Schweden: Greta-Land

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Sobald sich das Bugvisier der Fähre in Trelleborg öffnet und ich auf schwedischem Boden fahre, möchte ich vor Freude hupen. Schweden ist mein Land. Ich habe große Teile meiner Kindheit im Småland von Ikea verbracht – und ich musste nie abgeholt werden. Das Faible für Skandinavien wurde mir bereits in die Wiege gelegt. Den Namen „Annika“ hat sich meine Mutter aus Pippi Langstrumpf geholt – und ich bin froh, dass ich nur nach Pippis bester Freundin benannt worden bin.

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Pippi Langstrumpf ist natürlich der Traum einer jeden Feministin. Das stärkste Mädchen der Welt, das Pferde hochheben und Jungs auf Bäume schmeißen kann. Meine Schwester Inga (!) und ich sind nicht mit den psycho­pathischen Märchen der Gebrüder Grimm aufgewachsen, sondern mit den Geschichten von Astrid Lindgren. Wer nicht in die Welt von Pippi, Ronja, Madita, Michel, Mio, von den Kindern aus Büllerbü oder Saltkrokan eintauchen durfte, ist in meinen Augen vom Leben benachteiligt. 

Wovon
träumt die
Feministin?

Dass Schweden noch sehr viel mehr als starke Frauen und gute Geschichten zu bieten hat, ist mir erst klar geworden, als ich eine Zeit lang dort gelebt habe. 

Ich hatte bis zu meinem Erasmusjahr 2002 in Stockholm nicht erlebt, dass Frauen dermaßen selbstbewusst und stolz auftreten. Sei es in Diskus­sionsrunden an der Uni, auf Wohnheim-Partys, im Bus, im Supermarkt. Auch ältere Frauen werden nicht behandelt, als wären sie unsichtbar. An der Kasse bei Nordiska Kompaniet, einem großen Warenhaus in der Innenstadt, bekam ich zufällig mit, wie sich eine ältere Frau über die Werbung im Schaufenster beschwerte: Das Model für Parfüm spreizte darauf weit die Beine auseinander. Der Kassierer rief sofort die Geschäftsführerin. Noch am selben Abend war das Plakat aus dem Schaufenster verschwunden.

In diesem Land wird für ein Mädchen sogar die Thronfolge geändert. Als 1977 die heutige Kronprinzessin Victoria geboren wurde, entschied der Reichstag eine Änderung des Thronfolgegesetzes, das bis dahin ausschließlich die männliche Erbfolge zuließ. Die Tochter der deutschstämmigen Königin Silvia ist in Schweden dermaßen beliebt, dass selbst Feministinnen ein Auge zudrücken, wenn höchst bedenkliche Dinge über ihren Vater, König Carl Gustaf, bekannt werden. Victoria kann kämpfen. 2003 absolvierte sie die militärische Grundausbildung, sie kennt sich im Nahkampf und mit Schusswaffen aus. 2009 setzte sie sich mit der Verlobung mit ihrem Fitness-­Trainer Daniel Westling gegen den Vater durch, der lieber einen adeligen Traumprinzen für seine Tochter wollte. Ihre Mutter Silvia, einst deutsche Hostess, war einverstanden. Viele SchwedInnen hätten Victoria am liebsten schon jetzt als Königin.

Die schwedischen Frauen leben im Übrigen auf großem Fuß: 1,80-Frauen ragen nicht aus der Menge hinaus, Schuhgeschäfte führen alle Modelle bis Größe 42/43. Schwedinnen lieben bequeme Schuhe.

Emanzipierte Frauen, gelassene Männer

Neben den emanzipierten Frauen sind es vor allem die emanzipierten Männer, die Schweden so sympathisch machen. Sie sagen selbstverständlich: „Ich bin Feminist!“

Nach dem Jahr in Stockholm habe ich an einer kleinen Schule in Schonen in Südschweden gearbeitet. Dort habe ich jeden Tag aufs Neue erlebt, wie Gleichberechtigung geht. Es war normal, dass Mädchen genauso gut wie die Jungen Eishockey und Fußball spielten. Die größten Rabauken in meiner Klasse hießen Stina und Lotta. Wer die beiden mit dem Eishockey-Schläger erlebt hat, glaubt nicht mehr an die friedfertige Frau. 

Sicher, auch Schweden ist nicht nur das gelobte Land. Auch dort gibt es Männergewalt gegen Frauen und Kinder, Islamismus und rechte Gewalt. Und 100 Prozent gleichberechtigt sind Frauen auch in Schweden nicht. Doch wenn ich mein Schweden von damals mit dem von heute vergleiche, hat sich eigentlich nicht viel verändert.

*Schweden, ich liebe dich

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