B-Girlz in Action

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An ihren Rändern wirkt die Stadt Berlin viel größer und molochartiger als in ihrem Zentrum. Warenlager, Plattenbauten, immer weiter hinaus führen die Alleen in die Trostlosigkeit. Plötzlich taucht an einer Straßenecke im tiefsten Berliner Marzahn ein kleines Gebäude auf, das aussieht wie ein bemalter Schuhkarton. Ein Jugendfreizeitheim. Wummernde Beats dringen nach außen. Was hier aber niemanden stört. Die Straßen in Marzahn sind leer.

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Innen ist das Freizeitheim freundlich eingerichtet, mit Sofas, Kaffeeküche und Regalen mit Gesellschaftsspielen. Und einer Tanzfläche. Auf der zeigen sich Laura und Eva gerade ihre „neuen Styles“. Die beiden sind B-Girls, sprich Breakdancerinnen, und Teil der Crew „How I met a B-Girl“. Eines der raren Frauenteams in Deutschland. Die B-Girls trainieren schon seit fünf Monaten für den „Battle of the Year“ am 17. November in Montpellier, die inoffizielle Breakdance-Weltmeisterschaft.

Sieben Frauen sind dabei, sie kommen aus Hildesheim, Köln, Detmold, Jena, Leipzig und Berlin. Zwei Dinge verbinden sie:  Die Leidenschaft fürs Tanzen und der eiserne Wille, sich in der Breakdance-Szene als B-Girl-Crew durchzusetzen. Mädchen gelten dort immer noch als kuriose Randerscheinung, weil sie angeblich die Muskelkraft für die Moves nicht haben. Wer Laura und Eva an diesem Freitag zuschaut, merkt schnell: Die könnten so manchen B-Boy locker in die Tasche stecken.

„Beim Battle of the Year mit den Jungs mithalten – das wäre schon was“, sagt Laura. Sie ist 28 Jahre alt, kommt aus Thüringen und hat eine achtjährige Tochter mit dem Namen Amelie, die auch schon fleißig tanzt. Anstatt mit Breakdance aufzuhören, wie die meisten Mütter, unterrichtet Laura den Nachwuchs in der Region. Wenn sie am Wochenende auf Wettkämpfe fährt, bleibt Amelie beim Papa.

„Sobald die Leute aus der Szene sehen, was du kannst, bist du anerkannt“, sagt B-Girl Eva. Sie ist 21 Jahre alt und kommt aus Leipzig. Mit Anerkennung dürfte sie kein Problem haben. Eine scheinbare Ewigkeit steht sie auf ihren muskulösen Armen, wirbelt die Beine in schneller Folge hindurch, verharrt in einer akrobatischen Pose: „Freeze“ heißt die. „Ich hab mit Akrobatik angefangen, dann skaten und dadurch habe ich ein paar B-Boys kennengelernt“, erzählt sie. „Als ich gesehen hab, was die machen, dachte ich, das kann ich auch!“ Inzwischen tanzt Eva seit fünf Jahren. „Es ist wie eine Sucht!“ Eigentlich studiert sie Energie- und Umwelttechnik.

„Wenigstens eine von uns kriegt ‘nen vernünftigen Job, nicht wahr, Eva?“ ruft Skib, die gerade mit dem Rest der B-Girls vom Bahnhof kommt. Eine kesse Frau aus Berlin-Hellersdorf. Sie tanzt seit 2003. Neben ihr steht jetzt auch Suse. Suse und Skib arbeiten beide als Flug­sicherheitsassistentin.

Vor zwei Jahren waren sie schon mal beim „Battle of the Year“ in Montpellier und fühlten sich irgendwie wie am Katzentisch. Während die Jungs am Vorabend des Finales alle in der gigantischen Haupthalle tanzten, schoben die Veranstalter die Mädels in eine kleinere Halle ab. Das hat Suse und Skib genervt, schließlich wollen sie nicht von den B-Boys getrennt, sondern Teil der Szene sein. „Viele Frauen reißen erst die Klappe auf und wenn’s dann ans Battlen geht, kneifen sie“, sind die B-Girls sich einig.

Von den sieben B-Girls in Marzahn kneift keine. Es sind noch knapp acht Wochen bis zum Vorentscheid in Hannover und zwei Monate bis zum Battle in Frankreich. Die B-Girls schrauben, biegen und balancieren sich in die irrsten Posen: Flare, Windmill, Downrock, Ninetyniner und Turtle – alles kein Problem.

Das Ghettoimage, das sich zu Beginn von Hip-Hop und Breakdance in den US-Großstädten der 1970er Jahre etabliert hat und sich bis heute hartnäckig hält, bemüht hier keine. Loopi aus Jena ist 21 und studiert seit zwei Jahren Medizin, Ana Active aus Bielefeld macht gerade eine Ausbildung zur Heilerzieherpflegerin. Die 19-jährige Jilou aus Köln ist das Küken der Crew und hat gerade Abitur gemacht. Sie finanziert sich jetzt erst mal durch das, was sie am besten kann: Tanzen. Unfassbar dehnbar ist sie, wie eine Schlangenfrau verdreht sie sich, auf dem Boden oder in der Luft, gestützt von ihren Crew-Mitgliedern.

Breakdance ist nicht die Art von Tanz, zu der Mädels zum Hip-Hop-Beat nur ein bisschen mit dem Hintern in Hotpants wippen. Wer als B-Girl etwas auf sich hält, der hat keine Angst vor Schmerz und Schweiß. „Es bedarf ’ner Menge Mut und Ignoranz gegenüber blauen Flecken und gebrochenen Knochen, das ist schon bewundernswert, was die Mädels da leisten“, sagt Nika Kramer. Sie hat die Hip-Hop-Agentur „We B* Girlz“ aufgebaut und promoted und fördert die Frauen in der Breakdance-Szene.

Es gibt in Deutschland nicht viele Frauen, die Breakdance wirklich ernst nehmen, hart trainieren und dabei bleiben. Zum einen, weil die Szene in Deutschland klein ist. Zum anderen, weil das Battlen für viele Frauen einfach nichts ist. „Dabei müssen sich manche exponieren, das ist richtig Stress, das mag nicht jede. Und wenn man sich über ein paar Jahre genügend Credibility durch Battles verschafft hat, hören die Frauen wieder auf und trainieren andere“, sagt Kramer.

In Ländern wie Frankreich sei das anders.  „Die französische Hip-Hop-Szene ist riesengroß. Da treten beim nationalen Battle of the Year so viele B-Boys und B-Girls an wie hier bei einem internationalen.“ Die Mädchen haben dort auch ein anderes Selbstverständnis. Als die B-Girls in Deutschland noch damit beschäftigt waren, sich von dem Hip-Hop-Bitch-Image abzugrenzen, wie es in Medien und Popkultur präsentiert wird, traten die französischen B-Girls bereits in engen Jeans und mit  großen Ohrringen an. „Die hatten kein Problem damit zu sagen ‚Ich bin ein hardcore B-Girl, aber ich hab auch ’nen geilen Arsch und den darf ich auch zeigen‘“, sagt Kramer, die Breakdance-Events rund um die Welt organisiert und dokumentiert.

Die Frauen von „How I met a B-Girl“ sind glücklich, dass sie sich gefunden haben. Immer wieder sind sie über die Jahre mal gegeneinander, mal miteinander angetreten; mal hat die eine gewonnen, mal die andere. „Diese Crew hat sich gefunden, weil wir wirklich hart und richtig trainieren wollen“, sagt Eva. Und „Gewinnen“, sagt Laura. „Krass sein“, sagt Jilou. „Und richtig gute Freunde sein“, sagt Ana.        

Die Autorin ist Redakteurin bei der taz und gewann 2012 den 3. Preis bei dem von EMMA initiierten JournalistInnenpreis.

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Die B*Girlz
How i met a b-girl

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