Eine Iranerin in Deutschland

Pegah Ferydony: "Ich fühle mich wie ein Kind, das in Ruinen spielt." - Foto Stefan Klüter/Photoselection
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Pegah, du hast eben so interessiert in der EMMA geblättert – und bist gleich bei den Femen hängengeblieben, die ziemlich freche Aktionen machen gegen Sextouristen.
Solche Aktionen gegen Sextourismus könnte Thailand auch gut gebrauchen! Ich war vier Monate dort. Und ich habe oft gesehen, wie sich deutsche Männer den Frauen gegenüber völlig daneben benommen haben. Ich war zum Beispiel mal in einem Massagesalon und habe mich dort massieren lassen. Da haben zwei Typen mit wulstigen Hälsen vor der Tür gestanden und eindeutige Gesten gemacht. Und das Mädchen hat mit dem Kopf geschüttelt und immer wieder gesagt „No, no! Das hier ist ein ernsthafter Massagesalon“. Irgendwann hat sie geweint und war völlig aufgewühlt. Die Thais sind so feine, zarte Menschen. Und es ist für sie ein totaler Gesichtsverlust, so behandelt zu werden. Viele deutsche Männer rechtfertigen sich damit, dass buddhistische Frauen angeblich viel freizügiger mit ihrem Körper umgehen. Das ist ein unvorstellbarer Selbstbetrug. Keine Frau prostituiert sich freiwillig. Das kann mir keiner erzählen.

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Das wird aber oft und gern behauptet, gerade in Deutschland.
Ich glaube, dass deutsche Männer sich in solchen Ländern die Bestätigung holen, die sie in Deutschland vermissen, weil die Frauen hier selbstbewusster sind. Ich habe das Gefühl, dass die Männer hier in einer Identitätskrise sind, weil sie nicht mehr genau wissen, was Frauen von ihnen wollen. Sie gehen dann in solche Länder und bilden sich ein, dass die Frauen sie ganz toll und ganz scharf finden. Und sind blind dafür, dass die Frauen dieses Spiel aus existenziellen Nöten mitspielen. Die Männer meiner Generation scheinen mir gerade sehr verwirrt. Ich glaube, ich möchte im Moment kein Mann sein.

In „Türkisch für Anfänger“ spielst du die streng gläubige Muslima Yagmur. Sie war damals die erste Figur im deutschen Fernsehen, mit der man dieses Thema humoristisch anging. Yagmur lässt sich morgens um fünf von einem plärrenden Moschee-Wecker wecken und isst im Ramadan heimlich Frikadellen.
Ich habe Yagmur mehr als pubertierenden Punk gesehen. Ein Mädchen, deren Mutter früh gestorben ist und die mit 14, 15 anfängt, sich ihre eigene Identität zu basteln. Da muss sie natürlich gegen den liberalen Vater rebellieren. Und irgendwann versteht sie, worum es eigentlich geht: Dass man sein Glück findet, und das findet man nicht in Dogmen, sondern in der eigenen freien Entfaltung.

Der Gegenpol, die Therapeutinnen-Mutter Doris, wird ja auch herrlich aufs Korn genommen.
Klar, alle kriegen ihr Fett weg: auch die Alt-68er und die Öko-Bewegung der 80er und diese Erziehung ohne Regeln. Das war das Schöne an der Serie.

Die Yagmur war deine erste große Fernsehrolle und schon der Durchbruch. „Türkisch für Anfänger“ hat vom Grimme-Preis bis zum Deutschen Fernsehpreis alle Preise abgeräumt.
Ich hatte ja zuerst den klassischen Weg versucht und mich an Schauspielschulen beworben. Ich wurde am Ende aber abgelehnt mit der Begründung: Es gäbe für uns ja nicht so viele Rollen an den Theatern und man wolle nicht so viele Migranten ausbilden, die dann am Ende arbeitslos sind. Dabei gibt es im Theater doch keinen Realitätsanspruch. Man kann sich zwar einen Wald auf der Bühne vorstellen, aber offenbar nicht, dass Gretchen braune Augen hat. Das hat weh getan. Ich dachte: Na gut, wenn die mich als Schauspielerin nicht wollen, dann werde ich halt Regisseurin. Und dann hab ich am Theater abgehangen und mir ganz viele Stücke angeguckt. Ich war Stammgast in der Kantine des Berliner Ensembles. Diese Atmosphäre, die Gespräche und Anekdoten habe ich aufgesaugt. Und da hab ich meine spätere Agentin kennengelernt. Die meinte: „Mädchen, du musst raus aus der Kantine!“ Sie war Schauspielerin, hat sich dann mit einer Casting-Agentur selbstständig gemacht – und ich war ihre erste Klientin. Im selben Jahr habe ich dann das Angebot für „Türkisch für Anfänger“ bekommen und angefangen, als Schauspielerin zu arbeiten.

Deine Eltern sind beide Musiker. Sie sind 1985 vor dem Khomeini-Regime geflohen.
Ihre Abschlüsse wurden hier aber nicht anerkannt. Sie konnten also ihren Beruf nicht ausüben, sondern haben bei einer berühmten Fastfood-Kette gejobbt oder Arztpraxen geputzt. Meine Eltern haben einfach alle Jobs angenommen, um uns drei über Wasser zu halten. Die Liebe zur Kunst und Kultur und vielleicht auch so was wie Talent habe ich von meinen Eltern.

Ist das eine Art Familienauftrag an dich?
Ja, das bestimmt auch. Wobei mein Familienauftrag aber wohl eher darin liegt, mich politisch zu äußern und zu engagieren. In unserer Familie waren Politik und Kunst immer ganz eng miteinander verknüpft. Mein Großvater war Operettensänger und politisch engagiert. Er hat für seinen Widerstand gegen den Schah im Gefängnis gesessen. Dann kam Khomeini, gegen den er wieder gekämpft hat, weil er Demokrat war.

Deine Großeltern sind im Iran gelieben?
Ja. Für einen Neuanfang waren sie wohl zu alt. Sie waren zwar sehr gebildet, aber das hilft einem dann nicht unbedingt. Auch die Gebildeten sind ja in Sippenhaft für das Vorurteil, dass Migranten hierher kommen und den Sozialstaat ausbeuten. Und gleichzeitig erkennt man deren Abschlüsse nicht an.

Hast du noch Kontakt zu deinen Großeltern?
Nein. Sie gehören natürlich nicht zur Facebook-Generation. Und ich selbst reise nicht in den Iran, weil es mir zu riskant ist.

Du sagst, dein Faible für komödiantische Rollen kommt daher, dass du damals gegen die Trauer deiner Eltern angespielt hast, indem du den Kasper gegeben hast.
Meine Eltern haben im Iran Dinge gesehen, über die sie bis heute nicht mit mir reden möchten. Da ist ein Trauma in unserer Familie. Das ist vergleichbar mit Kindern, die in Nachkriegsdeutschland in den Ruinen gespielt haben. So fühle ich mich manchmal: Wie ein Kind, das in den Ruinen spielt.

Du hattest früh Verantwortung.
Ja. Aber das ist ja auf der ganzen Welt in Krisen- und Kriegsgebieten so. Da müssen Kinder auf ihre Familien acht geben und können nicht mehr Kind sein.

Wo wirkt sich das heute auf dein Leben aus?
Ich habe was Getriebenes – im Positiven wie im Negativen. Ich kann mich überall auf der Welt wohlfühlen – und gleichzeitig nirgendwo. Es kommt immer der Punkt, wo ich wieder weg muss. Und eine andere Sache ist: Wenn ich Ungerechtigkeit begegne, dann geht mich das existenziell an. Ich empöre mich darüber nicht nur, sondern zermartere mir mein Hirn und mein Herz darüber, wie ich diesen Zustand ändern kann. Damit gehe ich meinen Freunden oft auf die Nerven, weil ich davon dann so zerfressen bin und mich leicht verzettle.

Deine Eltern haben sich scheiden lassen. Du bist bei deiner Mutter geblieben. Die ist, als du 16 warst, nach Frankreich zu ihrem neuen Mann gegangen. Du wollest aber in Deutschland bleiben. Hast du diese Entscheidung erkämpfen müssen?
Nein. Ich war in der elften Klasse und wollte meine Schule zu Ende bringen. Und ich wollte Theater spielen, was ja mit der deutschen Sprache verbunden war. Meine Mutter hat offenbar genug Vertrauen gehabt, dass ich das packe. Sie wird sich schon Sorgen und vielleicht auch Vorwürfe gemacht haben, aber das gehört zu den Dingen, über die wir nicht sprechen. Ich habe mich damals darüber gewundert, dass meine Mutter diesen Weg noch mal gehen wollte. Noch mal ein neues Land, noch mal eine neue Sprache.

Was macht sie heute?
Sie lebt wieder in Deutschland. Sie gibt Musikunterricht und kleine Konzerte. Alles für kleines Geld. An die Karriere, die ich hingelegt habe, hätte sie im Traum nicht gedacht. Als ich geboren wurde, wurde im Iran den Frauen verboten, überhaupt öffentlich stattzufinden.

Kein Wunder, dass deine Mutter dich früher immer als Jungen angezogen hat. Im (k)SZ-Magazin, in dem Prominente ihre Lieblings-Kleidungsstücke vorstellen, hast du kürzlich erklärt, dass du im Alltag kaum Kleider trägst und dich in einer schwarzen Hose mit Hosenträgern präsentiert.
Die iranischen Feministinnen haben sich die Haare abgeschnitten und gesagt: Ihr beschneidet mich in meiner Freiheit und in meiner Weiblichkeit, also nehme ich mir die Freiheit heraus, selbst zu bestimmen, was an mir weiblich und was männlich ist. Meine Mutter hatte auch immer männliche Vorbilder: ihren eigenen politischen Über-Vater, aber auch literarische oder intellektuelle. Das hat sie dann auf mich projiziert, und das habe ich auch von ihr geerbt. Ich selbst habe wenig weibliche Vorbilder und die, die ich habe, waren sehr eigenwillig.

Zum Beispiel?
Frida Kahlo. Die konnte man nicht einordnen. Sie hat zwar Röcke getragen, war von ihrer Power, ihrer Dickköpfigkeit und von ihren sexuellen Interessen her aber eher „männlich“. Oder andere Frauen, die sich nicht davon haben beeindrucken lassen, dass sie Frauen sind, sondern als Mensch gehandelt haben. Das fand ich immer beeindruckend. Über das (k)SZ-Magazin habe ich mich übrigens geärgert. Da stand bei allen anderen Prominenten ihr beruflicher Werdegang. Bei mir stand da nur: „Ist im Iran geboren, lebt in Berlin.“ Das passiert auch bei Rollen öfter: Da hat mein keinen Beruf, sondern ist einfach die Türkin.

Im SZ-Magazin bist du ja mit bloßem Busen zu sehen, ebenso in „Women without men“ in der Szene vor dem Spiegel. Ist diese „Enthüllung“ auch eine Art Protest gegen die erzwungene Verhüllung der iranischen Frauen?
Keineswegs! Diese beiden „Szenen“ haben weder miteinander zu tun, noch sind sie politisch zu bewerten. In der Filmszene geht es um eine junge Frau, die nach einer traumatisierenden Vergewaltigung das erste Mal Zugang zu ihrem eigenen Körper findet, indem sie sich nackt im Spiegel betrachtet. Im Fall des (k)SZ-Magazins wurden schlichtweg Prominente gebeten, nackt mit ihrem Lieblingskleidungsstück zu posieren, und das war nunmal die Hose.

Welchen Einfluss hatte dein Vater auf dich?
Einen großen. Mein Vater ist ein sehr liebevoller, warmer Mensch. Und sehr stur, dickköpfig und sehr bei sich. Ich glaube, ich kenne kaum jemanden, der so geradlinig und unkorrumpierbar ist, wie mein Vater. Und er ist verrückt nach Musik, vor allem nach klassischer Musik. Heute ist er inbrünstiger Kirchenmusiker. Zur evangelischen Kirche ist er sehr pragmatisch gekommen: Er war in Berlin auf der Suche nach einem kostenlosen Proberaum, in dem er Trompete üben konnte. Heute lebt er mit seiner Frau und vier Kindern im Pfarrhaus der evangelischen Gemeinde Bad Pyrmont und dirigiert den Posaunenchor.

Du selbst hast als Kind im Kirchenchor gesungen.
Ja. Das war der einzige Ort, wo ich mich nicht ständig dafür rechtfertigen musste, dass ich anders aussah. Man hat dort gesagt: Die Kirche ist offen für alle Kinder. Kommet zu uns!

Bist du auch zum Christentum übergetreten?
Ich habe mich nie taufen lassen. Aber ich habe viel über Christentum und Judentum gelesen. Der Islam war für mich lange kein Thema. Mit dem habe ich mich erst später beschäftigt, als mir klar wurde, dass wir Kultur-Muslime sind. Da geht es ja nicht nur um Religion, sondern auch um Sitten und Gebräuche. Als Kind wollte ich aber unbedingt deutsch sein. Ich wollte dazugehören. Und dann verleugnet man seine Herkunft bis zum Selbsthass. Man denkt: Mein Gott, warum bin ich bloß anders? Ich will ganz normal sein! Deshalb fühle ich mich in der Verantwortung für alle Leute, die in den Topf „mit Migrationshintergrund“ geworfen werden. Was für ein unsäglicher Begriff. Man soll doch bitte aufhören, diesen „Migrationshintergrund“ wie eine Krankheit zu behandeln. Es ist doch im Grunde eine Bereicherung.

Du wohnst in Berlin-Neukölln, das teilweise immer noch als Problem-Stadtteil gilt. Ist das ein Statement?
Ja. Viele Leute, denen ich begegnet bin, gingen selbstverständlich davon aus, dass ich aus Kreuzberg oder Neukölln bin. Und irgendwann dachte ich: Wisst ihr was? Dann zieh ich da auch hin! Und gucke mir mal an, ob es da wirklich so schlimm ist. Das war zu der Zeit, als die Ruetli-Schule dicht machte. Ich wohne jetzt in unmittelbarer Nachbarschaft zur Ruetli-Schule, die heute als Vorzeige-Projekt gilt. Und man glaubt nicht, wie international dieser Stadtteil geworden ist. Nicht multikulti, sondern wirklich international. In meiner Straße wird viel Englisch, Spanisch und Hebräisch gesprochen, weil junge Künstler aus der ganzen Welt dahin ziehen. Ich habe da auch Theater gespielt. Es war mir total wichtig, Geschichten aus Neukölln für Neuköllner zu erzählen und Teil des Kiezes zu sein.

Du spielst oft in explizit politischen Filmen mit. Von „Ayla“ über „Women without Men“ bis hin zu „The Green Wave“ über die iranische „grüne Revolution“.
Ich mag nichts, was dahinplätschert. Sondern wenn es in einem Film um relevante Konflikte geht, die erzählt werden müssen. Ich bin unter Regisseuren wahrscheinlich auch bekannt als eine, die um ihre Figuren kämpft. Zum Beispiel drehe ich gerade einen Film, in dem ich ein türkisches Zimmermädchen spiele, das sexuell belästigt wird. Und da ist es mir wichtig, dass der Konflikt, der daraus mit ihren Eltern entsteht, nicht ethnisiert wird. Man soll einfach diesen sexuellen Übergriff sehen. Denn das ist ein universeller Konflikt. Was in muslimischen Kreisen als „Ehrenmord“ bezeichnet wird, nennen die Medien bei deutschen Familien „Beziehungstat“ oder „Familiendrama“.

Du wirst oft als Türkin besetzt. Nervt dich das?
Dagegen ist an sich nichts zu sagen. Aber mich nervt schon, dass diese Geschichten von vornherein problembehaftet sind. Eine junge Deutsch-Türkin muss einen Konflikt mit ihrer Familie haben, alles andere gilt natürlich als unrealistisch. Aber das ist Quark. Ich finde, wir sollten vor allem darüber nachdenken, wie wir Mädchen und junge Frauen aus traditionellen muslimischen Familien stärken können. Und im übrigen auch die jungen Männer, die teilweise ja auch zwangsverheiratet werden. Und die sich so machomäßig verhalten, weil sie zutiefst verunsichert sind. Ich möchte heutzutage kein junger Türke in Neukölln sein.

Und wie könnten die jungen Frauen und Männer gestärkt werden?
Über Bildung! Die Unternehmen, die jetzt im Aufschwung so viel Gewinn machen, sollten eine Solidaritätsabgabe an die Bildungssysteme leisten. Es ist doch klar, dass LehrerInnen in Klassen mit 35 Kindern überfordert sind. Wenn wir es nicht schaffen, unsere Schulen auf Vordermann zu bringen, dann haben wir ein Problem. Und zwar auch für die nächsten Generationen.

Wie stehst du eigentlich zum Kopftuch?
Ich bin in einem Land geboren, in dem es die Kopftuchpflicht gibt. Die iranischen Frauen kämpfen seit 30 Jahren dagegen an. Meine Mutter wurde verprügelt, weil eine Haarsträhne unter ihrem Kopftuch hervorguckte. Trotzdem verteidige ich in Deutschland das individuelle Recht einer Frau, das Kopftuch zu tragen. Wenn es allerdings um öffentliche Ämter geht oder Orte, die frei von Religiosität sein sollten – Schulen, Universitäten, Gerichtshöfe – da gehört ein Kopftuch ebenso wenig auf den Kopf einer Lehrerin wie ein Kreuz an die Wand im Klassenraum. Da sollte man strengen Laizismus praktizieren. Ich finde aber, diese Kopftuch-Debatte hebt das eigentliche Thema aus den Schienen. Es geht nicht darum: Kopftuch – ja oder nein? Sondern: Wie werden Frauen in einer patriarchalen Gesellschaft behandelt?

Du moderierst seit 2011 den ZDF-Kulturpalast als erste Frau „mit Migrationshintergrund“. Siehst du dich als Role Model?
Das ist als Signal für die Gesellschaft sehr wichtig. Und als Ansporn für junge Frauen „mit Migrationshintergrund“, die sehen: Da gibt es Möglichkeiten! Ich kann in dieser Gesellschaft was darstellen.

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