sie ist gerade mal fünf Wochen im Amt, da liegt das Thema auf dem Tisch: Jede zweite der 18.800 Soldatinnen in der Bundeswehr wird sexuell belästigt. Das zeigt eine Studie des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, für die 3.058 Soldatinnen befragt wurden. Ein Skandal, der wohl noch weiter in einer Schublade des Verteidigungsministeriums verstauben würde, wäre nicht Ursula von der Leyen gerade Chefin dieses Ministeriums geworden. Die Befragung der Soldatinnen fand nämlich 2011 statt, ist also schon drei Jahre alt. Es dürfte kaum Zufall sein, dass sie jetzt öffentlich wurde.

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Hinzu kommt: Die Studie wurde augenscheinlich glattgebügelt. Laut SpiegelOnline tauchten unangenehme Fragen, die noch in der Vorgängerstudie 2005 gestellt wurden, in der Studie von 2011 gar nicht mehr auf. So hatten 2005 drei Viertel der belästigten Frauen angegeben, sie hätten den Vorfall nicht gemeldet, weil sie sich ohnehin keine Konsequenzen erhofften - und wenn, nur negative.

100 Soldatinnen meldeten strafbare sexuelle Übergriffe.

Dazu hatten die Soldatinnen offenbar gute Gründe: Fast die Hälfte derer, die eine sexuelle Belästigung gemeldet hatten, erklärten, es habe entweder überhaupt keine Untersuchung gegeben oder diese sei stark verzögert worden. Ob sich dieser Missstand seit 2011 gebessert oder gar verschlimmert hat, ist nicht bekannt: Der zuständige Generalinspekteur hatte entsprechende Fragen aus dem Fragenkatalog gestrichen.

Dabei sind die Ergebnisse auch so schon deprimierend genug: Jede vierte Befragte gab zu Protokoll, ihr seien gegen ihren Willen pornografische Bilder gezeigt worden. Genauso viele Soldatinnen beklagten „unerwünschte sexuell bestimmte körperliche Berührungen“. Drei Prozent gaben sogar an, sie seien Opfer sexueller Übergriffe geworden. Das macht bei rund 3.000 befragten immerhin fast 100 Übergriffe im strafrechtlichen Bereich.

Das Phänomen ist nicht neu. Schon 2002, also ein Jahr nach dem Sturm der Männerbastion Bundeswehr durch die Frauen, berichtete EMMA über die ersten Belästigungen – und die erste Vergewaltigung in einer Kaserne. Auch die wollte der Vorgesetzte des Täters zunächst vertuschen.

Die Verteidigungsministerin will das Problem nun offenbar aus dem Dunkeln ans Licht holen und offensiv anpacken. „Die Bundeswehr braucht die fähigsten Köpfe“, sagte von der Leyen, „und davon sind ebenso viele weiblich wie männlich.“

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