Ramadan weiter im Gefängnis

© Salvatore di Nolfi/EPA/dpa
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EMMA hat darüber berichtet: Zwei Musliminnen beschuldigen Tariq Ramadan, den „Halbgott“ der Muslim-Jugend Europas, der schweren Vergewaltigung. Weitere Opfer sollen sich gemeldet haben.

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Bei seiner Vernehmung in Paris am 2. Februar wurde Ramadan verhaftet und sitzt seither im Gefängnis. Grund: Verdunklungsgefahr durch Beeinflussung der Zeugen. Die Frauen, die ihn seit November 2017 der Vergewaltigung beschuldigen, sollen über Jahre massiv bedroht worden sein, bis hin zu Todesdrohungen. Und vermutlich kommt noch die Fluchtgefahr hinzu. Ramadan ist Schweizer ägyptischer Herkunft, der sowohl in Katar wie in Oxford einen Lehrstuhl hat bzw. hatte – an beiden ist er zurzeit beurlaubt.

Ramadans Frau ergriff erstmals das Wort

Tariq Ramadan ist eine schillernde Figur, den die einen für einen Charismatiker des „Reform-Islam“ halten, die anderen für den gefährlichsten Propagandisten des radikalen Islam in Europa. Die französische Journalistin Caroline Fourest hatte bereits 2003 ein Buch über „Bruder Tariq“ veröffentlicht, in dem sie dessen Doppelzüngigkeit belegte: nach außen, auf Englisch oder Französisch, spricht Ramadan aufgeklärt – nach innen, auf Arabisch, propagiert er die Scharia.

Diese Doppelmoral scheint sich auch durch das Privatleben des Enkels des Gründers der ägyptischen Muslimbrüder zu ziehen. Bereits seit 2012 kursierten Gerüchte über das Doppelleben des verheirateten Vaters von vier Kindern. Seine Frau, eine konvertierte Französin, ergriff in diesen Tagen erstmals das Wort.

In einer zehnminütigen Videobotschaft erklärte Iman Ramadan, ihr Mann sei von Anbeginn der Untersuchung für schuldig erklärt worden. Doch das Bild, das man heute in der Öffentlichkeit von ihm zeichne, entspräche „nicht dem, das seine Familie von ihm kennt“. Dieses Phänomen der um jeden Preis – und gerne auf Kosten der Opfer! – solidarischen Ehefrau ist nicht neu. Zuletzt war es im Fall Dominique Strauss-Kahn zu beobachten.

Manch andere sind auffällig still in der Sache

Nach langem Schweigen rufen nun plötzlich erklärte „Anti-Rassisten“ sowie die „Musulmans de France“ zur Verteidigung Ramadans auf. Hatte Amar Lasfar, der Präsident dieser Folgeorganisation des französische Zweiges der Muslimbrüder, sich vor zwei Wochen auf CNews noch deutlich von Ramadan distanziert - und sogar mögliche Opfer aufgefordert, sich zu melden - so vertritt sein Verband jetzt plötzlich das Gegenteil: Die „Musulmans de France“ erklärten, über Jahrzehnte hätten sie niemals „ein amoralisches oder widersprüchliches Verhalten bei Tariq Ramadan“ bemerkt. Es handele sich bei den Vorwürfen gegen Ramadan um eine „rassistische Hexenjagd“.

Auch das linke und medial sehr präsente „Collectif contre l'islamophobie en France“, CCIF (Kollektiv gegen die Islamophobie in Frankreich), protestiert jetzt gegen den „Druck der Medien“ auf Ramadan. Und Ehefrau Iman setzte sich an die Spitze einer #FreeTariq-Kampagne. Sie behauptet nun, ihr Mann sei schwer erkrankt, an Multipler Sklerose, und müsse schon deshalb umgehend aus der U-Haft entlassen werden. Von bevorstehenden Demonstrationen pro Ramadan ist die Rede.

 Links: Kübra Gümüsay in Oxford. Rechts: Linda Sarsour auf dem Women's March.
Links: Kübra Gümüsay in Oxford. Rechts: Linda Sarsour auf dem Women's March.

Während zahlreiche Musliminnen weltweit sich längst öffentlich distanziert haben von Tariq Ramadan und einige auch im Zuge dieses Skandals die Initiative #mosquemetoo initiierten, ist von anderen bisher auffällig wenig zu hören. Wie zum Beispiel von den muslimischen Aktivistinnen Linda Sarsour (die den Muslimbrüdern nahestehende Amerikanerin, die an der Spitze des Women’s March mitmarschiert ist); sowie der Deutschen Kübra Gümüsay, eine der Wortführerinnen der „intersektionalen Feministinnen“.

Überhaupt ist der Fall in Deutschland bisher kaum Thema. Während Ramadan in Frankreich und Großbritannien Schlagzeilen macht und ebenso in den deutschsprachigen Ländern Österreich und Schweiz, muss die Berichterstattung über diesen die ganze muslimische Welt erschütternden Skandal in Deutschland mit der Lupe gesucht werden. Ist die Macht der so genannten „Reform-Muslime“, die nicht selten in der Wolle gewaschene Islamisten sind, in Deutschland etwa besonders groß? Oder fehlt es hierzulande einfach noch an Bewusstsein für die Gefahr, die von dem international vernetzten und agierenden Islamismus ausgeht?

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#MosqueMeToo: Der Donnerhall

Sie hat den Hashtag #MosqueMeToo erfunden: Mona Eltahawy.
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Sabica Khan war die Allererste. Mit einem Facebook-Beitrag brach die Pakistanerin kürzlich ihr Schweigen. „Ich hatte immer Angst, es zu erzählen, weil ich keine religiösen Gefühle verletzen wollte“, beginnt sie. Und dann schildert Sabica, wie sie auf ihrer Pilgerfahrt nach Mekka mehrfach sexuell attackiert wurde. Während des sogenannten „Tawāf“: einer Zeremonie, bei der muslimische Männer und Frauen gemeinsam in dichtem Gedränge sieben Mal die Kaaba umrunden, den schwarzen Würfel im Herzen von Mekka. Das Massenereignis zählt zu einem der Höhepunkte der Haddsch, der islamischen Pilgerfahrt, die jedes Jahr rund zwei Millionen MuslimInnen begehen.

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Plötzlich spürte ich eine Hand auf meiner Hüfte...

Da, schreibt Sabica weiter, sei „etwas Seltsames passiert“. Bei der dritten Umrundung der Kaaba habe sie plötzlich eine Hand auf ihrer Hüfte gespürt. Erst dachte die Frau, das sei Zufall. Aber dann war die Hand schon wieder da. Sie versuchte, es zu ignorieren. Bei der sechsten Umrundung des schwarzen Kubus spürte sie erneut eine Hand, die diesmal aggressiv an ihren Hintern griff. „Ich bin erstarrt“, erinnert sich Sabica.

Ihr Facebook-Post ist inzwischen offline. Sabica hat ihr Profil gelöscht und ist abgetaucht. „Ich habe so viele familiäre Probleme, seit ich öffentlich über die sexuelle Belästigung gesprochen habe“, sagte sie der Deutschen Welle auf eine Interviewanfrage. Aber den Protest, den sie mit ihrem Post ausgelöst hat, kann sie nicht mehr zurückholen.

Sabicas Beitrag mag verschwunden sein - aber dafür haben andere muslimische Frauen das Wort ergriffen. Tausende Musliminnen, die ähnliche und schlimmere Erfahrung gemacht haben wie sie. Und die nun nicht länger schweigen wollen.

Es ist der Höhepunkt der Reise nach Mekka: Männer und Frauen umrunden sieben Mal die Kaaba.
Es ist der Höhepunkt der Reise nach Mekka: Männer und Frauen umrunden sieben Mal die Kaaba.

#MosqueMeToo heißt der Hashtag, unter dem immer mehr Musliminnen seit Tagen ihre Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen schildern - in Mekka und anderen heiligen Stätten des Islams. „Mir wurde gesagt, ich solle einfach nicht darauf reagieren, sonst würde ich Ärger bekommen. Ich war verschleiert und es passierte trotzdem“, berichtet eine. „Die Tatsache, dass es dort passierte, an diesem heiligen und vermeintlich sicheren Ort,  das hat mich so entmutigt, dass ich mich nie mehr davon erholt habe“, erklärt eine andere. Und eine dritte twittert: „Ich hielt  still, weil ich dachte, dass mir niemand glauben wird - oder dass sie mir vorwerfen, dass ich überreagiere. #MosqueMeToo ist unsere Leiche im Keller.“

Schon im Alltag ist es für Musliminnen aus arabischen oder nordafrikanischen Ländern mitunter lebensgefährlich, sich gegen sexuelle Gewalt zu wehren. Denn häufig werden nicht die Täter bestraft, sondern die Opfer. Weil sie angeblich „die Ehre der Familie beschmutzt“ hätten. Dass die Frauen die Männergewalt nicht irgendwo, sondern in der für viele streng-gläubigen Muslime heiligsten Stätte überhaupt - in Mekka - erfahren, zeigt die Doppelmoral mancher Muslime.

#MosqueMeToo ist unsere Leiche im Keller

Unter den twitternden Frauen ist allerdings auch eine, die so gar nicht überrascht ist: die ägyptisch-amerikanische Frauenrechtlerin und Journalistin Mona Eltahawy. Sie klagt seit Jahren die Gewalt in den eigenen Communities an - unter anderem in ihrem viel beachteten Buch "Warum hasst ihr uns so? Für die sexuelle Revolution der Frauen in der islamischen Welt". Und sie hat den Hashtag #MosqueMeToo erfunden.

Denn auch Mona Eltahawy ist als 15-jährige auf einer Pilgerfahrt nach Mekka belästigt worden, schreibt sie in einem Artikel für die Washington Post. „Es dauerte Jahre, bis ich mich getraut habe, jemandem davon zu erzählen“, sagt die erklärte Feministin rückblickend. Als sie Sabica Khans Beitrag auf Facebook las, war Eltahaway klar, dass auch sie jetzt handeln muss.

Auf Twitter schrieb sie: „Ich bin froh, dass Frauen endlich ihr Schwiegen darüber brechen, dass sie während der Haddsch sexuell attackiert worden sind. Ich habe schon vor einigen Jahren das erste Mal über meine Erfahrung mit sexueller Gewalt während der Pilgerfahrt gesprochen.“ Aus dem Hashtag #MeToo machte Elthahawy schließlich #MosqueMeToo.

Ihre Familie war im Jahr 1982 nach Saudi-Arabien gezogen. Es war Monas erste Pilgerfahrt nach Mekka. Wie Sabica wurde auch Mona während der Tawāf attackiert. "Es mag dort sehr voll sein. Aber jede kann den Unterschied ausmachen zwischen jemandem, der dich aus Versehen rempelt, und einer Hand, die sich auf dein Gesäß schiebt und sich nicht mehr rührt - obwohl du alles tust, um sie abzuschütteln", erinnert sich Eltahawy.

Als die damals 15-Jährige sich schließlich niederkniete, um den schwarzen Stein an einer Ecke der Kaaba zu küssen, packte ihr ein saudischer Polizist an die Brust. "Alles, was ich damals tun konnte, war in Tränen ausbrechen", berichtet Eltahawy. "Alles, was ich tun wollte, war, meinen Körper vor Männern zu verstecken. Also begann ich, den Hidschab zu tragen." Aber auch der schützte sie nicht vor Übergriffen. Es brauchte, sagt Eltahawy, "weitere neun Jahre und den Feminismus", bis sie begriff: Nicht ich bin das Problem, sondern diese Männer sind es. Also legte sie den Hidschab wieder ab. "Und dann begann ich zu sprechen."

Alles, was ich
tun konnte, war
in Tränen ausbrechen

Seither wird die Ägypterin viel angefeindet - wie alle Frauen, die jetzt mit #MosqueMeToo ihr Schweigen brechen. „Dreckige Lügnerin!“ twittert einer. „Die Frage ist doch: Wer will schon Mona Elthahawy belästigen“, ein anderer.

"Du lässt die Muslime schlecht dastehen", warf einmal eine Frau Eltahawy vor. "Nicht ich, sondern die Belästiger lassen die Muslime schlecht dastehen", konterte Mona Eltahawy. Irgendwann begann sie, sich auch körperlich zu wehren. Wenn jemand sie in Clubs oder auf der Straße anging, schlug Eltahawy zurück.

Von dieser Gegenwehr zeugt der zweite Hashtag, den die Ägypterin in diesen Tagen in Umlauf gebracht hat - und auch er kratzt an einem schweren Tabu. Er heißt: #IBeatMyAssaulter, also: Ich habe meinen Belästiger geschlagen.

Auch dieser Hashtag erfährt gerade sehr viel Zuspruch - und das nicht nur unter muslimischen Frauen.

 

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