Sind Bäuerinnen die Rettung?
Die Bäuerinnen von heute sind mittendrin, statt nur dabei. Sie studieren Agrarwissenschaften, übernehmen Höfe, vernetzen sich deutschlandweit. Allein in der „Agrarfrauen-Community“ auf Facebook haben sich 2.000 vernetzt. Sie geben dort Tipps für Betriebsführung oder Direktvermarktung, diskutieren über Tierhaltung und Generationenkonflikte.
Ackerbäuerin Susanne aus Bayern zum Beispiel postet, wie sie den Maxi-Cosi auf dem Mähdrescher sichert. Kartoffel-Bäuerin Franziska vom Alten Land weiß, wo Frauen passende Arbeitskleidung bestellen und welche Kartoffel-Sorte in diesem Jahr besonders gut geht. Schweinemästerin Maren aus Niedersachsen verteilt Links zur rechtlichen Absicherung der Landwirtinnen; und Rinderzüchterin Andrea aus dem Saarland erklärt, wie am schnellsten Corona-Soforthilfen beantragt werden können. Und tolle Trecker-Fotos gibt es natürlich auch. Vier von fünf der Agrarfrauen sind zwischen 20 und 45 Jahre alt, und sie sehen in der Landwirtschaft ihre große Zukunft.
Ähnlich funktioniert das „BioFrauenNetzwerk“, in dem sich Bio-Bäuerinnen austauschen. Auf Großveranstaltungen wie den „Öko-Feldtagen“ oder der „Biofach“ organisieren sie Treffen oder Demos; und die Landwirtinnen des Netzwerkes „Meine Landwirtschaft“ setzen sich ein für Umwelt-, Natur-, und Tierschutz und kämpfen seit mehr als zehn Jahren für eine „Agrar- und Ernährungswende“.
Im Deutschen Landfrauenverband schließlich treffen alle zusammen, die aus ökologischer wie aus der konventionellen Landwirtschaft. „Bei uns Frauen liegt das größte Potenzial, wir sind die Zukunft“, sagt die Präsidentin des Deutschen Landfrauenverbandes, Petra Bentkämper, selbstbewusst. „Wir haben top ausgebildete Frauen, die in der Landwirtschaft neue Wege gehen wollen. Außerdem repräsentieren Frauen Landwirtschaft nicht nur aus Sicht der Technik und der Betriebe, sondern auch aus Sicht der VerbraucherInnen – und da liegt die wahre Power. Frauen sind Produzentinnen und Konsumentinnen zugleich.“
Gegenseitiges Vertrauen tut in der Tat not. Spannung liegt in der Luft: Klimastreiks hier, Bauernstreiks da. Massentierhaltung, Pflanzenschutz mittel, zuviel Gülle auf den Feldern hier – Tier- und Naturschutz da. So verhärtet wie 2020 waren die Fronten noch nie. Die Aufgabe wäre: eine zukunftsfähige Landwirtschaft, von der alle profitieren – LandwirtInnen, VerbraucherInnen, Tiere und die Natur.
Mit diesem Ziel wurde gerade die „Zukunftskommission Landwirtschaft“ 2020 von Bundeskanzlerin Merkel und Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner auf den Weg gebracht. Nur ein Thema wurde dabei bislang vergessen: die Frauen in der Landwirtschaft.
Wie viele Frauen arbeiten in den Betrieben, auf welcher Position? Wie viele leiten Betriebe, öko oder konventionell? Wie groß ist ihr wirtschaftlicher Ertrag? Tja, schwer zu sagen. „Die Datenlücke ist riesig“, erklärt Susanne Padel vom Thünen- Institut für Betriebswirtschaft. Es gibt nur wenige Studien oder Erhebungen zum Thema Frauen in der Landwirtschaft. Das ändern Padel und KollegInnen gerade. Seit Anfang 2019 forschen das Thünen-Institut und die Universität Göttingen an einer Studie zur „Lebens- und Arbeitssituation von Frauen in landwirtschaftlichen Betrieben“. Erste Ergebnisse: Frauen tragen in hohem Maß dazu bei, ob ein Hof erfolgreich ist.
Es gibt in Deutschland heute 276.120 landwirtschaftliche Betriebe, rund elf Prozent von ihnen sind Bio-Höfe, Tendenz steigend. Auf allen Höfen ist jede dritte Arbeitskraft weiblich. Aber nur jeder zehnte Betrieb wird ausschließlich von einer Frau geleitet. In Litauen und Lettland wird knapp jeder zweite Betrieb von einer Frau geführt. Die EU plant, den Einstieg in die Landwirtschaft für junge Frauen zu vereinfachen. Und sie verpflichtet ihre Mitgliedsstaaten, bei der Ausarbeitung von Entwicklungsprogrammen Frauen
stärker zu berücksichtigen. Auch der Deutsche Landfrauenverband fordert: Die Agrarpolitik muss endlich die Frauen miteinschließen!
Der Landfrauenverband hat 500.000 Mitglieder. Verbandspräsidentin Bentkämper lebt und arbeitet selbst auf einem Familienbetrieb. „Eine Arbeitszeit von bis zu 60 Stunden pro Woche ist da normal. In der Erntezeit sind 16 Stunden pro Tag auch keine Seltenheit. Dazu kommt die Buchführung, die Betreuung der Kinder, oft auch die der Altenteiler plus Haushalt“, beschreibt sie den Alltag einer Landwirtin.
Laut Umfrage einer Agrarzeitschrift haben 40 Prozent dieser Frauen weder einen Arbeitsvertrag, noch sind sie Miteigentümerin des Hofes. Sie führen eine „Hausfrauenehe“ und sind über ihren Mann kranken- und sozialversichert. Schlimmer noch: „Sie lassen sich von der Pflicht zur Altersvorsorge befreien, um Kosten für den Hof zu sparen“, erklärt Anne Dirksen, sie ist die „sozioökonomische“ Beraterin für das Sachgebiet Familie und Betrieb der Landwirtschaftskammer Niedersachsen.
Seit 30 Jahren fährt sie über die Höfe Niedersachsens und berät Landwirtinnen zu Fragen wie Altersvorsorge. Das größte Problem: der „Mythos MiFa“. Als „MiFa“ bezeichnet man in der amtlichen Statistik Verwandte bis zum dritten Grad, die in einem Betrieb familiäre Mitarbeit leisten. Dirksen: „Rechtlich gibt es den Status MiFa für Ehefrauen eigentlich gar nicht, sie finden ihn in keinem Vertrag.“ Die meisten Verträge mitarbeitender Frauen laufen auf Mini-Job-Basis, also für 450 Euro, steuerfrei, werden aber „MiFa“ genannt. Dirksen: „Vielleicht, weil MiFa in den Ohren vieler Frauen noch besser klingt als Mini-Job.“ Das Kernproblem sei, dass auch Frauen, die bis zu 80 Prozent auf einem Hof arbeiten, keine faire vertragliche Absicherung aushandeln. „Meine Erfahrung ist, dass Frauen viel zu gutgläubig ihre Männer die Sachen regeln lassen und sich nicht darüber im Klaren sind, dass sie mit der Heirat eigentlich zu Unternehmerinnen werden.“
Viele Frauen begreifen die Arbeit auf dem Hof als erweiterte Familienarbeit. Sie putzen das Haus und dann auch den Stall. Sie versorgen die Kinder und füttern die Tiere. „Es ist nicht der Gesetzgeber, der hier was machen muss, es sind die Frauen selbst. Es geht um Emanzipation“, erklärt Anne Dirksen. Im Fall der Trennung haben diese Frauen keine Rente und rutschen in die Altersarmut. Gibt es keinen Ehevertrag, gelten bei einer Scheidung die Regeln der gesetzlichen Zugewinngemeinschaft. Das fällt dann oft schmal aus.
Und dann kommt noch ein großes Problem dazu: „Frauen unterschreiben oft die Kreditverträge ihres Mannes mit, zum Beispiel für die Anschaffung neuer Gerätschaften“, weiß Dirksen. Ein neuer Traktor kann schnell mal bis zu 150.000 Euro kosten. Bei einer Scheidung bleiben das dann auch die Schulden der Frauen.
Dabei tragen die Frauen die Verantwortung mit. Jede zweite gab an, Entscheidungen für den Betrieb (Anschaffung von Maschinen, Saatgut, Neuausrichtung) gemeinsam mit dem Partner zu treffen. Kein Wunder: 30 Prozent haben eine Ausbildung in einem landwirtschaftlichen Beruf, 22 Prozent eine kaufmännische, 32 Prozent haben einen Studienabschluss und darunter jede fünfte in Agrarwissenschaft.
An allen zehn Hochschulen für Agrarwissenschaften steigen die Zahlen der weiblichen Studierenden, an einigen Fakultäten sind heute mehr als die Hälfte Frauen. Durchschnittlich 400 Studierende – inzwischen nahezu zu gleichen Teilen Männer und Frauen – schreiben sich jährlich neu in den Fakultäten ein. Sie werden nach ihrem Abschluss für große Landtechnikhersteller arbeiten, für Saatgutunternehmen oder Lebensmittelverarbeiter. Oder sie werden Landwirtinnen. Auch in der Erbfolge tut sich gerade was. Noch vor wenigen Jahren war es undenkbar, dass eine Tochter den Hof übernimmt. Obwohl alle Höfe-Ordnungen eine Gleichbehandlung von Frauen und Männern in der Erbfolge festlegen, war die gängige Praxis die, den Hof an einen Sohn zu vererben. „Die Zahl der Hoferbinnen wächst langsam, aber sie wächst“, sagt Petra Bentkämper, „Und Frauen, die einen Hof übernehmen, wollen das mit aller Kraft. Die wollen dann was reißen!“
Das sieht auch die Grüne Ophelia Nick so, Besitzerin eines 90 Jahre alten Demeterhofes, Tierärztin und Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft NRW. „Frauen sind oft Gestalterinnen und stärker dazu bereit, eine artenreiche Agrarlandschaft auf den Weg zu bringen oder ihren Tieren ein würdiges Dasein zu ermöglichen. Wenn Frauen politisch mehr mitreden würden, sähe unsere Landwirtschaft schon ganz anders aus!“
In ihrem Buch „Neue Bauern braucht das Land“ plädiert Nick dafür, die hochindustrialisierte Landwirtschaft, die in Deutschland seit 30 Jahren betrieben wird, umzubauen. „Die Verbraucher fordern das und auch die Landwirte selbst sehen, dass es so, wie es jetzt ist, nicht weitergehen kann. Den wenigsten geht es wirklich gut.“ Als Tierärztin sieht Nick, wie schlecht es auch vielen Tieren geht.
Einen Fortschritt erhoffen sich die ReformerInnen von der Umsetzung der Vorschläge der Borchert-Kommission, die Anfang 2020 vorgestellt wurden. Die von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner einberufene Kommission schlägt einen stufenweisen Umbau in der Nutztierhaltung vor, bis 2040. Bessere Ställe, mehr Platz, mehr Auslauf. Künftig soll jede Tierhaltung in der Klassifizierung besser sein als die, die zurzeit gesetzlich vorgeschrieben ist. Das Geld dafür könnte aus einer „Verbrauchssteuer“ auf tierische Produkte kommen. Zum Beispiel 40 Cent pro Kilogramm Fleisch, zwei Cent pro Liter Milch sowie 15 Cent pro Kilogramm Käse, Butter, Milchpulver und Eier. Dadurch ergäben sich Steuereinnahmen von rund 3,6 Milliarden Euro. Und das entspricht ziemlich genau der Höhe des prognostizierten Finanzierungsbedarfs, um Höfe umzustrukturieren.
„Corona hat gezeigt, dass Deutschland sich selbst versorgen kann. Wir könnten ohne Exporte über leben, das können nicht viele Länder“, resümiert Schweinemästerin Maren aus Niedersachsen. „Und wir haben die Kraft, die Landwirtschaft noch viel besser zu machen – für die Landwirte und ihre Familien, die Tiere und die Umwelt. Wir Landwirtinnen sind auf jeden Fall dazu bereit.“