Neuer Skandal an der Odenwaldschule

Huckele: Die Odenwaldschule hat ihre täterfreundlichen Strukturen nicht effektiv modifiziert.
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Gerade war es nach den Skandalen um den massenhaften Missbrauch von SchülerInnen an der Odenwaldschule und dessen verschleppte Aufklärung wieder still geworden um die ehemalige Vorzeigeschule, da teilt die Schulleitung mit: Ein Lehrer, der seit August 2011 an der Schule unterrichtete, wurde fristlos entlassen. Die Polizei hat seine Schul-Wohnung wegen des Verdachts auf den Besitz von Kinderpornografie durchsucht. Von Übergriffen auf seine SchülerInnen sei allerdings nichts bekannt, sagt die Präventionsbeauftragte der Schule, Regina Bappert.

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Der Lehrer hatte eine Wohngruppe der Schule geleitet. Das reformpädagogische Konzept der Odenwaldschule im hessischen Ober-Hambach sieht vor, dass LehrerInnen und SchülerInnen in sogenannten „Familien“ zusammenleben. Der Lehrer habe die Wohngruppe allerdings nicht allein geleitet und sei auch nicht bei den SchülerInnen untergebracht gewesen, erklärt Bappert.  Keine Institution, die mit Kindern und Jugendlichen arbeitet, sei „davor gefeit, dass sich Mitarbeiter bewerben, die sich grenzverletzend verhalten“.

Einige, die in den 1970er und 1980er Jahren Opfer des damaligen Schulleiters Gerold Becker und seines pädosexuellen Lehrer-Netzwerks geworden sind, fordern nun, die Schule zu schließen. „Die Odenwaldschule zieht offenbar nach wie vor Pädosexuelle an“, sagt Adrian Koerfer, Vorsitzender der Opfer-Organisation „Glasbrechen“. Auch Andreas Huckele, der 2010 maßgeblich an der Aufdeckung des Missbrauchs-Skandals beteiligt war, erklärt: „Ist in Deutschland nun jemand ernsthaft über die neuesten Ereignisse in Ober-Hambach überrascht? Ich nicht!“

Der heute 44-Jährige, der von 1982 bis 1985 in der „Familie“ von Schulleiter Becker lebte und von ihm über lange Zeit missbraucht wurde, sagt: „Täterfreundliche Strukturen ziehen Pädokriminelle an wie das Licht die Mücken. Die Odenwaldschule hat ihre täterfreundlichen Strukturen nicht effektiv modifiziert.“ Die radikale Forderung des Betroffenen: „Sperrt den Laden endlich zu!“ Schon im EMMA-Gespräch im November 2013 hatte Huckele gewarnt: „Durch die scheinbare Auseinandersetzung mit der Vergangenheit wird suggeriert, dass die Kinder und Jugendlichen heute dort sicher sind.“ Das aber scheint weiterhin nicht der Fall zu sein.

Hier das Gespräch mit Huckele und einem weiterem Missbrauchsopfer lesen.

 

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Der Justizminister & die Kinderfreunde

Justizminister Heiko Maas will das Sexualstrafrecht verschärfen. - © Frank Nürnberger
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„Hysterie“ alarmiert die Süddeutsche. „Regulierungswut“ in einer „vergifteten Atmosphäre“ konstatiert die 3sat-Kulturzeit. Und in einem Appell behaupten 27 WissenschaftlerInnen: „Der Diskurs über den sexuellen Missbrauch von Kindern ist weit über sein Ziel hinausgeschossen.“ Was ist passiert?

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Justizminister Heiko Maas (SPD) setzt endlich um, was seine FDP-Vorgängerin Leutheusser-Schnarrenberger unverantwortlicherweise über Jahre verschleppt hat. Und er hat Konsequenzen aus dem Fall Edathy gezogen. Der Parteigenosse von Maas und ehemalige Vorsitzende des Innenausschusses hatte unbestritten vielfach Bilder nackter Jungen bei einem kanadischen Händler bestellt. Weil diese Bilder offenbar nicht unter die gesetzliche Definition von Kinderpornografie fallen, da keine explizit sexuellen Handlungen zu sehen sind, hat Edathy deshalb zwar eine Rufschädigung erlitten, aber keine Strafverfolgung zu befürchten. Der gelernte Jurist zeigt bis heute keinerlei Unrechtsbewusstsein. Das hatte für Empörung gesorgt.

Verjährungsfrist
bei sexuellem
Missbrauch auf
30 Jahre erhöht.

Justizminister Maas will nun nicht nur diese Gesetzeslücke schließen. Bestraft werden soll künftig, wer eine „Schrift verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht“, die „die Wiedergabe eines ganz oder teilweise unbekleideten Kindes in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung zum Gegenstand hat“. Außerdem will Maas die Verjährungsfristen bei sexuellem Missbrauch erhöhen. Die Frist soll künftig ab dem 30. Lebensjahr einsetzen, statt, wie bisher, ab dem 21. Lebensjahr. Bei schwerem sexuellem Missbrauch, für den eine Verjährungsfrist von 30 Jahren gilt, könnte das Opfer also bis zum 51. Lebensjahr gegen den Täter klagen.

Auch der §174 zum „Sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen“ soll verschärft werden. Das Gesetz soll künftig berücksichtigen, dass „allein die überlegene soziale Rolle des Erwachsenen in einem Erziehungs-, Ausbildungs- oder Betreuungsverhältnis“ ein „Machtgefälle zu begründen vermag, ohne dass zwischen dem Erwachsenen und dem Jugendlichen ein konkretes Über- und Unterordnungsverhältnis besteht“.

Minister Maas will auch der Rolle des Internets beim sexuellen Missbrauch Rechnung tragen und demnächst das sogenannte Cyber-Grooming berücksichtigen: Wer ein Kind „mittels Informations- und Kommunikationstechnologie“ zu sexuellen Handlungen bringen will, soll bestraft werden.

Der Referentenentwurf ist noch zur Abstimmung in den Ausschüssen, da bricht schon eine Welle der Empörung über den Minister herein. Allen voran die von 27 WissenschaftlerInnen - 23 Männern und vier Frauen - die in ihrem Appell fordern: „Keine weiteren Verschärfungen im Sexualstrafrecht!“ Die „mediale Skandalisierung“ des Falles Edathy habe dazu geführt, dass jetzt legale „Nacktfotos von Kindern zur Kinderpornographie hochgestuft werden sollen“, schreiben sie. Die Bürger würden „unkalkulierbaren Gefahren ausgesetzt“. Das alles sei Auswuchs eines „erregten Diskurses“.

Das erinnert an den Slogan vom "Missbrauch des Missbrauchs".

Dieses Vokabular erinnert wohl nicht zufällig an einen anderen „Diskurs“, der vor 20 Jahren über das Land rollte. Der Slogan vom „Missbrauchs des Missbrauchs“. Eine Protagonistin dieser Welle, die das enorme Ausmaß des sexuellen Missbrauchs als Hirngespinst hysterischer Feministinnen zu diffamieren versuchte, war Katharina Rutschky. Der Titel ihrer 1992 erschienenen Kampfschrift: „Erregte Aufklärung“.  

Es ist sicher auch kein Zufall, dass unter den UnterzeichnerInnen des Appells alte Bekannte sind. Zum Beispiel Prof. Rüdiger Lautmann. Der machte 1996 als Soziologie-Professor an der Universität Bremen mit einer Untersuchung von sich reden, die die Pädophilie massiv verharmloste. Titel: „Die Lust am Kind“. Lautmann wörtlich: „Den Pädophilen glaube ich den Aufwand, mit dem sie sich um das Einverständnis des Kindes bemühen und die Ernsthaftigkeit, mit der sie ein Nein beachten.“ Und: „Sanfte Überredung“, wusste er, „ist sicher harmlos und mit dem hohen Maß an Verbalisierung im pädophilen Aushandlen notwendig verbunden“.

Der heute 78-jährige Lautmann war damals Mitglied in der „Arbeitsgemeinschaft Humane Sexualität“ (AHS), einem Sammelbecken für bekennende Pädosexuelle, wie zum Beispiel die Herausgeber des holländischen Journal of Paedophilia, Theo Sandfort und Frits Bernard. Oder Prof. Hartmut Kentler, der im Rahmen seines „Modellprojekts“ straffällige Jugendliche bei bekennend pädosexuellen Männern unterbrachte. „Auch pädosexuelle Kontakte“, hieß es in einem AHS-Positionspapier, könnten „gleichberechtigt und einvernehmlich gestaltet werden“.

Der Besitz von Fotos nackter Kinder - ein Grundrecht?

Auch Prof. Monika Frommel ist unter den UnterzeichnerInnen des Appells. Die emeritierte Professorin für Strafrecht an der Universität Kiel sieht die Sache so: „Es ist nicht nur legal, Fotos welcher Art auch immer von unbekleideten Kindern zu bestellen oder zu haben, sondern es ist eine Grundrechtsausübung.“

Als Grundrecht betrachtet Frommel augenscheinlich auch das Recht von Männern auf käuflichen Sex, weshalb sie auch in Sachen Prostitution strikt gegen jegliche Verschärfung ist. Was die Koalition da gerade plane, sei ein „getarntes Polizeigesetz“. Die Begriffe „Opfer“ und „Zwangsprostituierte“ seien „polizeiliche Etiketten“, hatte die Professorin a.D. auf einer Veranstaltung der Pro-Prostitutions-Lobby erklärt. Und „das Dritte Reich fing mit solchen Etikettierungen an“.

Zwanzig Jahre nach dem „Missbrauch des Missbrauchs“-Backlash zeigt sich nun, dass diejenigen, die sich vor allem für die Täter und selten für die Opfer interessieren, immer noch Einfluss haben. Die Medien springen auf den Hysterie-Zug und den Versuch auf, die überfällige Strafrechtsreform zum Schutz der (potenziellen) Opfer zu verhindern.

Was denn passieren würde, wenn der Entwurf des Justizministers durchginge, fragte die Kulturzeit-Moderatorin auf 3sat die Literaturkritikerin Ina Hartwig, die sich zuvor über die „aufgeregte moralische Stimmung“ beklagt hatte. Antwort: „Die schöne Unbefangenheit ginge uns verloren.“

Die schöne Unbefangenheit ist für so manches (Ex)Kind schon lange perdu.

P.S. Die „Krumme 13“, eine Plattform bekennender Pädosexueller, „begrüßt die Erklärung der 27 WissenschaftlerInnen ausdrücklich“. 

 

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