Armut gegen Moral

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In dem von Islamisten beherrschten Land Syrien gibt es keine Prostitution. Sie ist per Gesetz verboten. Aber wo Frauen arm sind und Männer Geld haben, blüht das System.

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Die Armut setzt jede Nacht in Syrien islamische Moral, Gesetze und Tabus außer Kraft. Neben Hunderten Osteuropäerinnen arbeiten auch immer mehr einheimische Frauen als Prostituierte. Viele von ihnen wurden von ihren Ehemännern in das Geschäft getrieben. Sogar Mütter bieten in aller Öffentlichkeit ihre minderjährigen Töchter feil.
Damaskus. Sie trinkt den Whiskey in hastigen Zügen. Gierig, als wenn er was gegen Durst wäre. Eiswürfel klimpern leise aneinander. Dann klatscht ein Mittvierziger, dessen Bartstoppeln auf unscharfen Gesichtskonturen wachsen, energisch in die Hände. Das Mädchen, das sich Nana nennt, stellt sein Glas zur Seite und bewegt sich auf eine grell beleuchtete Bühne zu.
Nana begann kurz nach ihrer Hochzeit, ihren Körper zu verpachten. Sie war gerade 18 Jahre alt; andere Männer hatte sie vor ihrem Ehemann nicht gekannt. Sie war ihm aus Lattakia, einer Provinzstadt im Westen Syriens, nach Damaskus gefolgt, wollte ihre kleinen Träume verwirklichen, Kinder haben und lernen, wie man eine gute Ehefrau ist.
Doch der gelernte Schneider fand keine Arbeit. Also brachte er seine junge Frau in eines der neonbeleuchteten Lokale am Stadtrand. „Du musst arbeiten“, hatte er gesagt, „wovon sollen wir sonst leben?“ Nana wusste keine Antwort, also ging sie. „Vorher wusste ich gar nicht, dass es solche Dinge überhaupt gibt“, sagt die heute 22-Jährige und lächelt freudlos und irgendwie verloren.
Nachts liegt die Luft schwer wie eine Wolldecke über dem Zentrum von Damas­kus. Staub und der stumpfe Geruch von Insektengift dringen in Nase, Mund, Lunge. Nach wenigen Schritten ist die Haut mit einem Schmutzfilm überzogen. Der Verkehr tobt drei- bis fünfspurig zwischen nackten Nutzbauten aus grauem Beton. Der Muezzin hat längst zum letzten Mal gerufen, nun mahnt nur noch das grüne Leuchten der Minarette zur Besinnung. Sterne sind nicht zu sehen, sie schaffen es nicht, sich durch Staub und Abgase zu zwängen.
Jeder fünfte Einwohner Syriens lebt unterhalb der Armutsgrenze. Und nach Sonnenuntergang beginnt in Damaskus die Schicht der Elenden. Eine alte Frau, so schwach, dass sie kaum stehen kann, verkauft jede Nacht auf der Brücke vor der Altstadt Brot. Männer mit verkrüppelten Beinen legen Decken auf den Asphalt, darauf breiten sie ihr Angebot an Kaugummis und Feuerzeugen aus. Bis zum Morgen ziehen magere, dreckverklebte Kinder bettelnd in den Straßen umher. Und Hunderte, vielleicht Tausende von Mädchen und Frauen beginnen ihre Tätigkeit, die in Syrien keinen Namen hat, weil es sie offiziell gar nicht gibt.
Das, was die Staatsmedien mit „Handlungen gegen den Anstand“ umschreiben, ist in Syrien per Gesetz verboten und kann mit bis zu sechs Jahren Haft bestraft werden. Die Syrer nennen die Frauen in der Prostitution „Tänzerinnen“, und die Clubs, in denen sie arbeiten, „Ballett-Kabaretts“. Doch egal, wie tabuisiert die Sache ist: Der Behördenapparat von Präsident Baschar al Assads sozialistischer Diktatur tole­riert das Gewerbe und verwaltet es nach standardisiertem Muster.
„Es gibt zwei Systeme. Zum einen sind da Lokale, in denen nur Osteuropäerinnen arbeiten, zum anderen solche, in denen arabische Mädchen auftreten“, erklärt einer, der die Szene von innen kennt. Der Insider, nennen wir ihn Ahmad, arbeitet für die staatliche Künstlergewerkschaft. Und dort muss jedes Mädchen, das in einem der Clubs auftritt, Mitglied sein. Da all die Ukrainerinnen, Russinnen, Rumäninnen nicht als Prostituierte nach Syrien kommen, das wäre ja gesetzeswidrig, registriert der Staat sie eben als „Künstlerinnen“.
Osteuropäische Schlepperorganisationen, die die Mädchen ins Land holen, unterhalten Außenstellen in Syrien, um ihren Einsatz vor Ort organisieren zu können. Fünf solcher Büros arbeiten offen in Damaskus, sagt Ahmad. 200 bis 300 osteuropäische Prostituierte gibt es in der Hauptstadt, schätzt er, und etwa noch einmal so viele in Syriens zweitgrößter Stadt Aleppo. „Jede von ihnen ist mit Zustimmung von Geheimdienst und Kriminalpolizei hier“, betont er.
Ahmad ist dafür zuständig, Verträge mit den Mädchen zu erstellen. „Zuerst sorge ich dafür, dass jede einen Gesundheitscheck inklusive Aidstest macht. Dann werden ihre Daten an den Geheimdienst übergeben. Über Interpol wird nachgeprüft, ob sie vorbestraft sind.“
Die Verträge regeln das Leben der Frauen bis ins Detail. Zunächst halten sie den Verdienst fest, damit der Staat an seine Steuern kommt. Der Lohn ist mit 20 bis 30 Euro pro Schicht in einem Club beziffert. Sechs Monate können sie bleiben, und es ist ihnen verboten, in dieser Zeit einen Syrer zu heiraten. Das Hotel, in denen die Schlepper sie unterbringen, dürfen sie tagsüber nicht verlassen – bis auf drei Stunden Freigang am Nachmittag.
Ob die Frauen unter Zwang stehen, darauf mag Ahmad keine Antwort geben, er winkt ab und verfällt dann in Schweigen. Über die Verbreitung von Zwangsprostitution in Syrien gibt es keine Daten. Ein Menschenhandels-Bericht des US State Department aus diesem Jahr spricht vorsichtig von „Anzeichen unfreiwilliger Arbeit“. Fest steht, dass jede ausländische Dienstleisterin ihren Pass abgeben muss.
Etwa 200 Clubs gibt es in Damaskus, schätzt der Gewerkschaftler. Daneben gibt es Zuhälter, die Freier auf der Straße werben und sie dann zu Frauen in möblierten Apartments bringen. Der zentrale „Märtyrerplatz“ mit seinen Imbissbuden und schmuddeligen Ein-Stern-Hotels ist so ein Punkt, an dem die Geschäfte mit dem Sex abgeschlossen werden. Männern, die nachts hier vorbeispazieren, preisen die Zuhälter ihr Angebot an – sämtliche Nationalitäten des osteuropäischen, afrikanischen und arabischen Raums sind darunter. Die Zahl der Prostituierten, denen so die Freier zugeführt werden, bewegt sich abseits jeglicher Schätzung.
Nana, die junge Syrerin, arbeitet an sieben Tagen pro Woche in einer Bar außerhalb der Innenstadt, einem Lokal an einer Schnellstraße, über die die Autos rasen, weil es nichts gibt, für das man halten könnte. Das Lokal gehört zu den bekanntesten in Syrien und gilt als eines der edelsten. Denn während sich im Zentrum vor allem Osteuropäerinnen feilbieten, arbei­ten hier nur arabische Frauen. Das gilt als niveauvoller, weil es gute, wahrscheinlich muslimische Mädchen sind, und eben keine Russinnen, die als moralisch verkommen gelten.
Es ist ein Abend unter der Woche, und drinnen, in einem weitläufigen Saal, sind nur einzelne Tische besetzt. Die Männer lehnen weitgehend reglos in ihren Stühlen, den Blick fest geradeaus gerichtet. Ab und an macht einer ein Foto mit der Handykamera. Die Wände sind mit sorgsam drapierten Bahnen aus synthetisch schimmerndem Goldstoff dekoriert; eine Band lässt launige orientalische Schlager aus den Lautsprechern dröhnen.
Über eine halbrunde Bühne aus billigem Marmorimitat läuft rund ein Dutzend junger Frauen im Kreis. Lange, grellfarbige Kleider tragen die meisten von ihnen, so eng, dass sich die dünne Synthetik bis tief in Haut- und Speckfältchen frisst. Anderen kleben knallenge Schlaghosen und bauchfreie Glitzertops am Körper.
Azad, der Mann mit dem Dreitagebart, gibt hin und wieder ein Zeichen. Dann gruppieren sich die Mädchen zu den Herren an die Tische, füttern sie mit Obststücken, rauchen gemeinsam ein paar Züge Wasserpfeife, kichern ein bisschen zu laut, ein bisschen zu schrill und machen Ter­mine für Haus- oder Hotelbesuche aus. Für Sex berechnen sie 20 bis 30 Euro. Nach einer Weile klatscht Azad erneut, und sie laufen wieder im Kreis.
Ali sieht wehmütig zu, wie seine Tisch­dame in Richtung Bühne entschwindet. Der 42-Jährige ist Stammgast. „An jedem Abend kommt die Polizei drei- bis viermal kontrollieren“, weiß er. „Um zu gucken, ob alles nach den Regeln läuft.“ Denn Regeln gibt es im streng überwachten Polizeistaat Syrien selbst im Rotlichtmilieu. „Die Mädchen dürfen keine Miniröcke tragen“, erklärt Ali. „Nur im Sommer sind kurze Sachen erlaubt.“ Außerdem verstößt es gegen die Vorschriften, wenn die Mädchen bei den Kunden sitzen. Sobald die Polizei kommt, ruft jemand ein Codewort, dann eilen sie auf die Bühne, weil sie ja so tun müsen, als seien sie Tänzerinnen. Sollte aber ein Ordnungshüter doch Grund zur Klage finden, ist er für ein wenig Bestechungsgeld in aller Regel bereit, über den Verstoß hinwegzusehen.
Derweil laufen die Mädchen, stundenlang, endlos, freudlos, ziellos. Manchmal schwingen sie das Becken oder streichen sich gegenseitig durchs Haar, in einer Pose, die wohl aufreizend gemeint ist. Sie scheinen erschöpft, angewidert, bis an den Rand der Apathie abgestumpft. Ab und an wirft ein Freier ein Bündel Scheine, der Geldregen trudelt auf das Marmorimitat. Zwei Jungen, elf oder zwölf Jahre alt, schießen dann auf die Bühne, sammeln mit gehetztem Eifer das Geld zusammen und bringen es zum Inhaber.
Auch Ahmad, der Beamte von der Gewerkschaft, sitzt in dem Saal, denn zu seinen Aufgaben gehört es, die Einhaltung der Vertragsbedingungen vor Ort zu überprüfen. Dass er hilft, in Syrien die Prostitution zu verwalten, bereitet dem gläubigen Sunniten längst keinen Kummer mehr. „Ich mache das nun seit Jahren“, sagt er und zuckt müde die Schultern. „Irgendwann habe ich mir gedacht: Die Mädchen arbeiten ja genauso wie wir alle.“
Nana wird jeden Abend um neun von ihrem Mann in den Club gebracht und früh um fünf wieder abgeholt. Dazwischen dreht Nana ihre Runden, um 25 Euro zu verdienen, jede Nacht seit vier Jahren, selbst während ihrer Schwangerschaften, und immer mit angstverkrampftem Magen. Denn sollte einmal ein Bekannter sie sehen, wäre ihre soziale Ächtung unwiderruflich. „Wenn meine Familie wüsste, was ich mache, wäre ich für sie tot“, sagt sie in seltsam unbeteiligtem Ton.
Einmal pro Woche muss sie gratis arbei­ten, um sich, wie der Betreiber sagt, an den „Verlusten zu beteiligen“. Wohl aus ähnlichen Gründen bekommt sie oft gleich ein paar Tage hintereinander kein Geld. Die Verträge mit der Gewerkschaft sollen die Mädchen vor Ausbeutung schützen, erklärt Ahmad. Angesprochen auf den einbehaltenen Lohn, sagt er nur knapp: „So etwas kommt nicht vor, das wüsste ich.“
Nanas blondierte Haaren lassen ihre Haut seltsam blass wirken, Knutschflecke leuchten dunkelrot auf Hals und Schultern, wie Male einer Krankheit. „Als ich das erste Mal hier gearbeitet habe, dachte ich: All diese Lichter, die Musik, das ist ja wie eine Hochzeit“, erzählt sie und lächelt schüchtern. Doch dann senkt sie den Blick abrupt auf ihre verschränkt zusammengekniffenen Finger, und sagt, nun ganz ernst: „Es war mir sehr unangenehm, und auch heute ist es noch sehr unangenehm. Ich arbeite gegen meinen Willen hier.“
Nana hat zwei Kinder, ein zweijähriges Mädchen und einen acht Monate alten Jungen. Tagsüber versucht die 22-Jährige, ein wenig Schlaf zu kriegen, bis sie sich wieder um Kinder und Haushalt kümmern muss, zwischendrin erledigt sie Termine mit Freiern. Sie blickt auf den Boden, raucht ohne Unterbrechung, stürzt Whiskey herunter.
Ob sie Zeit hat, sich ab und an in Ruhe mit ihren Kindern zu beschäftigen? Nana schweigt, kippt noch mehr Whiskey in sich hinein. „Nein“, antwortet sie nach der Pause. Schnell wechselt sie das Thema. Lange will sie sich nicht mehr prostituieren, in spätestens einem halben Jahr soll Schluss sein. Mittlerweile ist Nana seit vier Jahren in der Prostitution und hofft seither, dass sie es bald nicht mehr muss. Nun aber ist ihr Mann dabei, sich mit dem Geld, das sie verdient, einen Betrieb aufzubauen. „Bis die Schneiderwerkstatt Gewinn abwirft, muss ich das hier machen“, sagt Nana. Wieder ein Schluck Whiskey. „Aber ich bete jede Nacht, dass es die letzte ist.“
Dann klatscht Azad, Nana muss wieder auf die Bühne, Kreise laufen, noch ein paar Stunden. „Nicht eines der Mädchen hier ist glücklich mit dieser Arbeit. Manchmal weinen sie, weil sie raus wollen, wissen aber nicht, wie“, sagt Ali, der Stammkunde, und schaut betroffen drein. „Sie sind ja alle ungebildet, haben keine Ausbildung und sind an das Geld gewöhnt.“ Syriens Wirtschaft liegt am Boden; jeder Fünfte ist arbeitslos. Selbst, wer eine Arbeit hat, kann damit kaum sein Leben finanzieren. Das Durchschnittsmonatsgehalt stagniert seit den Achtziger Jahren bei 100 Euro, doch die Mieten steigen.
Der 42-jährige Ali ist verheiratet, doch eine der Prostituierten, die 23-jährige Abir, die in Wirklichkeit anders heißt, bezeichnet er als sein „Girlfriend“. Drei Mal in der Woche zieht es ihn her, seit Jahren. „Ich mag die Atmosphäre“, sagt er. Dann erzählt er die Geschichte von Abir. „Ihre Eltern haben sie hergebracht, als sie 17 Jahre alt war, zusammen mit ihrer 16- und ihrer 15-jährigen Schwester.“ Aus einem Dorf nahe Damaskus seien die Mädchen gekommen. „Der Vater war krank und konnte die Familie nicht mehr versorgen“, erzählt Ali. „Sie hatten keine andere Möglichkeit zu überleben.“
Abir kommt an den Tisch. Ihr gefällt es offenbar nicht, dass ihr Freund ihr Leben ausplaudert; sie hört eine Weile zu und zieht schlecht gelaunt an einer Zigarette. Schließlich erzählt sie doch selbst weiter. „Dann habe ich hier einen Mann kennen gelernt“, sagt sie. „Ich habe ihn geheiratet, weil ich dachte, er würde mich hier rausholen.“ Sie lächelt über sich selbst. „Zwei Monate später hat er mich wieder hergebracht.“
Mittlerweile ist Abir Mutter eines zweijährigen Mädchens und geschieden. Unterhaltspflichtig sind Väter nach einer Scheidung in Syrien nur, wenn das so im Ehevertrag steht. Doch meist setzen die Männer die Papiere auf. Abir stand nach ihrer Scheidung mit ihrer Tochter mittellos auf der Straße. „Nun muss ich wieder hier arbeiten, weil ich uns sonst nicht ernähren kann.“
Langsam wuchert Damaskus, die unkontrolliert wachsende Metropole, den vorderen Hang des Berges Qassioun im Norden hinauf. Auf der Rückseite, wo die Ränder der Stadt ins Dörfliche ausfransen, liegt ein weiterer bekannter Rotlichtbezirk. Ein Club mit greller Beleuchtung steht neben dem nächsten, dicht an dicht, über Hunderte von Metern hinweg.
Das Lokal, das Ahmad hier zur Kontrolle besucht, ähnelt dem ersten, ein großflächiger Raum voller Tische – nur ohne Marmorimitat oder drapierte Stoffe, ein zweckdienlicher Bau mit dem Charme einer Fabrikhalle. Auf den Plastikstühlen sitzen fast ausschließlich Saudi-Araber in traditioneller Kleidung, mit Tuch um den Kopf und weißer, bodenlanger Galabiya. „Hier tanzen Beduinen-Mädchen“, sagt Ahmad. „Darauf stehen die Saudis.“
Auf der laufstegähnlichen Bühne drängelt sich eine Gruppe Mädchen, die ältesten mögen 18 sein, die jüngsten sehen selbst mit viel Wohlwollen geschätzt nicht älter als 13 aus, und vollführt linkische Tanzbewegungen. Auch sie tragen knallenge, bunte Synthetik; ihre Show, das unsichere Aufreizen zu plärrender Musik, die abwegigen Kleider, all das sieht in bizarrer Weise aus wie eine Kinderfaschingsparty. „Alle Mädchen hier sind über 18“, behauptet Ahmad gegen das Augenscheinliche an. Darauf hingewiesen, dass viele der Mädchen aber offensichtlich noch in der Pubertät sind, antwortet er schulterzuckend: „Dann haben die Eltern eben die Papiere gefälscht.“
Ganz hinten, an der Rückwand, hocken Frauen mit Gesichtern von Greisinnen, die vermutlich unter vierzig sind. Tätowierungen um die Münder, doppellagige Schleier um den Kopf,  bunte, lange Gewänder. Beduinenfrauen, die Mütter der Mädchen. Sie sind hier, um ihre Töchter zu verkaufen. Ab und an verteilen sich die Mädchen an die Tische, rücken zu den Kunden heran, schieben Kinderhände zwischen Männerfinger. Wenn einer der Freier sich auf ein Gespräch einlässt, eilt die Mutter hinzu, um das Geschäftliche zu regeln. Viele von ihnen stammen aus dem Irak, vermutet Ahmad. Doch seitdem der Krieg das Land ins blutige Chaos gestürzt hat, gehen Islamisten mit Todesdrohungen gegen solche Auftritte vor.
Für Sex würden sich die Mädchen jedoch nicht hergeben, behauptet Ahmad. „Kein Beduinenmädchen würde mit einem Mann schlafen, ohne mit ihm verheiratet zu sein“, sagt er. Hussein, ein Taxi­fahrer, der regelmäßig Freier auf die Rückseite des Qassioun bringt, schildert eine andere Wirklichkeit: „Für hundert Euro bekommt man dort alles, was man sich erträumt“, sagt er und grinst breit.
Doch auch die Eheschließung ist in Syrien ein durchaus üblicher Weg zum schnellen Sex. Möglich gemacht wird das durch das syrische Recht, paradoxerweise gerade weil es auf der islamischen Scharia beruht: Demnach kann ein Mann sich scheiden lassen, indem er dreimal zu seiner Frau sagt: „Ich bin von dir geschieden.“ Keine Anwälte, keine Ansprüche, kein Nichts. Die Ehe hat danach so gut wie nie bestanden.
„Die Hochzeitsfeiern finden hier im Club statt“, erzählt Ahmad. Groteske Parodien einer Eheschließung, zur Feier des Tages, an dem ein Erwachsener eine Minderjährige zur sexuellen Ausbeutung kauft. Mehrere Tausend Euro Brautgeld sollen es sein, die für ein Mädchen in Rechnung gestellt werden können – für eine Beduinenfamilie ein Vermögen. Der „Ehemann“ kann das Mädchen danach so lange bei sich behalten, wie es ihm gefällt, und wenn er ihrer überdrüssig ist, kann er sie einfach wieder nach Hause schicken. Die Mädchen tanzen mit der Hingabe derer, die um ihr Leben kämpfen.
„Ich ernähre meine Familie“, sagt ein vielleicht 15-jähriges Mädchen mit Stolz. Doch kaum, dass das Gespräch begonnen hat, steuert der Lokalinhaber mit misstrauischer Miene auf uns zu. Seine gönnerhafte Höflichkeit zeigt, dass er die Besucherin, die Ahmad mitgebracht hat, für eine Prostituierte hält, was für eine Frau käme auch sonst in so einen Laden. Es ist besser, das Gespräch abzubrechen.
Nach einer Weile, wenn die Kunden die Mädchen ausgiebig begutachtet haben und die Geschäfte ausgemacht sind, verlässt die Gruppe das Lokal. Mütter und Töchter ziehen weiter durch die Nacht, von einem Club in den nächsten. Wer hier keine Geschäfte abschließen konnte, hat vielleicht eine Tür weiter Erfolg. Dafür kommen in fließendem Übergang rund 50 neue Mädchen mit ihren Müttern herein. Wie in Endlosschleife zieht sich die Show über Stunden, nur mit immer neuen Gesichtern. Erst, wenn der Morgen kommt, schließen die Lokale.
Der Muezzin hat das erste Allahu Akbar des Tages bereits gesungen.

Gabriela M. Keller, EMMA März/April 2007
Die deutsche Journalistin lebt und arbeitet seit einigen Monaten in Damaskus.

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