Loverboys: "Weil ich ihn liebe"

Artikel teilen

Glauben PolitikerInnen wirklich, Sexarbeit sei ein ganz normaler Beruf – oder fallen sie seit Jahren auf die Pressearbeit der Bordell- und Huren-Lobby rein? Mich beschäftigt dieses Thema seit 2014. Es treibt mich um, seit ich bei Recherchen zu einem Krankenhausskandal für den Spiegel Katharina kennengelernt habe. Fast elf Jahre lang musste die junge Frau aus Bayreuth ihren Körper verkaufen, 25.000 Männer haben sie in dieser Zeit benutzt. Ihrem ersten Freier musste sie sich anbieten, da war sie noch keine 18 Jahre alt. Das alles für einen Mann, der ihr Liebe vorgegaukelt hatte. Ein Mädchen aus einer gutbürgerlichen bayrischen Familie, der Vater Anwalt, die Mutter Hausfrau. Heinz, wie wir ihn im Buch nennen, war ihr Reitlehrer gewesen. Er war 36 Jahre älter und versprach ihr eine gemeinsame Zukunft, sie beide zusammen auf einem eigenen Reitstall. Die 17-Jährige glaubte ihm. Als sie begriff, dass der einfühlsame Heinz ein mehrfach vorbestrafter Krimineller war, war es zu spät.

Anzeige

Ob ich Interesse hätte, mit ihr ein Buch über ihre schrecklichen Jahre zu schreiben? Klar, das klang nach einer besonderen Geschichte. Ich ahnte allerdings nicht, dass mich das Thema nicht mehr loslassen würde. Bis heute.

Katharina begriff zu spät, dass Heinz ein mehrfach vorbestrafter Krimineller war

2014 hatten Katharina und ich ein erstes Gespräch, sie war sehr ehrlich – und schwer traumatisiert. Das Elend im Bordell hatte sie sehr bald nur noch mit Alkohol ertragen. Vier, fünf Flaschen Prosecco am Tag, dazu ein, zwei Flaschen Wodka waren normal. Mehrmals landete sie mit fast vier Promille im Krankenhaus, weil ihre „große Liebe“ sie fast totgeschlagen hatte. Nachdem sie den Ausstieg endlich geschafft hatte, brauchte Katahrina mehrere stationäre Therapien, sie ist bis heute in psychiatrischer Behandlung. Sie hat inzwischen ihre Alkoholsucht überwunden, ihren Schulabschluss nachgeholt und arbeitet in einer Steuerkanzlei.

Ich konnte Akten einsehen, Vernehmungsprotokolle, Polizeiunterlagen, Gutachten, Gerichtsurteile …

Ich tauchte ein in eine Welt, die mir fremd war. War das ein Einzelschicksal? Nein, das war es nicht. Gleich bei einem unserer ersten Gespräche erzählte mir Katharina, dass 90 bis 95 Prozent der Frauen, die sie im Milieu kennengelernt hatte, sich nicht freiwillig prostituiert hätten.

Wenig später saß ich bei einem Bordellbetreiber im Ruhrgebiet, ein befreundeter Anwalt hatte mir den Kontakt gemacht. Der Türke wurde mit Handkuss von seinen Untergebenen begrüßt und beschwerte sich mit angeekeltem Gesicht über Bulgaren und Rumänen, die nicht nur ihre Frauen auf den Strich schickten, sondern auch die eigenen Töchter.

Mein nächster Gesprächspartner war der Wirtschafter eines großen Laufhauses, der gerade kistenweise RedBull und Wodka eingekauft hatte – „für die Weihnachtsfeier der Mädchen“. Die „Mädchen“, erzählte er, würden sich immer wieder nach draußen schleichen, um ihren Zuhältern Geldrollen zuzustecken.

In den darauf folgenden Jahren habe ich viele Gespräche geführt, im Milieu, mit Justiz und Polizei, mit Frauen von Sisters, Solwodi oder Windrose … Dabei entstand ein düsteres Bild: die Welt von Katharina.

Als "Frischfleisch" wurde Katharina durch Bordelle und Laufhäuser geschickt

Sie hatte anfangs in Laufhäusern gearbeitet, und mitbekommen, wie neue „Kolleginnen“ aus Osteuropa in Tränen ausbrachen, wenn ein Mann mit ihnen aufs Zimmer wollte. Oder die Afrikanerinnen, die im Bordell auf der untersten sozialen Stufe standen. Sind die eigentlich jemals wieder nach Hause gekommen? Und was ist aus den Frauen geworden, deren Familien gar keine Ahnung haben, wo ihre Tochter, ihre Schwester gelandet ist?

Als „Frischfleisch“ wurde Katharina anfangs durch verschiedene Bordelle und Laufhäuser geschickt. Nach kurzer Zeit pachtete Heinz in Bayreuth einen Club, ein Bordell mit angeschlossener Animierbar. Da hat Katharina mitbekommen, wie Zuhälter „ihre“ Frauen brachten – und wie sie regelmäßig kamen, um die Einnahmen „ihrer“

Frauen abzuholen. Für Katharina war das damals völlig normal, sie kannte es nicht anders.

Ebenso normal war es für sie, dass eine Prostituierte, die weg will von ihrem Zuhälter, einen Abstand zahlen muss. Katharina, die in acht Jahren schon viele hunderttausend Euro für Heinz verdient hatte, sollte ihm 15.000 Euro bezahlen, um sich von ihm loszukaufen. Katharina lebte damals in einer Parallel-Welt. Sie kannte es nicht anders. Heinz hatte sie, das ist rückwirkend ihre Erklärung, programmiert wie einen Computer. Dazu kam, dass sie rund um die Uhr arbeiten musste und das Leben im Bordell nur völlig betrunken ertragen konnte.

Was sind das nur für Männer? Diese Frage habe ich mir während des Schreibens mit Katharina immer wieder gestellt. Sie beschrieb mir Perverse, für die sie das unartige kleine Mädchen spielen musste, das dann einen Klaps auf den Po bekam; erzählte von denen, die ihr absichtlich weh taten beim Sex und von denen, die sie schlugen, wenn sie sie nicht zum Orgasmus bringen konnte.

Die offensichtlichen Misshandlungen durch "ihren Mann" waren den Freiern völlig egal

Katharina erzählte mir auch von den Misshandlungen durch den Mann, den sie lange „ihren Mann“ genannt und den sie für ihre große Liebe gehalten hatte. Manchmal konnte sie weder laufen noch sitzen nach seinen Prügelorgien. Sei das nicht geschäftsschädigend gewesen, habe ich Katharina gefragt. Die musste daraufhin nur traurig lachen – sie hätte nie besser verdient als im malträtierten Zustand. Mehrmals landete sie mit gebrochenen Knochen und schweren Prellungen im Krankenhaus. Sie kann bis heute nicht mit der rechten Hand schreiben, weil „ihr Mann“ ihr den Daumen mehrfach gebrochen hat.

Und sie hat für den Mann, der ihr das alles angetan hat, immer wieder gelogen. Nur so konnte er der Strafverfolgung entgehen. Mal hatte sie sich angeblich selbst verletzt, mal war sie gegen ein Waschbecken gelaufen … In den Unterlagen, die ich einsehen konnte, befinden sich auch Polizei-Berichte. Danach war Ärzten und Beamten klar, dass Katharina Spuren schwerer Misshandlungen aufwies, die sie sich niemals selbst hätte beibringen können.

Warum hat sie gelogen für den Mann, der in ihr nur eine Art Sklavin sah, die ihm viel Geld einbringen musste? Warum ist sie nicht einfach abgehauen, spätestens als sie Angst hatte, irgendwann schlägt er mich tot?

Katharina konnte nicht gehen, sie konnte sich nicht retten. Sie war diesem Mann hörig. Um zu verstehen, wie Katharina in eine solche verhängnisvolle Abhängigkeit geraten konnte, habe ich mit der Psychiaterin Nahlah Saimeh lange Gespräche geführt. Sie hatte schon mehrfach mit Loverboy-Opfern und -Tätern zu tun. Für sie ist Heinz der Typ narzisstischer Psychopath, völlig empathielos mit seinen Opfern. Wie ein „Trüffelschwein“ würden diese Männer ein Mädchen erkennen, das auf ihre Liebesschwüre und Geschichten von einer gemeinsamen Zukunft hereinfällt.

Zur klassischen Vorgehensweise dieser Loverboys gehört, dass sie ihre Opfer völlig von Familie und FreundInnen isolieren. „Ich oder die anderen, du musst dich entscheiden,“ hatte auch Heinz von Katharina gefordert. Schließlich gebe es nur noch einen Menschen für die Opfer: den Täter. Auch Katharina konnte sich am Ende ein Leben ohne diesen Mann gar nicht mehr vorstellen.

Statt Plakataktionen: das Austrocknen des Marktes durch ein Sexkaufverbot

Als ich mit der Arbeit an diesem Buch anfing, hatte ich wenig Ahnung von der grausamen Welt, die ich da kennenlernen sollte. Mir ging es in etwa so wie den Befragten der Allensbach-Umfrage, die EMMA kürzlich veröffentlicht hat: Prostitution ist ein übles Geschäft, aber war irgendwie schon immer da. Und es gibt doch auch Frauen, die das freiwillig machen … Inzwischen weiß ich: Freiwillig machen es nur die wenigsten.

Mit Plakataktionen und Aufklärungskampagnen wollen PolitikerInnen in Nordrhein-Westfalen jetzt Opfern von Zwangsprostitution helfen. Mit Plakaten gegen das organisierte Verbrechen. Chapeau! Dabei müsste eigentlich auch jedeR Provinz-PolitikerIn wissen, dass Bordelle, Laufhäuser, Straßenstrich fest in der Hand von Rockerbanden und arabischen oder türkischen Clans sind.

Da hilft nur ein konsequentes Austrocknen des Marktes. Ein Sexkaufverbot, damit es sich für Menschenhändler und Loverboys nicht länger lohnt, „ihre“ Frauen in Deutschland auf den Markt zu werfen. Das würde Hunderttausenden Frauen ein elendes Leben ersparen. Auch Katharina wäre viel Leid erspart geblieben und sie hätte ein ganz normales Leben führen können.

Seitdem das Buch von Katharina und mir im April 2020 auf den Markt gekommen ist, wurde ich mehrfach in den Bundestag und den Landtag von Nordrhein-Westfalen eingeladen. Die Reaktionen sind immer sehr freundlich, tief bewegt hätten sie die Schilderungen, höre ich immer wieder. Aber ändern wollen die meisten danach trotzdem nichts an ihrer Einstellung. Wie lange noch?

BARBARA SCHMID

Weiterlesen
Barbara Schmid und Katharina M.: Schneewittchen und der böse König (mvg Verlag)

Artikel teilen
 
Zur Startseite