Warum ich nicht trans bin

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Ich habe eine sichere Methode, Komplimente für mein Aussehen zu angeln: Ich klebe mir einen Bart. Es braucht nichts weiter als das – keinen Dreiteiler, keinen in den Schritt gestopften Packer, nicht einmal einen Brustbinder. Was absurd ist, denn ich bin eine Butch mit großzügig weiblich ausgestattetem Körper, die nach Jahrzehnten stetiger Auseinandersetzungen auf Frauen-Toiletten zu der festen Überzeugung gelangt ist, sie könne dort im Dirndl auftauchen und noch immer für einen Mann gehalten werden.

Eine Butch, die hin und wieder Komplimente dafür bekommt, alleine eine Firma zu managen, mit dem Motorrad durch die Welt zu reisen oder sich im Cockpit auf den Pilotinnensitz zu schwingen, aber niemals für das, was nach jahrelangem feministischen Backlash wieder als das einzig wahre Lebenselixier einer Frau gilt: für ihr Aussehen.

Ist der Bart dran, wird meine Erscheinung plötzlich so auffallend oft und positiv kommentiert, dass sich mir ein Unterton offenbart. Als wäre nun etwas „richtig“. Als hätte sich etwas geradegerückt. Der Unterschied in der Außenwahrnehmung springt mich an wie die Erfahrungen meiner ersten Reise in eines jener Länder, in denen mein Butch-Körper anders als hierzulande als verfügbares Fleisch gelesen wird und wo ich gelernt habe, wie es sich anfühlt, den sexistischen Beuteblicken von Männern ausgesetzt zu sein, so wie es Frauen mit halbwegs  genderkonformer Erscheinung immer sind, hier wie da, tagein, tagaus.

Das eine macht mich so wütend wie das andere. Eine Wut, genährt aus rund 50 Jahren durchlebtem und überlebtem Sexismus. Manchmal nur knapp überlebt. Eine Wut, die mir die Lust am Spiel mit den Genderrollen zuweilen gründlich verdirbt. Denn das Kompliment für mein männliches „Passing“ – das Ausradieren der Gender-Irritation durch Mastix und ein paar fusselnde Haarstoppeln – ist nichts anderes als ein unbewusster Versuch des Korrektivs im dualen Zwangssystem der Geschlechter und steht in starkem Kontrast zum Schweigen und somit Unsichtbarmachen gegenüber meiner – weiblichen! – Butch-Identität.

Und es ist sehr en vogue, dieses Korrektiv. Wäre es in Kombination mit den heutigen medizinischen Möglichkeiten in meinem Umfeld bereits vor 30 Jahren so en vogue gewesen, wäre ich mit Sicherheit den Weg gegangen, den unzählige Butches in den letzten Jahren gewählt haben: Ich wäre ohne jeden Zweifel ein Transmann.

Dass ich nicht als Transmann durch die Welt gehe, ist gut so und hat Gründe.

Zum Beispiel den, dass ich in einer extrem patriarchalen Familie aufgewachsen bin, zumindest was den deutschen Teil meiner Familie betrifft. Das Leben im aufmüpfigen Dreimäderlhaus mit der österreichischen Mutter, an denen bei jeder Gelegenheit die überlegene Höherwertigkeit des Y-Chromosoms demonstriert wurde, hat in mir eine allergische Abneigung ge gen über dem verursacht, was im 20. und leider auch noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts unter „männlicher Performance“ verstanden wird. Ich wittere die mannigfaltigen Ausdrücke männlichen Dominanzgehabes mit der feinen Nase eines Leichenspürhundes. Und meine Instinkte schlagen so oft an, als lebte ich auf einem Zombie-Friedhof. Der Gedanke, selbst auf dieser Seite der Macht stehen zu wollen, ist mir bis heute fremd.

Die österreichische Sippschaft mit einer respekteinflößenden Omi und unzähligen über das ganze Land verteilten Nenn-Tanten und -Onkeln, die mir heute wie Figuren aus einem längst vergangenen Jahrhundert erscheinen und zu denen ich jeden Sommer in Kinderlandverschickung verfrachtet wurde, ließ mich unterdessen ein traumhaftes Tomboy-Leben führen. Wenn das Mädchen den Trecker fahren kann, auf dessen Hänger die Erwachsenen das Heu einbringen müssen, nur zu!

Ich habe vor Kurzem einen dieser entfernten Verwandten, knapp älter als ich, nach Jahrzehnten wiedergetroffen. Er, lehmverschmiert in Gummistiefeln beim Aufbaggern einer Gartenmauer, musterte mich, in Arbeitshosen und mit einem Motorrad auf dem Hänger auf der Durchreise, und murmelte dann leise: „Fesch!“  Da sind wir wieder bei den ungefragten Komplimenten. Doch nach kurzem Stutzen wurde mir klar, dass hier noch immer die Essenz meiner österreichischen Seele sprach: Eine unerschrockene Person, nicht auf den Mund gefallen und sich für keine harte Arbeit zu schade, die sich traute, die Hengste zu reiten – zufällig weiblich, also: butch – das fanden sie gut!

Ich frage mich manchmal, wie diese Menschen, die so wichtig für meine Entwicklung waren, der rosaroten Gender-Gehirnwäsche begegnen würden, die heutzutage ohne Unterlass aus allen Medien dröhnt. Ich stelle mir diese robusten Kittelschürzen-Frauen, deren Lebenswege von handfester und teils dramatischer Diskriminierung bestimmt waren, beim Betrachten eines Influencerinnen-YouTube-Kanals vor, wo eine von der Kosmetikindustrie bezahlte Quietsche das neueste glückseligmachende Must-have vor Millionen FollowerInnen in die Kamera hält. Ich frage mich, was schlimmer ist: die damals eingesetzte Macht über das Handeln der Frauen oder die heutige Herrschaft über ihr Denken.

Nun nehmen langsam diejenigen das Ruder in die Hand, für deren Ken-&-Barbie-Klassenfotos schon in der Grundschule zehn Tonnen Schminke verbraucht wurden, während wir in den 1970ern noch alle, Jungs wie Mädels, mit dem gleichen Pottschnitt und identischen Cordhosen und Karopullis posierten. Als ehemalige Leistungssportlerin kann ich mir heute kaum mehr Frauensport im Fernsehen ansehen, weil mir ganz schlecht wird vom vielen Zopfwippen und den ständig nebenher eingebrachten Unterwerfungen, wie attraktiv und verfügbar, also weiblich, ihre Körper trotz der sportlichen Höchstleistung geblieben seien. Und das ist noch die harmloseste Variante des unablässigen Stroms von sexistischem Müll.

Wäre ich aufgewachsen mit dem offenen Frauenhass, der bei jeder sich bietenden Gelegenheit in die sozialen Medien gespien wird;  würde ich bewegende Frauensolidarität nur aus den leuchtenden Augen meiner Alt-68er-Mutter beim Erzählen der Geschichten von vorm Krieg kennen; würde mir ein Leben lang eingeredet, Frauen hätten doch alles erreicht und nun mal endlich die Klappe zu halten, während das jede Statistik und jede Lebenserfahrung Lügen strafen, diese Bankrotterklärung einer angeblich gleichberechtigten Gesellschaft – ich würde auch die Brüste erst in die Hand und dann abnehmen und aus dieser Identität fliehen wollen.

Der erste Transmann, dem ich Anfang der 1990er-Jahre bewusst begegnet bin, hockte sackbeinig mit einer Pfeife im Mund vor einem rappelvollen Auditorium der TU Berlin und hätte eine tolle, die Stereotype dekonstruierende Dragking-Bühnenfigur abgegeben. Nur leider meinte er es ernst. Das hinterließ mich mit sprachlosem Kopfschütteln und gab meiner Entwicklung noch etwas Zeit; übrigens auch um Freundschaften mit wunderbaren Gender-Terroristen aller Art zu knüpfen und das ganze Spektrum von Transgender, Transsexuell, Two Spirited und welche Wege mit welchen Bezeichnungen auch immer Menschen für sich gewählt haben mögen, auszuleuchten und zu diskutieren. Auch über gesellschaftliche Entwicklungen rund um das Thema Trans*, deren Kritik allein niemals den Respekt gegenüber Individuen schmälert, was ja gerne mal verwechselt wird. Und immer waren mir die nahe, die alles andere im Sinn hatten als eine „Anpassung“, an was auch immer.

Zu dem Zeitpunkt, an dem ich mit Hilfe von Hormonen und nicht mehr lebensgefährlichen Operationen selbst den Weg einer Transition hätte wählen können, war ich längst zu einer politischen Identität gereift, der in feministischen Zirkeln der Rücken gestärkt wurde. Direkt und vor allem indirekt. Durch den Konsens, dass Frauen alles tun können. Und dass das, was Frauen tun, weiblich ist – wenn schon Tätigkeiten absurderweise gegendert werden.  – wenn schon Tätigkeiten absurderweise gegendert werden. Eine Tätigkeit, in die nicht ein sekundäres Geschlechtsteil verwickelt ist, ist erst mal weder männlich noch weiblich; das gilt für das Axtschwingen ebenso wie für empathisches Trösten eines Mitmenschen. Im Grunde ist die Verwendung des Wortes „Butch“ für eine Frau, die eine „männliche“ Erscheinung hat oder „männliche“ Dinge tut, absurd. Ich hatte mir die Dekonstruktion der Geschlechter immer etwas anders vorgestellt.

Es gibt also etwas, das ich „schon immer war“: ein kleines Mädchen, das unerschrocken im Kuhstall herumspringt, sich Höhlen im Wald baut und als Zehnjährige vom Zehn-Meter-Brett springt; und es gibt etwas, das ich geworden bin: eine angry butch dyke; eine feministische Kampflesbe; eine Frau, die ein Leben lang gegen das naturgewaltengleiche Anbranden der Versuche ankämpfen muss, ihre nicht-genderkonformen Interessen, den unangemessenen Ausdruck ihrer Emotionen, den viel zu starken und dominanten Körper unter Kontrolle zu bringen. Und immer ist Sturmflut.

Wie stark diese Brandung ist, ist mir in der einzigen Phase meines Lebens klar geworden, in der ich ernsthaft kurz davor stand zu transitionieren. Da ging es plötzlich weit über die Erleichterung hinaus, mittels eines Brustbinders dieses absurd mit Bedeutung aufgeladene Körperteil verschwinden lassen zu können. Und ebenso weit über die Faszination über die Selbstermächtigung von Körpern, an denen von der Wiege bis zur Bahre Body-Shaming betrieben wird.

Dieser Moment kam, als ich in einer schwierigen psychischen Krise so grenzoffen war, dass ich nicht mehr übersehen konnte, was ich sonst aus meiner Wahrnehmung ausblende: die mir ständig ins Gesicht geklatschte Frage, ob ich nun Mann oder Frau sei. Die Frau, die vor lauter Glotzen gegen einen Laternenpfahl lief. Die Männergruppen, die in der Kneipe anfingen zu tuscheln, wenn ich den Raum betrat. Das Zurückprallen an der Eingangstür des Frauenklos, wenn ich dort stand und mir die Hände wusch. Mindestens viermal am Tag als „Herr“ angesprochen zu werden. Die ständigen Kommentierungen, warum dieses oder jenes mir als Nicht-Mann nicht zustünde oder andersherum besonders cool sei, weil ich es ja tue, obwohl ich eine Frau sei. Die Brandung wurde zum Tsunami, und ich konnte nicht mehr und sagte: „Okay. Ich werde zum Mann transitionieren, damit ihr mich endlich in Ruhe lasst.“

Es bedeutete für mich Kapitulation. Bei der Power-Butch war vorübergehend die Luft raus. Und zwar so sehr, dass ich den Kraftakt, den eine Transition bedeutet, nicht angehen konnte. So konnte ich zu den alten Stärken und in mein Dasein als unfreiwilliger Plagegeist des Geschlechterwahnsinns zurückfinden.

Apropos alte Stärken. Der patriarchale Männerbund funktioniert ja so, dass selbst das kleinste Troll-Würstchen, das vergeblich versucht, eine starke Frau kleinzumachen und/oder zu ficken, sich dessen gewiss sein kann, dass schon irgendein anderer Mann diese Frau „kriegt“. Und sie „zurechtreiten“ wird. Das letzte Aufbäumen des untergehenden Patriarchats ist unter anderem davon begleitet, dass große Teile der Mainstream-Pornografie immer aggressiver, erniedrigender und widerlicher gegen Frauenkörper vorgehen.

Zu meiner persönlichen Stärke als Dyke gehört das self-empowerment, mit dem Gedanken durch die Straßen zu gehen: „Mich kriegt ihr nicht! Keiner von euch!“ Das ist so gar nicht kompatibel mit dem „anything goes“ des Liberal- oder Queerfeminismus. Genau genommen ist es mit überhaupt nichts kompatibel, was gesellschaftlich auch nur einen Hauch von Anerkennung genießt.

Noch niemals haben den lesbisch-schwulen Bewegungen entsprungene Ideen derart rasant und positiv in die nicht mal unbedingt progressive heterosexuelle Mehrheitsgesellschaft Eingang gefunden wie die der Transbewegung. Ein Umstand, der mir sehr zu denken gibt. Geradezu begeistert werden in ihren Augen gelungene Anpassungen an die Geschlechterstereotype gefeiert, während Menschen wie zum Beispiel Butches, die selbige mit ihrer bloßen Existenz infrage stellen, wieder deutlich stärker unter Druck geraten und doch bitte gern auf diese Weise verschwinden mögen. Und es ist kein Zufall, dass sich die Torpedos einiger radikaler „Transaktivisten“ vor allem auf die Existenz und die letzten verbliebenen Räume von Lesben richten – und das Hand in Hand mit alten und neuen Rechten, Maskulisten und dem guten alten patriarchalen Mainstream.

Die Ungeheuerlichkeit der Selbstbestimmung weiblicher Körper und ihre Nichtverfügbarkeit für die holde Männlichkeit stehen wie eh und je unter Dauerfeuer, und das trifft vor allem die Youngster.  Möget ihr in die starken Fänge einer erfahrenen Dyke-Gemeinschaft geraten, die euch die Flügel stärkt. Aufstehen, Krone richten, weiter dem Patriarchat in die Eier treten!

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