Alice Schwarzer schreibt

Im Land des Herrenwitzes

Szene aus der US-amerikanischen Erfolgsserie "Mad Men".
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Natürlich ist ein Flirt etwas eindeutig Anderes als sexuelle Belästigung. Das weiß jede Frau. Und das könnte auch jeder Mann wissen, so er nur will. Ein Flirt ist gegenseitig und auf Augenhöhe. Die sexuelle Belästigung ist einseitig und von oben nach unten. Doch sollte es tatsächlich immer noch diesen oder jenen Mann geben, dem es schwer fällt zu unterscheiden, habe ich einen ganz einfachen Tipp: Stellen Sie sich die Situation mal umgekehrt vor. Dass zum Beispiel eine ältere Politikerin mit einem jungen Journalisten über Slipgrößen und Jeansmarken scherzt und darüber, was er wie alles so ausfüllen könnte (so wie Brüderle mit Himmelreich über Körbchengrößen). Schockierend? Aber klar doch.

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Sexuelle Belästigung
im Beruf ist ein Massenphänomen

Kurzum: Sexuelle Belästigung hat rein gar nichts mit einem wahren erotischen Interesse zu tun, sondern ist ausschließlich eine Machtdemonstration. Sie will dem Gegenüber zeigen, dass es eben keines ist, sondern ein Drunter. Gerade in diesen Zeiten des Umbruchs und der Verunsicherung der Männer ist die sexuelle Belästigung von Frauen darum allgegenwärtig und auch im Beruf keineswegs eine Ausnahme, sondern ein Massenphänomen. Das sehen wir nicht zuletzt an der überraschenden Heftigkeit der Debatte. Auch belegen nationale wie internationale Statistiken, dass zwei von drei Frauen solcherlei Erfahrungen schon am eigenen Leibe machen mussten. Das überrascht nicht wirklich.

Warum? Zum einen waren Sexualität & Gewalt über Jahrtausende untrennbar. Frauen waren Besitz und hatten zur Verfügung zu stehen, was sich erst in den 1970er Jahren zu ändern begann. Dank der Frauenbewegung. Das Gesetz, das endlich auch in Deutschland sexuelle Gewalt gegen die eigene Ehefrau unter Strafe gestellt hat, ist erst 16 Jahre alt. Zur Verabschiedung war, nach jahrzehntelangen vergeblichen Debatten, ein Schulterschluss der Politikerinnen aller Parteien nötig, von rechts bis links. Und die sexuelle Belästigung im Beruf wird in Deutschland erst seit 2006 effektiv geahndet. Theoretisch.

Die weder via direkter Gewalt noch via gönnerhafter Galanterie hierarchische  Sexualität, sondern die einvernehmliche Lust ist eine relativ neue Erfindung. Erotik auf Augenhöhe wird von SexualforscherInnen auf breiter Basis erst seit etwa einem Vierteljahrhundert registriert – also seit die Impulse der Gleichheit in den Herzen und Betten angekommen sind.

Sexualität & Gewalt waren Jahrtausendelang untrennbar

Das ist neu. Und gewöhnungsbedürftig. Und noch lange kein gesichertes Terrain. Genau so wenig wie die Präsenz von Frauen im Beruf. Doch jetzt sind sie angekommen, die Frauen. In den Schulen schreiben sie bessere Noten, an den Universitäten machen sie bessere Abschlüsse, und sie drängen in Aufsichtsräte und Kabinette, ja sind in Deutschland sogar Kanzlerin. Das ist nicht immer nur schön für die Männer. Die müssen liebgewordene Privilegien aufgeben und Posten räumen.

Eine zum Glück stetig wachsende Anzahl von Männern macht das Beste draus und erobert nun ihrerseits das Familienterrain. Auffallend ist auch in der aktuellen Sexismus-Debatte, wie viele Männer inzwischen auf Seiten der empörten Frauen sind. Gleichzeitig aber wächst der Widerstand. Denn wo Fortschritt ist, ist immer auch Rückschritt. Und dieser Widerstand scheint innerhalb der westlichen Welt ein Zentrum in Deutschland zu haben. Ich behaupte mal: Außer in Italien hätte man – oder auch frau – in keinem anderen aufgeklärten Land ungestraft öffentlich so joviale Herrenwitze reißen können, wie wir sie in den vergangenen Monaten hören durften.

Deutschland ist im Jahr 2013 nicht nur die europäische Drehscheibe für Prostitution und Frauenhandel, sondern auch das Land des Herrenwitzes. Vielleicht hängt das ja irgendwie zusammen?

Und die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz? 70 Prozent aller Frauen in Deutschland sind heute berufstätig, davon knapp jede zweite allerdings in Teilzeit. Diese Frauen arbeiten in drei Kategorien: 1. in den so genannten „Lächelberufen“ (von der Verkäuferin über die Zimmermädchen bis zur Stewardess). 2. in den Malocherberufen (von der Kantinenmitarbeiterin bis zur Putzfrau). 3. in den Männerberufen (von der Polizistin bis zur Journalistin).

Ziel: das Eindringen von Frauen in Männerdomänen verhindern

Die Frauen in den Malocherberufen riskieren vermutlich noch die relativ geringsten Belästigungen. Sie sind in der Regel nicht  „nett“ genug. Die Frauen in den Lächelberufen sind zur Anmache prädestiniert, ja werden in den Augen mancher Männer doch dafür bezahlt. Und die Frauen in den Männerberufen? Die sind das wohl härteste Kapitel.

Nicht nur aus Studien im amerikanischen Militär wissen wir, dass sexuelle Demütigung und Gewalt zum klassischen Repertoire gehören. Ziel: das Eindringen von Frauen in Männerdomänen, also die weibliche Konkurrenz, verhindern. Das kann weit gehen. Im Extremfall bis zur Vergewaltigung oder gar Mord.

Wie aber sieht es bei den Journalistinnen aus? Das Besondere an diesem Beruf ist, dass wir Journalistinnen einerseits in ein männerdominiertes Terrain eingedrungen sind, andererseits aber gleichzeitig gerade die sozial so gut trainierten so genannten „weiblichen Fähigkeiten“ bestens gebrauchen können, wie: Einfühlungsvermögen in Menschen, Diskretion bei der Recherche etc. Auch ist es keineswegs immer auszuschließen, dass eine Journalistin selber auf die Karte „weibliche Attraktivität“ setzt, wenn sie mehr rauskriegen will als der Kollege.

Und genau das ist heute auch die Krux der so gerne zitierten „jungen Frauen“. Man hat ihnen weisgemacht, es gäbe keine Probleme mehr. Hauptsache, sie seien so qualifiziert wie die Männer – aber, Achtung, blieben dabei dennoch ganz Frau. Was immer das heißen mag. Auf jeden Fall heißt es: Nicht so eine frustrierte, männerhassende Emanze sein wie Muttern, sondern trotz IQ und Diplom einen kurzen Rock tragen, Highheels und immer ein Lächeln auf den Lippen. Wir neuen Frauen sind so frei. Zu schön, wenn es wahr gewesen wäre. So aber wagten die neuen Frauen diese Gratwanderung – und fielen in den Augen gewisser Männer prompt ins alte Raster: weiblich gleich gefügig.

Müssen Journalistinnen Burka tragen, um mit Männern unterwegs zu sein?

Stern-Autorin Himmelreich, das belegen Fotos, hatte offensichtlich nicht auf diese Karte gesetzt. Selbst ihr kurzer Rock scheint eher sportlicher Natur. Dennoch steht sie jetzt auf der schwarzen Liste – und mit ihr alle emanzipationsverdächtigen Kolleginnen. Denn sie hat etwas Ungeheuerliches getan: Sie hat die Anmache nicht belächelt oder weggesteckt, sondern ernst genommen. Sie hat nicht schon vor Jahresfrist einen spitzen Schrei ausgestoßen und sich beklagt, dieser Herr Brüderle habe sie obszön angebaggert. Im Gegenteil: Sie hat einfach weiterrecherchiert und im passenden Moment – als Brüderle aktuell wurde – die Erfahrung, dass dieser Mann anscheinend ein notorischer Frauenanbaggerer auf Stammtischniveau ist, als einen Faktor von mehreren in ihrem Porträt verarbeitet.

Und genau das ist der Skandal! Dass ein Mann eine herablassende, sexistische Umgangsweise mit Frauen hat, das zählt nun plötzlich als Negativ-Kriterium in einem Politiker-Porträt. Seit Veröffentlichung des Stern-Textes ist klar: Dieser alte neue Spitzenkandidat der FDP ist ein Mann von gestern. Brüderles Partei-Kumpan Kubicki hat darauf eine wahrlich bedrohliche Antwort gegeben: Berufsverbot für Journalistinnen! Er wolle nun überhaupt keiner Journalistin mehr Rede und Antwort stehen, um gar nicht erst in Verdacht zu geraten, erklärte er. Müssen Journalistinnen also jetzt Burka tragen, um noch Männer interviewen zu können?

Der #aufschrei 2013 ist übrigens beileibe nicht der erste Aufschrei. Die sexuelle Belästigung im Beruf ist in Amerika seit den 1970er Jahren ein zentrales Thema und war in Deutschland in den 1980er Jahren im Gespräch (EMMA brachte die erste große Geschichte über sexuelle Belästigung im Dezember 1980). Doch die zu Recht empörten jungen Frauen fangen wieder einmal bei Null an. Was der systematisch betriebenen (angeblichen) Geschichtslosigkeit der Frauen zu verdanken ist, also der Spaltung der Generationen.

Immer mehr Frauen sind entschlossen, die Männer einzuklagen

Jetzt schlägt die Empörung also wieder hohe Wellen. Und interessanterweise teilen die Reaktionen sich auch unter Frauen in die zwei klassischen Lager: Hier die Biologistinnen, also die Frauen, die finden, „die Männer sind nun mal so“ und „die Frauen von einem anderen Stern“. Da die Universalistinnen, also die Frauen, die überzeugt sind, selbst Männer könnten sich ändern und selbst Frauen seien Menschen. Was auch, aber nicht nur, eine Frage der Generation ist.

Wenn manche Journalistinnen Männer mit Stieren und Frauen mit Kühen gleichsetzen oder den Erhalt des „kleinen Unterschieds“ beschwören, offenbart sich ein Männerbild, das man einfach nur noch krass sexistisch nennen kann. Freuen dürfen sich eigentlich noch nicht einmal die Brüderles und Kubickis über solche Sympathisantinnen.

Doch zum Glück gibt es immer mehr Frauen, vor allem unter den jungen, für die auch Männer Menschen sind. Und die entschlossen sind, diese Männer einzuklagen! Darunter viele Journalistinnen und die 31-jährige Kommunikations-Expertin Anne Wizorek, die den viel beachteten #aufschrei gegen sexuelle Belästigung bei Twitter initiiert hat. Auf den haben bereits in den ersten drei Tagen über 60.000 Menschen reagiert, überwiegend empörte Frauen. Das ist ernst zu nehmen. Sehr ernst.

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Frankreich: Wonnemonat Mai

Ex-IWF-Präsident Strauss-Kahn (Mitte), wenige Wochen, bevor die Bombe platzte. Links Lagarde.
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Es passiert immer im Mai. Im Mai 2016 veröffentlichten 17 französische Ex-Ministerinnen einen Aufruf gegen den epidemischen Sexismus der Männer in der Politik (und allen „Männerberufen“) – darunter die heutige Direktorin des IWF (Internationaler Währungsfond), Christine Lagarde (siehe Foto oben). Sie ist die direkte Nachfolgerin von Dominique Strauss-Kahn, der im Mai 2011 über die Anzeige eines schwarzen Zimmermädchens, Nafissatou Diallo, gestürzt war, die ihn der Vergewaltigung beschuldigt hatte. Und im Mai letzten Jahres veröffentlichten 40 Journalistinnen ihr „Pfoten weg!“-Manifest, in dem sie den in der Politik herrschenden Sexismus anklagten und bedauerten: „Die Affäre Strauss-Kahn hat leider keine Wende gebracht.“

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Der Fall Strauss-Kahn hat leider keine Wende gebracht

Im Mai 2016 war nun ein Tweet der Auslöser: „Legt Lippenstift auf, um gegen sexuelle Belästigung zu protestieren.“ Auf dem beigestellten Foto (siehe Seitenspalte) zeigen sich acht Politiker in Anzug und mit roten Lippen, darunter auch Denis Baupin, zu diesem Zeitpunkt Abgeordneter der französischen Grünen und stellvertretender Präsident des Parlaments. Es war der 8. März, Tag der Frauen.

„Ich hätte schreien und kotzen können“, sagt Parteikollegin Elen Debost. Für die Politikerin war das der Gipfel der Heuchelei. Noch am selben Tag postete sie den Tweet auf ihrer Facebook-Seite und kommentierte: „Wirklich beschämend, wie er sich über uns lustig macht: Denis Baupin mit Lippenstift und der Parole ‚Ich unterstütze die Frauen‘“ Zwei Journalisten von France Inter und dem Onlinemagazin Mediapart gingen der Sache nach. Debost sagte, Baupin habe sie monatelang belästigt und mit anzüglichen Textnachrichten bombardiert. 

Offenbar war sie nicht die Einzige. Bei ihrer Recherche stießen die Journalistinnen bei den französischen Grünen auf ein „System der Omertà“, ein Gesetz des Schweigens, wie man es von der Mafia kennt: Viele wussten Bescheid, niemand traute sich, an die Öffentlichkeit zu gehen. Rasch wurden die Anschuldigungen von insgesamt acht Parteikolleginnen öffentlich, vier berichteten anonym, die anderen vier gingen vor die Kameras. Ihr bisheriges Schweigen begründeten sie damit, sie hätten dem Ruf der Partei nicht schaden wollen. 

Es herrschte ein System des Schweigens -
wie bei der Mafia

Baupin sprach von „lügnerischer Verleumdung“, legte aber noch am selben Tag sein Amt als Vizepräsident der Nationalversammlung nieder. Als „DSK der Grünen“ wird er nun von den französischen Medien bezeichnet. Tatsächlich erinnern die Vorwürfe an diejenigen, die französische Journalistinnen öffentlich machten, als der damalige Chef des Internationen Währungsfonds (IWF), Dominique Strauss-Kahn, 2011 in New York wegen Vergewaltigung eines Zimmermädchens angeklagt wurde. Doch seither hat sich nichts geändert. Zumindest in Frankreich nicht. Im Mai 2015 veröffentlichten 40 französische Journalistinnen in der Zeitung Libération ein Manifest, in dem sie den „herrschenden Sexismus“ denunzierten: deplatzierte Bemerkungen, Hände auf Oberschenkeln oder dubiose Tauschgeschäfte wie „eine Info gegen einen Apéro“. Sie schrieben: „Wir dachten, die DSK-Affäre habe die Linien verschoben, und das machohafte Verhalten, das Symbol altmodischer Politik, sei vom Aussterben bedroht. Irrtum“.

Unter den acht Frauen, die nun 2016 gegen Baupin Zeugnis abgelegt haben, ist auch Sandrine Rousseau, Parteisprecherin von Europe Écologie – Les Verts (EELV). Für sie war ebenfalls der Tweet der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Rousseau berichtet, wie sie 2011 von Baupin auf dem Weg zur Toilette in einem Gang „gegen die Wand gedrückt“ worden sei. Er soll ihren Busen begrabscht und versucht haben, sie zu küssen. Zurück auf ihrem Platz, erzählte sie fassungslos ihrem Tischnachbarn, was passiert war. Der einzige Kommentar lautete: „Mist, hat er wieder angefangen.“ 

Der anfangs spaßige Ton wurde sehr schnell nervend

Rousseau, damals neu in der Partei, informierte zwei Kollegen, aber traute sich nicht weiterzugehen: „Ich hatte Angst, dass man mir nicht glaubt, dass man mich für verrückt hält, dass ich diejenige bin, die für Ärger sorgt.“

„Fast täglich hat er mich mit Hunderten von provozierenden und schmierigen SMS belästigt“, berichtet eine andere Abgeordnete, Isabelle Attard. Sie habe von mehreren Kolleginnen gewusst, die ähnliche Nachrichten bekamen. Während Arbeitssitzungen habe Baupin sie regelmäßig angemacht, anfangs im spaßigen Ton, der dann sehr schnell „lästig, ja nervend“ wurde.

Als Spezialistin für Energiefragen der französischen Grünen ließ sich der Kontakt mit Baupin für sie nicht ganz vermeiden. Sie ging deshalb zu Terminen mit ihm nur noch in Begleitung eines Assistenten. „Mir war das sehr unangenehm, einen Mitarbeiter mitzunehmen, der dort seine Zeit als Bodyguard, Beschützer und Verhinderer schmieriger Witze vergeudete, weil ich mich sonst unwohl gefühlt hätte.“

Seit der Skandal öffentlich ist, räumen etliche Grüne ein, dass man auf peinliche Weise versagt habe. Die einen versuchten, sein Verhalten als „übertriebene Anmache“ abzutun. Ein Parteifunktionär aber gestand: „Es war wirklich weithin in der Partei bekannt.“

Die Frauen schwiegen, um dem Ruf ihrer Partei nicht zu schaden

Die meisten Vorwürfe liegen Jahre zurück und könnten vor Gericht als verjährt eingestuft werden. Auf die Frage, warum sie nicht früher damit an die Öffentlichkeit gegangen sind, sagen die Frauen der Grünen, sie hätten dem Ruf der Partei nicht schaden wollen. Inzwischen zieht der Skandal seine Kreise weit darüber hinaus. Die politische Klasse Frankreichs wird mal wieder mit ihren Usancen und Unsitten konfrontiert, die bis zur DSK-Affäre gern als charmanter, wenn auch aus der Zeit gefallener Donjuanismus abgetan wurden.

Kurz nach dem Appell der 17 Ex-Ministerinnen haben sich weitere 500 Frauen und Männer aus Politik und Medien öffentlich angeschlossen. Sie fordern „das Ende der Straffreiheit“ bei sexistischen Vergehen. Es wird eng für den berühmtberüchtigten Ohlala-Charme.
 

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