Prostitution: Wo ist euer Mut?

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Vor einigen Wochen besuchte ich als Lehrerin mit meiner Klasse und einem Kollegen den deutschen Bundestag. Dort hatten wir die Möglichkeit eines Gespräches mit zwei ExpertInnen der Linksfraktion, unter anderem der für Frauenpolitik, die uns von aktuell relevanten Themen berichtete. Und so kamen wir auf die derzeitige Diskussion um eine erneute – eventuell auch radikale – Änderung der gesetzlichen Regelungen von Prostitution in Deutschland zu sprechen.

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Ich war schockiert, dass die „Expertin“ der Linksfraktion offenbar kein dezidiertes Wissen zum Nordischen Modell besitzt – um dessen Einführung die derzeitige Debatte ja grundsätzlich kreist. Schlimmer noch: Anstelle von Fakten hörten wir lediglich Ungenauigkeiten, leere Phrasen, wissenschaftlich schlicht als falsch und ethisch als hochgradig fragwürdig zu bezeichnende Behauptungen. Weder konnte die „Expertin“ konkrete Studienergebnisse benennen, noch kannte sie Staaten, die das Nordische Modell bereits praktizieren. Trotzdem kam sie zu der Schlussfolgerung, dass ein „Prostitutionsverbot“, wie sie es nannte, nur den „Sexarbeiterinnen“ schade, von denen es viele „glückliche und selbstbestimmte“ gäbe.

Die "Expertinnen" hatten überhaupt kein Wissen zum Nordischen Modell

In Anbetracht der Zustände, die republikweit und auch in Berlin auf den Straßenstrichs und Laufhäusern herrschen, kann ich diese Äußerung im besten Fall als naiv bezeichnen, im schlimmsten jedoch als mutwillig ignorant, menschenfeindlich und zynisch.

Dies ist zum einen situativ als kritisch zu beurteilen – im Hinblick auf die politische und menschliche Bildung der anwesenden Jugendlichen, die einer Person in solch einer Position fast unreflektiert Glauben schenken. Zum anderen ist für die Zukunft der Frauen und Mädchen dieses Landes zu befürchten, dass dieser Mangel an Information und Diskursfähigkeit auch längerfristige, verheerende Auswirkungen auf die Frauenpolitik ihrer Fraktion und die Existenz tausender prostituierter Frauen und Mädchen, ja aller Frauen und Mädchen in Deutschland haben wird.

Ich habe daraufhin an die Linke geschrieben. Nachdem ich zwei Monate keine Antwort erhielt, schrieb Frau Möhring vom Frauenplenum mir auf Nachfrage nur, dass man sich nicht mit meinen feststehenden Positionen auseinandersetzen würde, da mein Brief zu unfreundlich sei.

Seit wann arrangieren sich linke Frauen, statt radikale Forderungen zu stellen?

Seither frage ich mich: Seit wann, linke Frauen, kämpft ihr nicht mehr für die radikale Idee, dass die Würde aller Frauen und Mädchen unantastbar ist, egal, wie weit entfernt und lächerlich diese Idee im Angesicht der Wirklichkeit erscheint? Seit wann, liebe Mütter, arrangiert ihr euch lieber in den bestehenden Verhältnissen und biedert euch an schlimmste patriarchale Systeme an, anstatt radikale Forderungen für die Zukunft ihrer Töchter zu wagen? Seit wann, Schwestern, glaubt ihr, dass Laufhäuser, Verrichtungsboxen und Abfertigungstoiletten das sind, was Deutschland den ärmsten, jüngsten und schwächsten Frauen Europas zu bieten hat?

Dies sind Orte, an denen Frauen vernichtet werden! Und es sind anscheinend die Orte, an denen eure Gesinnung gestorben ist. Gestorben an Feigheit, die längst in jede Zelle unseres Daseins gekrochen ist, dem Schrecken der Realität ins Gesicht zu blicken: Krieg wird niemals Frieden sein, Sklaverei niemals Freiheit und Prostitution niemals Arbeit!

ANNE BETTAQUE

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