Sahraa Karimi: Kämpferisch

Sahraa Karimi (rechts) auf der Biennale in Venedig. Foto: La Biennale di Venezial/ASAC.
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Wenn Sahraa Karimi sich etwas in den Kopf setzt, dann lässt sie sich durch nichts davon abhalten. So hat es die 34 Jahre alte Afghanin sogar geschafft, ihr Spielfilmdebüt bei den Filmfestspielen in Venedig starten zu lassen. „Hava, Maryam, Ayesha“ erzählt die Geschichte von drei Afghaninnen, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Hava lebt in einer traditionellen Familie, ist hochschwanger und muss trotzdem ihren Mann und die Schwiegereltern sklavisch umsorgen; Maryam ist eine emanzipierte Nachrichtensprecherin, die gegen die patriarchalen Hierarchien ankämpft; und Ayesha ist eine Schülerin aus einer Familie der Mittelklasse, die kurz vor einer arrangierten Ehe mit ihrem Cousin steht.

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Es geht um Gleichberechtigung und Abtreibung. „Abtreibungen sind illegal, dafür kommt man ins Gefängnis“, sagt die junge Regisseurin Karimi im Interview in Venedig. Ihr Film sei ein erster Schritt, öffentlich davon zu reden, denn natürlich treiben Frauen auch in Afghanistan ab.

Karimi trägt ihr Haar kurz, es ist von ersten grauen Strähnen durchzogen. Sie sagt: „Die Frauen sollten nicht einfach nur Opfer oder Heldin sein, sondern Kämpferinnen für ihre Rechte. Meine Protagonistinnen kommen aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten, um zu zeigen: Die Rechtlosigkeit gilt in Afghanistan für alle Frauen.“ Sie hat es bei ihren Freundinnen erlebt. Egal, ob es darum ging, das Haus verlassen zu dürfen, zur Schule zu gehen, zu studieren oder andere Frauen zu treffen. „Das muss mit dem Ehemann, der Schwiegermutter, dem Schwiegervater diskutiert werden – selbst, wenn es nur darum geht, Brot zu holen.“

Karimi hat die Geschichten, die sie erzählt, in Dörfern und Städten gesammelt. Zwei Jahre reiste sie für Unicef durchs Land. Den Job hatte sie angetreten, um mit dem Gehalt ihren Film finanzieren zu können. Eine Produktionsfirma hätte Kompromisse von ihr verlangt. Die Geschichte der emanzipierten Nachrichtensprecherin zum Beispiel hätte sie stark ändern müssen. Also lieber gleich alles allein durchziehen.

„Ich habe als unabhängige Filmemacherin in Afghanistan gedreht. Ich war die erste Frau, die so etwas gemacht hat.“ 40 Tage drehte sie mit einem kleinen Team in Kabul. In der Zeit gab es fünf große Bombenanschläge in der Stadt. Selbst an dem Tag, als eine Bombe in der Nähe ihres Drehorts hochging, ging sie raus mit ihrem Team. „Die Leute dachten, ich sei verrückt.“

Verrückt ist Karimi nicht, nur mutig. Das hat sie von den Frauen ihrer Familie gelernt. „Meine Mutter und Großmutter waren starke Frauen. Doch alles, was sie erreicht haben, mussten sie sich erkämpfen“, erzählt sie. Ihr Vater starb, als sie noch jung war. Die Mutter flüchtete mit den Kindern nach Iran. Karimi ging später zum Filmstudium in die Slowakei. „In Europa habe ich gesehen, dass es auch dort Probleme gibt, aber die Frauen kämpfen dagegen, machen sie öffentlich. Das Filmemachen ist für mich ein Weg.“

Die Versuche, Friedensverhandlungen mit den Taliban zu führen, sieht sie sehr kritisch. „In den 18 Jahren, die seit der Herrschaft der Taliban vergangen sind, mussten die Frauen sich in Afghanistan alle Grundrechte zurück erkämpfen“, sagt sie wütend. „Wir können nicht einfach mit den Taliban Frieden schließen. Die Afghaninnen haben nicht vergessen, was die fünf Jahre unter dem Regime der Taliban bedeutet haben.“ Anschläge und Unruhen nehmen mit dem Wahlkampf zu.

Vor der Premiere in Venedig hat Karimi prominente Unterstützung bekommen: Angelina Jolie schickte ihr eine Botschaft: „In Zeiten, in denen die Zukunft des Landes in der Schwebe ist, erinnert uns dieser Film daran, was für Millionen afghanischer Frauen auf dem Spiel steht.“

Dass sie ihren Film in Kabul zeigen wird, steht für Karimi außer Frage. „Notfalls projiziere ich ihn auf Hauswände. Für die Frauen ist es überlebenswichtig, Geschichten zu sehen, in denen sie eine Rolle spielen.“

 

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