Die Schriftstellerin über starke Frauen

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Zadie Smith hat einen furchteinflößenden Ruf, ist aber aus der Nähe hinreißend. Ganz ähnlich ist die Mischung in ihrem dritten Roman ‚Von der Schönheit‘.

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Als ich Zadie Smith zum ersten Mal traf, hätte ich sie beinah übersehen. Sie durchschaute mich allerdings sofort. Es war eine Winternacht auf einer Hausparty im Osten Londons. Ich war spät gekommen und suchte nun in dieser einschüchternden Menschenansammlung nach einem vertrauten Gesicht. Sie sprach mich an und bot mir ihren Plastikbecher mit Weißwein an, woraufhin wir uns die nächsten fünf Stunden ohne Punkt und Komma

unterhielten. Dabei sprachen wir fast ausschließlich über mich. Zadie hat die Fähigkeit, deine tiefsten Ängste, Hoffnungen und Geheimnisse aus dir herauszukitzeln, indem sie dich einfach mit diesen Augen ansieht und dir eine Frage nach der anderen stellt – sie bekommt sofort mit, wenn du etwas auslässt und erinnert sich an alles, was du ihr einmal erzählt hast. Öffentlich ist Zadie Smith, um ehrlich zu sein, nicht gerade für ihre Freundlichkeit bekannt. „Reizbar“, „furchteinflößend“, „distanziert“, das sind nur einige der häufig benutzten Adjektive, seit sie im Jahr 2000 mit ihrem Roman ‚Zähne zeigen‘ in unser Bewusstsein explodiert ist.
Das zweite Mal treffe ich sie beruflich, um mit ihr über ihr drittes Buch ‚Von der Schönheit‘ zu sprechen. Es ist das erste Buch, auf das sie wirklich stolz ist. Zu recht, ‚Schönheit‚ ist ein kräftiges, warmherziges, durchdachtes Werk, mit klar gestalteten Charakteren und voller saftiger Debatten und Themen, Fragen und Argumente. Sie macht sich in ihrem dritten Roman die Struktur von E.M. Forsters ‚Howards End‘ zu Nutzen, um die Geschichte der Belseys zu erzählen, einer schwarz-weißen, liberalen Familie in Boston, deren lebensfrohe Existenz durch einen Seitensprung getrübt wird. Und dann ist da noch die Ankunft einer anderen Familie, deren christlich-konservativer Ethos und blasierte Selbstsicherheit jeden der Belseys dazu zwingt, seinen Standpunkt zu überprüfen.
Zum ersten Mal stehen in Zadies Werk starke Frauencharaktere im Mittelpunkt. Frauen sind für Zadie „ein sehr komplexes Geschlecht, Männer sind viel einfacher“. Ohne zuviel zu verraten, sei gesagt: Quasi jeder Mann mittleren Alters ist in diesem Roman untreu. Die Kritiker faszinieren an dieser Autorin nicht ihre großen Ideen und Zeitgeist-Themen, sondern vor allem die so lebensechten Darstellungen einprägsamer Charaktere wie die zagend verletzliche Kiki in ‚Schönheit‘.
Als Smiths zweiter Roman ‚Der Autogrammhändler‘ 2003 herauskam, veröffentlichte eine Londoner Tageszeitung unter dem Titel ‚Das geheime Leben der Zadie Smith‘ ein Paparazzifoto, das Zadie „skandalöserweise“ dabei zeigte, wie sie ihre Haustür aufschloss. „Sie hatte mehrere exzentrische Beziehungen“, lechzte es in dem Artikel. „Liebhaber kamen und gingen“. Als ob eine 26-jährige Frau, die eine Reihe von Beziehungen hat, anstatt gleich nach der Uni zu heiraten, pervers sei. Damals fand sie es „schrecklich“, heute kann sie nur noch darüber lachen: „Ja, ich bin durchaus eine lustvolle Frau“, sagt sie und beißt ein extragroßes Stück von ihrem Käsekuchen ab.
Zadie Smith lebt in Kilburn, wo sie 1975 geboren wurde und wo „die Leute mich nicht als die Autorin kennen. Da bin ich einfach nur die Tochter meiner Mutter.“ Ihr Vater, heute 78, war damals ein älterer weißer Mann, der bei der Post arbeitete, und ihre Mutter ein junges jamaikanisches Model – heute ist sie Psychotherapeutin. „Wenn es nach ihr geht, ist sie für immer 49 Jahre alt. Dabei bleiben wir“, sagt Zadie. Sie hat zwei jüngere Brüder. „Ben ist ein Rapper unter dem Pseudonym Doc Brown, und Luke ist gerade mit der Uni fertig.“
Die spätere Bestsellerautorin wuchs in einem Haus voller Bücher auf – von Austen über Kafka bis Maupassant und ganzen Regalbrettern, die sich unter der Last radikaler feministischer Literatur bogen. Ganz wie die Familie Belsey im Roman. Zadie redet häufig über ihre Familie, und sie rufen sogar während des Interviews an, nur um „Hallo“ zu sagen. „Als wir aufwuchsen, stand meine Mutter immer hinter uns, also haben wir eine solide Basis. Jetzt können wir Dinge einfach sagen und wissen, dass sie uns nicht umbringen werden.“
Sie war ein stilles, leicht unbeholfenes Kind, das nicht gerne raus ging und stattdessen lieber alte Musicalfilme mit ihrem Vater anschaute (heute noch kann sie einem Happy End in ihren Romanen nicht widerstehen). Und sie wusste, dass sie Schriftstellerin werden wollte, als sie auf den Bloomsbury Kreis stieß. Hier waren Frauen „nicht nur wichtig, sie standen im Mittelpunkt“. Allen voran Virginia Woolf. Zadie fand heraus, dass Cambridge der beste Ort wäre, um diesen Weg einzuschlagen. Für sie war das eine der glücklichsten Zeiten in ihrem Leben, denn dort war sie „umgeben von den besten Dozenten und den cleversten Köpfen der Welt“.
Als Teenager war die heute oft spektakulär gekleidete Schönheit übergewichtig und „nicht sehr begeistert von mir selbst“, und verbarg sich hinter der „wildesten Uniform – Kapuzenjacken und Jeans“. Sie ging nicht auf Partys und hielt sich „von physischen Aktivitäten fern“. Doch das ist lange her.
Im letzten Sommer heiratete sie den irischen Schriftsteller Nick Laird. Sie lernten sich vor zehn Jahren in Cambridge kennen. „Ich mochte ihn schon immer, er nur leider mich nicht, also war das eine lange Wartezeit. Das ist alles, was ich dazu sagen werde.“
Zadie Smiths erster Roman ‚Zähne zeigen‘ war der zweitgrößte Verkaufsschlager des Jahres 2000. Da war sie 24. Jetzt ist sie 31 und träumt davon, ein Buch mit Essays zu schreiben, „wie Virginia Woolfs ‚Ein Zimmer für sich allein‘. Das hat mein Leben mehr verändert als jedes andere Buch.“
Zadie Smith: ‚Von der Schönheit‘ (Kiepenheuer & Witsch, 29.90 Euro).
Headly Freeman, EMMA September/Oktober 2006

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