Alice Schwarzer schreibt

Warnung vor Gegengesellschaften!

Die „Initiative Säkularer Islam“ auf der Islamkonferenz, v. li.: Ghadban, Kelek, Ates, Akgün, Toprak, Abdel-Samad.
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Herr Toprak, Sie waren einer der 140 Teilnehmer und Teilnehmerinnen an der Islamkonferenz am 28./29. November in Berlin. Seit zwölf Jahren drehen sich die Islamkonferenzen im Kreise.

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So ist es! Das lag daran, dass das Innenministerium sich von den Verbänden hat unter Druck setzen lassen. Man durfte uns nicht mehr einladen und nur noch mit den Verbandsvertretern sprechen. Die aber stehen für den politisierten Islam, der weitgehend aus dem Ausland dirigiert wird. Wie die Ditib aus der Türkei. Und auch der „Zentralrat der Muslime“, in dem unter anderem Muslimbrüder sind, Abspaltungen von den Grauen Wölfen oder auch Schiiten aus dem Iran. Außerdem sind in dem so genannten Zentralrat weniger als ein Prozent aller Muslime in Deutschland organisiert.

Umso erstaunlicher, dass der Zentralrats-Vorsitzende Aiman Mazyek in der ersten Reihe zwischen Innenminister Seehofer und der Integrationsbeauftragten saß.
Ja. Und auch ein Vertreter der Ditib saß später auf einem anderen Podium. Dennoch ist etwas in Bewegung geraten. Man hat auch Kulturmusliminnen wie Necla Kelek und Lale Akgün von unserer neuen Initiative eingeladen, sowie Experten. Es kündigt sich eine breitere Debattenkultur an, bei der die an Aufklärung Interessierten eine Stimme haben. Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Denn wenn der Staat weiter nur mit den Vertretern der Verbände spricht, sind wir alle von den fatalen Ergebnissen betroffen, Muslime wie Nicht-Muslime.

Wie war denn die Stimmung in der Konferenz?
Am zweiten Tag gab es einen Eklat. Da ist eine Dame, Frau Theißen vom Zentralrat - eine Konvertitin, glaube ich - aufstanden und hat gesagt, sie fühle sich beleidigt von den 15 Personenschützern im Raum. Was das denn für eine Show wäre. Da gab es von der Hälfte des Saales Applaus. Tatsache ist, dass Hamed Abdel-Samad, Seyran Ates oder Ahmad Mansour mit dem Tode bedroht werden und nur noch mit Personenschützern in die Öffentlichkeit gehen können. Die Frau hätte sagen müssen: Ich schäme mich als Muslimin, dass Menschen wegen ihrer Islamkritik geschützt werden müssen.

Wie aber soll nun die vieldiskutierte Ausbildung von Imamen laufen?
Das kann nur nach wissenschaftlichen Standards an den Universitäten gehen. Aber es darf nicht konterkariert werden, indem man in die Beiräte stockkonservative Verbandsvertreter beruft, die über die Wissenschaftler bestimmen, die die Imame ausbilden sollen. So wie gerade in Berlin, wo die rotrotgrüne Regierung die Fakultät mit erzreaktionären Verbandsfunktionären einrichtet. Das kann ich einfach nicht begreifen. Ausgerechnet in einem Bundesland, wo Rotrotgrün regiert, wird der politische Islam dermaßen unterstützt. Damit liefert man die Muslime den Islamisten aus und verrät die Ideale der Aufklärung.

Ali Ertan Toprak: "Die eigentliche Gefahr ist der legalistische Islamismus, der als Krawattenträger daherkommt."
Ali Ertan Toprak: "Die eigentliche Gefahr ist der legalistische Islamismus." Foto: M. Hibbeler

Die Grüne Fraktionsvorsitzende Göring-Eckardt hat gerade die Anerkennung von Islamverbänden als Religionsgemeinschaften gefordert.
Das ist wirklich unerhört! Denn die Verbände stehen ja alle für einen antiaufklärerischen, reaktionären Islam. Außerdem sind diese Verbände auch keine Religionsgemeinschaften, sondern politische Verbände. Sie repräsentieren unterschiedliche Fraktionen des Islamismus. Denen geht es um Politik, nicht um Glauben. Aber der Glaube muss Privatsache bleiben und darf nicht den öffentlichen Raum bestimmen, wie es die Verbände fordern. Stichwort Kopftuch in der Schule, Gebetsräume an Unis, Burkinis in Schwimmbädern etc. Seyran Ates hat in der Konferenz erzählt, dass, als sie in den 70er-Jahren Kind war, maximal darüber diskutiert wurde, ob ein Mädchen einen Bikini oder einen einteiligen Badeanzug anzieht. Aber doch nicht einen Burkini! Das ist das Resultat der Agitation der Islamisten.

Bei dieser Agitation der Islamisten mitten in den westlichen Demokratien ist 25 Jahre lang nicht gegengehalten worden mit anderen, mit unseren Werten. Haben Sie den Eindruck, dass die Politik langsam begreift?
Die Parteibasis ja. In allen Parteien organisieren sich säkulare Gruppen, zu denen wir gute Kontakte haben. Aber die Parteifunktionäre wollen nicht begreifen. Die kuschen vor dem politisierten Islam.

Warum?
Vielleicht weil sie auf Wählerstimmen spekulieren. Und wirtschaftliche Interessen im Spiel sind. Und die Kirchen fürchten um ihre eigenen Privilegien und wollen die eher auch „dem Islam“ gewähren – den es in der Form nicht gibt -, als selber infrage gestellt zu werden. Vor allem die EKD hat da ja über Jahre eine fatale Rolle gespielt. Wenn es um Rechtsextremismus geht, sind die ganz weit vorne. Aber wenn es um den radikalen Islam geht, sind sie ganz zurückhaltend.

Sie haben mal gesagt: Der politisierte Islam hat uns den Krieg erklärt. Was meinen Sie damit? Und wer ist Wir?
Mit Wir meine ich den freiheitlich-demokratischen Westen. Seit der iranischen Revolution 1979 hat der Islamismus ja regelrecht gewütet in den islamischen Ländern. Jetzt ist Europa dran.

Sehen Sie diese Kräfte zum Teil auch in den Verbänden, die von der Politik hofiert werden?
Ja, klar! Man denkt, wenn von Islamismus die Rede ist, immer an die Salafisten, Männer mit langen Bärten. Aber die eigentliche Gefahr ist der legalistische Islamismus, der als Krawattenträger daherkommt und so tut, als wäre er integriert. Diese Leute aber unterwandern unsere Gesellschaft mit ihrer Scharia-Politik noch viel gründlicher. Die sind viel gefährlicher! Sie verändern durch den sozialen Druck der Moscheegemeinden die muslimische Community in Deutschland nachhaltig. Das soziale Leben der Menschen wird kontrolliert. Das hat es so früher nicht gegeben. Kinder in der Schule machen sich gegenseitig an: Du darfst nicht mehr Haribo essen (weil da Schwein drin ist). Die Kinder kontrollieren sich, auch in der Fastenzeit. Meine Frau wollte, zusammen mit einer iranischen Freundin, im Kindergarten ein Nikolausfest für muslimische Kinder machen. Da gab es einen Aufstand! Nein, das wollen wir nicht! Das ist ein christliches Fest! Wie kann das sein? Ich habe als Kind früher sehr gerne Weihnachten gefeiert.

Warum ist das so?
Die Leute sind durch die Moscheegemeinden politisiert worden.

Sie sind ja einer der Initiatoren der gerade gegründeten Initiative „Säkularer Islam“. Haben Sie Hoffnung, dass Sie etwas ändern können?
Wir wollen erreichen, dass auch die Kulturmuslime sich endlich organisieren. Damit auch die Stimme der Aufgeklärten von der Politik wahrgenommen wird. Denn so kann es nicht weitergehen.

Es ist ja auch höchste Zeit, dass die kritischen, aufgeklärten Muslime und Musliminnen sich zu Wort melden.
Unbedingt! Sonst haben wir bald nicht mehr nur Parallelgesellschaften, sondern regelrechte Gegengesellschaften. Gesellschaften, die aktiv und aggressiv gegen unsere Werte, wie Gleichberechtigung der Geschlechter, und gegen die Demokratie ankämpfen. Die sind stark, denn sie haben auch Rückenwind aus dem Ausland: aus der Türkei, dem Iran oder Saudi-Arabien. Diesen Leuten muss dringend etwas entgegengesetzt werden. Darum organisieren auch wir uns jetzt. Übrigens: Was ich auch nicht verstehe, ist: Dass viele derjenigen Muslime, die sich über den Satz „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ aufregen, gleichzeitig Probleme mit einem „Deutschen Islam“ haben. Ja, was denn nun? Wollt ihr Teil von Deutschland sein oder nicht?

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Manifest für einen aufgeklärten Islam!

Drei Algerierinnen in Algier im Jahr 2017. Sie würden sich über das deutsche Manifest freuen. - Foto: Bettina Flitner
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Wir, eine Gruppe von PublizistInnen, WissenschaftlerInnen und AktivistInnen der Zivilgesellschaft, nehmen die Eröffnung der vierten Deutschen Islamkonferenz (DIK) zum Anlass, eine "Initiative säkularer Islam" zu gründen, die einem Spektrum innerhalb des Islams Sichtbarkeit verleihen soll, das bislang wenig repräsentiert war.

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Unsere Position zur DIK: Das neue Format der Deutschen Islamkonferenz begrüßen wir sehr. Die Zusammensetzung der Teilnehmenden ist weit gefächert und spiegelt die Heterogenität des Islams jetzt weitaus besser wider als in den vergangenen Jahren. Wir hoffen, dass die ins Stocken geratene Diskussion um einen Islam in Deutschland dadurch wieder aufgenommen werden kann.

Unser Selbstverständnis: Säkularität bedeutet für uns die Betonung der positiven Neutralität des Staates und die weitgehende Trennung von Religion und Politik. Wir verstehen MuslimInnen als BürgerInnen einer demokratischen Gesellschaft, die die Rechte und Pflichten aller anderen BürgerInnen teilen. Wir sprechen uns für eine Verbesserung der bürgerlichen Teilhabe von MuslimInnen (etwa durch Bildungsangebote), aber gegen Sonderrechte für MuslimInnen aus. Das im Grundgesetz garantierte Recht auf die Freiheit des Bekenntnisses und auf ungestörte Religionsausübung beinhaltet unserer Ansicht nach nicht das Recht, religiöse Normen im öffentlichen Raum durchzusetzen.

Unser Ziel: Wir lehnen ein totalitäres Religionsverständnis ab. Religiöse Texte müssen unserer Meinung nach mit modernen hermeneutischen Verfahren interpretiert werden, um ein zeitgemäßes Islamverständnis zu begründen.

Wir sind besorgt über eine zunehmende Muslimfeindlichkeit, gleichzeitig aber auch über einen zunehmenden Islamismus. Wir wollen uns nicht abfinden mit der wachsenden Macht eines demokratiefernen, politisierten Islams, der die Deutungshoheit über den gesamten Islam beansprucht.

Die Muslime sind selbst in der Pflicht, den Bedenken der nichtmuslimischen Bevölkerung positiv entgegenzuwirken, nämlich durch die Entwicklung eines Islams, der mit den Menschenrechten vollumfänglich vereinbar ist. Dieser Islam muss der uneingeschränkten Gleichberechtigung von Frauen und Männern, den Rechten von Kindern und der sexuellen Selbstbestimmung des Individuums Rechnung tragen. Das ist unserer Ansicht nach der beste Schutz vor Islamfeindlichkeit.

Unser Verhältnis zur Mehrheitsgesellschaft: Eine Unterscheidung zwischen Gläubigen und Ungläubigen lehnen wir selbstverständlich ab.

Ein zeitgemäßer "deutscher" Islam muss außerdem in jeder Hinsicht unabhängig von ausländischen Regierungen und Organisationen sein. Aus diesem Grund, aber auch aufgrund demokratischer Vorbehalte lehnen wir die Anerkennung der Islamverbände als Körperschaften des öffentlichen Rechts ab.

Die in dieser Initiative zusammengeschlossenen Personen stehen für einen aufgeklärten, demokratiefähigen Islam, der selbstkritisch und offen für Kritik von außen ist. Uns geht es weder um die Ausbildung islamischer Identitäten noch um die Einführung islamischer Regeln in Schule, am Arbeitsplatz oder an Universitäten.

Wir wollen einen Islam, der auf der Freiheit und dem Selbstbestimmungsrecht des Individuums basiert und ein entspanntes Verhältnis zur deutschen Gesellschaft fördert.

Erstveröffentlichung des Appells in der ZEIT. Hier geht es zur online-Petition: „Manifest für einen aufgeklärten Islam“

Die UnterzeichnerInnen:

Hamed Abdel-Samad, Politologe

Lale Akgün (SPD), Psychologin

Seyran Ateş, Anwältin und Frauenrechtlerin

Ralph Ghadban, Politologe und Islamwissenschaftler

Necla Kelek, Soziologin und Frauenrechtlerin

Ahmad Mansour, 42, Psychologe und Islamismus-Experte

Cem Özdemir, Bundestagsabgeordneter (Grüne)

Susanne Schröter, Ethnologin und Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam (FFGI)

Prof. Bassam Tibi, Politologe

Ali Ertan Toprak (CDU), Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände (BAGIV)

 

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