Sklaverei oder Nächstenliebe?

Eine Leihmutter in Indien. Foto: imago images
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Paukenschlag in New York: „Die Praxis der Leihmutterschaft ist geprägt von Ausbeutung und Gewalt gegen Frauen und Kinder. Sie verstärkt patriarchale Normen, indem sie den Körper von Frauen zu einer Ware macht und Leihmütter und Kinder schweren Menschenrechtsverletzungen aussetzt. Leihmutterschaft ist Sklaverei. Sie muss weltweit verboten und abgeschafft werden!“

Zu diesem Schluss kommt ein Bericht der Vereinten Nationen, den Reem Alsalem, die Sonderberichterstatterin für Gewalt gegen Mädchen und Frauen, Mitte Oktober auf der UN-Generalversammlung vorlegen wird und der EMMA vorliegt. 120 Untersuchungen aus aller Welt flossen in den Bericht ein, darunter auch Gespräche mit Leihmüttern. 

Das deutsche Magazin der Spiegel sieht das anders. Für ihn ist Leihmutterschaft keine elementare Verletzung der Menschenwürde, sondern ein netter Deal. Reporterin Katrin Kuntz traf Leihmütter in Kanada, die, wie berichtet, sehr gerne Kinder für Fremde austragen. Aus Nächstenliebe. Nicht gegen Geld, nein, nur für den Ersatz der „Ausgaben“, in der Regel um die 35.000 Dollar Aufwandsentschädigung. (Lesen Sie das Kleingedruckte…). Im Gespräch mit den Leihmüttern ist so viel von Altruismus, Nächstenliebe, Freiheit, Freiwilligkeit und Dankbarkeit die Rede, dass einem ganz biblisch zumute wird. Doch: „In Kanada ist es nicht wie in den meisten EU-Staaten, in denen die Gesetze noch von christlich-konservativen Moralvorstellungen geprägt sind.“ Dass viele der Leihmütter Gewalt und Übergriffe erleben und nicht selten von Sozialhilfe leben, streift die Autorin zwar knapp, aber nun haben sie ja die einzigartige Möglichkeit, „ihre Traumata“ zu überwinden. „Pures Empowerment, Selbstermächtigung“, sei das laut Spiegel.

Für den Spiegel ist Leihmutterschaft Selbstermächtigung und Empowerment

Laut UN nimmt diese relativ neue Form der Ausbeutung von Frauen, die Leihmutterschaft, weltweit zu. Der globale Markt wurde 2023 auf fast 15 Milliarden Dollar geschätzt und soll bis 2033 die 100 Milliarden erreichen. Leihmütter erhalten davon in der Regel zwischen zehn und 25 Prozent der Gesamtzahlung. Die kann in der Ukraine bei 30.000 Euro liegen oder in den USA bei 120.000 Dollar. Der größte Teil des Geldes geht an Agenturen und Anwälte. Der Bericht beschreibt vier verschiedene Formen von Gewalt. Und das ohne rosarote Spiegel-Brille. Die Realität sieht so aus:

Die Leihmütter müssen Verträge unterzeichnen, die den Verzicht auf medizinische Selbstbestimmung und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit vorschreiben.

Die Leihmütter stehen unter hohem emotionalem Druck. Depressionen und Angstzustände sowie Traumata im Zusammenhang mit der Trennung von dem Kind direkt nach der Geburt sind die Regel.

Die Leihmütter haben höhere medizinische Risiken als konventionell Schwangere. Wie multiple Kaiserschnitte, Frühgeburten und Komplikationen wegen der vorausgehenden Hormonbehandlungen. Auch Langzeitstudien zur Entstehung von Krebs infolge der Hormonbehandlungen fehlen. Leihmütter werden auf dieses Risiko nicht hingewiesen.

Bei Leihmutterschaft kommt es zu Zwangsabtreibungen, Embryonenreduktionen und vertraglichen Einschränkungen. Leihmütter verpflichten sich etwa zu Abtreibungen bei Behinderungen des Fötus oder wenn ein Kind nicht das gewünschte Geschlecht hat. Auch können Kaufeltern, die sich trennen und kein Kind mehr wollen, die Abtreibung fordern.

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Der UN-Bericht betont, dass Leihmütter nahezu ausschließlich aus weniger privilegierten Verhältnissen stammen und immer einen niedrigeren sozialen Status haben als die Kaufeltern. (Mehr dazu hier!) Und dann wären da noch arme Familien, die ihre Töchter zum Gebären an Leihmutterschaftsnetzwerke verkaufen.

Sonderberichterstatterin Reem Alsalem nennt als Hauptverantwortliche für diese Gewalttaten Agenturen und Vermittler, die Frauen in prekären Situationen anwerben; medizinisches Fachpersonal, das Eingriffe ohne Einwilligung durchführt; und in bestimmten Fällen die Staaten selbst, wenn sie Zwangsmaßnahmen anwenden oder keinen angemessenen Schutz gewährleisten.

Als Konsequenz schlägt der UN-Bericht vor, einen Rechts- und Politikrahmen für Leihmutterschaft zu verabschieden, der sich am sogenannten Nordischen Modell für Prostitution orientiert, um die Nachfrage nach Leihmutterschaft zu stoppen. Der also die KindkäuferInnen und ihre Helfer bestraft und Ausstiegshilfen für Leihmütter bereitstellt. Und: Die Werbung für Leihmutterschaft muss unter Strafe gestellt werden.

An dieser Stelle lohnt sich der Blick nach Deutschland, wo mindestens zweimal im Jahr - im Frühjahr in Berlin und im Herbst in Köln - unbehelligt auf sogenannten Kinderwunschmessen für den Kinderkauf geworben wird und Leihmutter-Dienste gekauft werden können. (Mehr dazu hier!)

Während international der Protest gegen Leihmutterschaft wächst, hören deutsche Medien wie der Spiegel nicht auf, das Märchen der Nächstenliebe zu besingen.

Internationale Medien allerdings bezeichnen den UN-Bericht bereits „als historischen Durchbruch“ im globalen Kampf gegen den Menschenhandel Leihmutterschaft. Das ist in Deutschland scheinbar noch nicht angekommen.

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