R. Kelly: Schuldig in allen Punkten!

So präsentierte sich R.Kelly bislang am liebsten. - Foto: Imago
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Die Anklage brauchte drei Tage, um die ganzen Beweise in ihrem Schlussplädoyer zusammenzufassen. Die Aussagen und Indizien – darunter Videos, die Kelly von seinen eigenen Sexualstraftaten gemacht hatte – waren teils so schockierend, dass die Geschworenen sie nur mit Kopfhörern verfolgten und auch JournalistInnen im Gericht nur schwer Worte fanden. "Ich bin seit 47 Jahren als Anwältin tätig", sagte Gloria Allred, die auch in den Verfahren gegen den früheren Produzenten Harvey Weinstein und den TV-Schauspieler Bill Cosby Betroffene vertrat. "Von all den Sexualstraftätern, die ich verfolgt habe, ist Mr. Kelly der schlimmste."

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Es war der erste #MeToo-Prozess, dessen Opfer, über fast 30 Jahre hinweg, allesamt Schwarze waren, wie auch der Angeklagte. Allreds Mandantin Sonya gehörte dazu, sie war Anfang 20, als sich Kelly 2003 an ihr verging. Andere – sowie einer von zwei Jungen – waren sogar minderjährig.

Allred: Von allen Sexualstraftätern, die ich verfolgt habe, ist er der Schlimmste!

Und der Fall R. Kelly ist auch der erste der #MeToo-Ära, der unbequeme Fragen für die US-Musikindustrie aufwirft. Bereits seit 20 Jahren werden dem Musiker Pädophilie und sexueller Missbrauch vorgeworfen. Und immer wieder ging er als freier Mann aus dem Gerichtssaal. 2002 trat er sogar noch bei der Eröffnung der Olympischen Winterspiele in Salt Lake City auf, während die Staatsanwaltschaft in Chicago die Anklage wegen Kinderpornografie vorbereitete, die später fallengelassen wurde. Von Schweigegeld und Bestechung war die Rede.

Selbst als die Vorwürfe immer konkreter wurden, ob durch investigative Berichte oder die aufsehenerregende TV-Dokumentation "Surviving R. Kelly", passierte nichts. (Die zweite Staffel davon ist seit Beginn des Jahres in den Crime-Channels von Amazon und Apple zu sehen.)

In der Doku erzählen die missbrauchten Frauen von körperlicher und emotionaler Misshandlung, von demütigenden sexuellen Handlungen. Fast alle von ihnen waren Teenager, als sie Kelly kennenlernten, viele noch minderjährig. Oft habe der Sänger den Mädchen eine Karriere im Showgeschäft versprochen, um sie dann nach und nach zu isolieren und seinen strengen Regeln zu unterwerfen. Die Frauen berichten, dass sie Kelly stets „Daddy“ nennen sollten, nicht mit anderen Menschen sprechen durften und um Erlaubnis fragen mussten, wenn sie essen oder die Toilette benutzen wollten.

Seine ehemaligen Mitarbeiter bestätigten all das - zum Teil waren sie selbst involviert. Von 1994 bis 2018 hatten die nicht nur von den Qualen der jungen Frauen in den Katakomben seines Studio-Komplexes gewusst. Vielmehr hatten sie diese Qualen ermöglicht, gefördert, gedeckt – eine kriminelle Bande, so die Justiz, die den Strafbestand des organisierten Verbrechens erfüllte und an deren Spitze ein allmächtiger, lange unantastbarer R. Kelly stand.

Hätte es den Aufschrei eher gegeben, wenn er weiße Mädchen missbraucht hätte?

Es war eine Videokassette mit verstörendem Inhalt, die Kelly 2019 schließlich ins Gefängnis brachte. In den 42 Minuten und 45 Sekunden ist er beim Geschlechtsverkehr mit vier Frauen zu sehen, drei von ihnen sind minderjährig. Er habe die Frauen zum Sex gezwungen oder Gewalt angedroht, außerdem sollen demütige Praktiken wie Spucken oder Urinieren zu sehen sein.

Dass die Skandale so lange kaum Folgen hatten, lag nicht nur an Kellys geölter PR-Maschine und seinem Wert für die US-Musikindustrie. Sondern auch daran, dass sie einem alten Schema folgten: Viele glaubten den mutmaßlichen Opfern, meist schwarzen Mädchen, nicht. Die leiden seit jeher unter dem Vorurteil, "hypersexualisiert" zu sein, wie eine Studie der Georgetown University kürzlich bestätigte. "Hört auf, den Missbrauch schwarzer Frauen und Mädchen zu decken", appellieren Aktivistinnen an die ganze Gesellschaft. Hätte Kelly weiße Mädchen missbraucht, hätte es den Aufschrei wohmöglich eher gegeben.

Am lautesten dürfte jedoch die Stimme von Kellys Tochter Joann nachhallen. In ihrer Instagram-Story schreibt die junge Songwriterin: "Ich möchte, dass ihr alle versteht, dass ich aktuell mehr als am Boden zerstört bin. Das ist noch eine Untertreibung." Kelly betont, zu ihrem Vater seit Jahren keinen Kontakt zu haben. "Das Monster, mit dem ihr mich alle konfrontiert, ist mein Vater. Ich weiß sehr genau, wer und was er ist. Ich bin in diesem Haus aufgewachsen", erzählt sie. "Ich entschuldige mich für mein Schweigen." "Wir waren alle Komplizen", sagte die Schauspielerin Jada Pinkett Smith in einem Facebook-Video. "Wir alle hätten es von den Dächern schreien müssen." Sie begründete das Mitläufertum unter anderem mit Kellys Erfolg: Generationen hätten seine Hits geliebt.

Bei der Urteilsverkündung am Montag starrte Kelly, 54, ins Leere. Er verzog keine Miene. Ihm droht nun lebenslange Haft. Bis zur formellen Strafmaßverkündung, die erst im Mai 2022 stattfinden soll, wird er ohnehin im Gefängnis bleiben müssen, da ihm in Chicago als Nächstes ein weiterer, ähnlicher Prozess bevorsteht.

Diesmal waren es die Opfer, die nach der Gerichtsverhandlung jubelnd und weinend vor Erleichterung ins Freie traten. Ihnen allen wurde endlich geglaubt.

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