Alice Schwarzer schreibt

Probleme im Stadtbild: Ist das Rassismus?

Was ist von der Aussage des Kanzlers zum "problematischen Stadtbild" zu halten? - Foto: Michael Thomas
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Spiegel-Reporter Jonah Lemm, 29, dürfte zufrieden sein in diesen Tagen. Denn es passiert nicht häufig, dass ein Text von ihm auf Position 1 von SpiegelOnline landet. Auch ist zu befürchten, dass er dafür nicht etwa kritisiert, sondern gelobt wurde.

Der Reporter aus dem Ruhrgebiet hatte sich nämlich nach nebenan begeben, ins Sauerland. Da hat er das Dorf Niedereimer besucht, begleitet von einer Fotografin. Wir erfahren und sehen: 1.857 EinwohnerInnen, öde Reihenhäuser, Laub auf den Bürgersteigen, ein Mähroboter, eine Deutschlandfahne, abgeblätterter Putz an einer Fassade und  DorfbewohnerInnen, die sich „in einer Großstadt nicht wohl fühlen würden“ (wie diese Spießer sagen) – und zuguterletzt, mit Blick von der Straße aus, das Haus der Familie Merz mit davor geparktem Polizeiwagen (in dem zwei Polizistinnen hocken, die den Kanzler bewachen und die gerne eine Toilette an ihrem Arbeitsort hätten). Also alles total banal und ohne jede politische Relevanz.

Wo der Bundeskanzler wohnt? Weiß jeder im Dorf. Jetzt wissen es auch alle außerhalb von Niedereimer. Wir Bürgerinnen und Bürger hatten uns das eigentlich anders vorgestellt – wo der Kanzler doch mal bei BlackRock Millionen verdient und ein Privatflugzeug hat. Aber nein, er ist ein Bürger von 1.857 in Niedereimer. Okay, es ist nicht Potsdam, aber eigentlich eher sympathisch, oder?

Doch darum geht es hier nicht. Es geht um Selbstgerechtigkeit und Hochmut und um die journalistische Anstandsregel, dass man die Adresse eines Menschen, der in der Öffentlichkeit steht, nicht veröffentlicht. Aus Sicherheitsgründen. Zumindest nicht ohne schwerwiegenden Grund.

Doch den schwerwiegenden Grund scheint es in den Augen des Spiegel-Reporters Lemm zu geben. Denn der Kanzler hat jüngst im Zusammenhang mit Migranten von einem „problematischen Stadtbild“ gesprochen. Und das ist „Rassismus“! Finden nicht nur selbsternannte „Anti-Rassisten“ am Prenzlauer Berg. Und mit Rassisten ist alles erlaubt. Oder?

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Aber ist das „problematische Stadtbild“ wirklich rassistisch? Ich meine: Nein! Es ist ein bisschen feige, so zu reden. Da schwurbelt einer, der die Dinge nicht beim Namen nennen will, um keinen Ärger zu kriegen. Und nun hat er den Ärger trotzdem. Und es ist typisch bürokratisch, so drumrum zu schwadronieren. Da geht es nicht um Menschen, sondern um „Stadtbilder“. So ein Quatsch.

Warum sagt der Kanzler nicht, dass es vor allem in kleineren Städten die auf den Ecken der Bahnhöfe und Marktplätze rumstehenden „Fremden“ sind, die Einheimische beunruhigen? Dieselben jungen Männer tun das übrigens auch in ihren Herkunftsländern, in Algier oder Casablanca. Sie hängen rum, machen Unsinn bis Kriminelles oder Frauen an. 

Denn sie haben zu viel Zeit, weil sie arbeitslos sind. In der Hoffnung, Arbeit zu finden, sind sie nach Europa gegangen – aber auch hier finden sie keine Arbeit, ja sie dürfen oft noch nicht einmal arbeiten.

Doch statt bei jeder unbeholfenen oder halbherzig verquasten Formulierung „Rassismus“ zu schreien in Deutschland (und bei jedem Landbewohner: Spießer), sollten die Kritiker besser dazu beitragen, dass diese jungen Männer Arbeit bekommen. Und sie sollten sie nach den gleichen Kriterien beurteilen wie Jungmänner-Banden mit blonden Haaren und blauen Augen.

Soziologisch ist es nämlich schon lange eine Binsenweisheit, dass keine Bevölkerungsgruppe heikler, ja gefährlicher ist als sich zusammenrottende junge Männer, ganz und gar unabhängig von ihrer Hautfarbe. Männer, die wurzellos sind und emotional nicht gebunden (siehe auch die Theorie von Walter Laqueur). Wenn diese Männer überschüssige Kräfte haben, kann das im Ernstfall bis hin zu Kriegen führen.

ALICE SCHWARZER

 

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