Alice Schwarzer schreibt

Schwarzer über Merkel: Das Versagen

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Da steht sie. Zur schwarzen Hose trägt sie eines ihrer farbigen Jacketts, diesmal zwischen Lila und Rosa, also zwischen Feminismus und Frauenverblödung. Und sie hält eine feministische Rede. Ja, eine feministische Rede! Vor ihr sitzen rund 350 „Entscheiderinnen“ aus allen gesellschaftlichen Bereichen. Hinter ihr prangt ein Transparent: „100 Jahre ­Frauenwahlrecht“. Davon hat allein sie 13 Jahre als Kanzlerin bestritten.

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Für die Politik fordert sie heute Parität, also weit über die Quote hinaus schlicht halbe-halbe. Sie deutet an, wie das gehen könnte: Reißverschlusssystem. Und sie wünscht sich, dass es „selbstverständlich wird, dass Frauen und Männer Erwerbs-, Erziehungs- und Hausarbeit gleichberechtigt aufteilen und niemand aufgrund seines Geschlechts in eine bestimmte Rolle gedrängt wird“. Mehr geht nicht.

Am Tag darauf redet sie wieder. Diesmal nicht in Berlin, sondern in Straßburg. Doppelt so lange. Vor ihr sitzen ein paar hundert EU-Abgeordnete. Die deutsche Kanzlerin spricht von Jugendarbeitslosigkeit, Pressefreiheit und Solidarität. Doch die Frauen erwähnt sie hier nicht. Dabei haben die mindestens so viele gruppenspezifische Probleme und gesellschaft­liche Relevanz wie die Jugend. Die Frauen sind eben doch ein Spartenthema für diese Kanzlerin. Dabei könnte sie es sich jetzt eigentlich leisten: Auch Frau sein. Auch Ossi sein. Wurzeln haben.

Das Problem, über das Angela Merkel nach 13 Jahren stolpert

Stattdessen erwähnt sie jetzt ein anderes Problem, das sie in Berlin tunlichst ausgespart hatte – die „Flüchtlingsfrage“. „Wir haben in den Jahren vor 2015 viel zu lange gebraucht, um auch in Deutschland die Flüchtlingsfrage als eine Frage für alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union anzunehmen und zu verstehen, dass sie eben eine gesamteuropäische ist“, sagt sie. Beifall und Gemurre im Saal.

Es ist dieses Problem, über das Angela Merkel nach 13 Jahren stolpert. Ihre Entscheidungen und Reaktionen in der Sache haben gezeigt, dass sie sehr schlecht beraten war – und ihr Ohr ganz weit vom Volk entfernt ist. Dabei hätte sich auch im Herbst 2015 eigentlich noch alles auffangen lassen. Aber ­Merkels Problem liegt tiefer. Die so genannte „Flüchtlingskrise“ ist nur die Spitze des Eisberges.

Wir erinnern uns: Im Juli 2015 macht die Kanzlerin noch als „Eiskönigin“ Schlagzeilen. Nicht nur linksliberale Medien finden, sie habe hartherzig auf die Frage einer jungen Palästinenserin reagiert. Die hatte die Kanzlerin im öffentlichen BürgerInnen-Gespräch gefragt, ob ihre Familie bleiben dürfe. Beim näheren Hinschauen auf die ganze Gesprächssequenz – die die Medien manipulativ nur auszugsweise senden – wird klar, dass die Kanzlerin durchaus einfühlsam und ehrlich reagiert hatte. Und außerdem stellt sich rasch heraus, dass das Mädchen aus einer militant antiisraelischen Familie kommt.

Dennoch muss der Vorwurf der ­Mitleidlosigkeit die protestantische Pfarrerstochter tief getroffen haben. Wenige Wochen später, am 5. September, öffnet die Kanzlerin die deutschen Grenzen, sie lässt anderenorts abgewiesene Flüchtlinge massenhaft nach Deutschland einreisen. Ein Volk gerät in den Welcome-Rausch. Gefühlte 80 Prozent aller Deutschen sind mit ihrer Kanzlerin einverstanden. Wir sind stolz auf sie! Wir finden es gut, dass gerade Deutschland mit seiner dunklen, fremdenfeindlichen Vergangenheit jetzt Herz zeigt.

Doch dann werden die Flüchtlinge immer mehr. Und immer männlicher. Warum lassen all diese jungen Männer eigentlich ihre Länder im Stich? Sind sie wirklich alle in Lebensgefahr und auf der Flucht vorm (Bürger)Krieg? Und wo sind die Frauen? Die wenigen sind mit ihren Kindern in Flüchtlingslagern – und niemand schützt sie vor den marodierenden Männern, denen sie schon in ihren extrem frauenverachtenden Herkunftsländern ausgeliefert waren.

Die schweigende Mehrheit ballt stumm die Fäuste

Die Probleme eskalieren. Alle diffusen Ängste und Sorgen kulminieren nun plötzlich in der großen Angst vor „den Flüchtlingen“. Die steigende Wut der BürgerInnen bringt die Parteienlandschaft ins Wanken. Die „Guten“ wandern ab zu den Grünen, die „Bösen“ zur AfD. Die schweigende Mehrheit dazwischen ballt stumm die Fäuste.

Warum nur hat die Kanzlerin das nicht begriffen? Warum hat sie zwei Jahre lang nicht die richtigen Worte gefunden? Ja, nicht alle Flüchtlinge sind willkommen. Und ja, auch Willkommene bringen aus ihren tiefpatriarchalen und gewaltgeschüttelten Ländern Probleme mit – die erkannt und gelöst werden müssen. Gemeinsam. Stattdessen ein stoisches „Wir schaffen das“. Und zwei Jahre später der unglaubliche Satz: „Ich würde alles wieder so machen.“ Ein Stöhnen geht durchs Land.

Wie konnte ihr das passieren? Vermutlich, weil ihr Unverständnis tiefer liegt, viel tiefer. Bis heute spricht Angela Merkel von „Religionsfreiheit“, wenn es Probleme mit dem politisierten Islam gibt, der gegen Demokratie und pro Gottesstaat ist. Bis heute hat sie offensichtlich nicht den Unterschied zwischen dem Islam als Glauben und dem Islamismus als Ideologie begriffen.

Im Ausland werde ich immer wieder gefragt: Hat sie einen Plan? Nein, antworte ich dann: Ich fürchte, sie hat keinen Plan. Sie ist schlicht ahnungslos, bzw. will es nicht wahrhaben. Und damit ist die Kanzlerin leider nicht allein. Sie befindet oder befand sich zumindest auf der Seite der Mehrheit in Politik und Medien. Sie alle haben bis heute nicht begriffen, dass das Problem nicht erst beim Terrorismus anfängt, sondern der nur der dramatische Endpunkt ist. Es beginnt bei der Trennung von Mädchen und Jungen, bei der Verschleierung der Frauen, bei der Apartheid der Geschlechter. Die wird seit Jahrzehnten von den orthodox bis islamistisch orientierten Islamverbänden propagiert und gerichtlich erstritten. Sie sind es, die die patriarchal-auto­ritären Muslim-Milieus unterstützen, ja schaffen.

Dieses Milieu hat sich in den vergangenen Jahrzehnten unter dem Einfluss der Verbände und der vom Ausland (Saudi-Arabien! Türkei!) finanzierten Imame und anderen Rattenfängern stetig vergrößert und radikalisiert. Diese Radi­kalen setzen allen voran die integrierten, demokratischen deutschen BürgerInnen muslimischer Herkunft unter Druck.

25 Jahre hat
die Politik den Scharia-Muslimen nur zugesehen

25 Jahre lang hat die Politik tatenlos zugesehen, wie die Scharia-Muslime in den Communitys die Menschen verhetzen – ja, ihre Repräsentanten sogar noch hofiert. Und die Medien haben, im Namen einer kulturrelativistischen, falschen Toleranz, dazu geschwiegen bzw. es gar noch bejubelt. Das Resultat: starke Parallelgesellschaften, die kaum noch in den Griff zu kriegen sind.

Was tun, wenn eine Schulrektorin in Berlin-Neukölln klagt: von 103 Erstklässlern spräche nur eineR zuhause Deutsch. Astrid-Sabine Busse: „Von wegen dritte, integrierte Migranten-­Generation. Man holt sich immer noch den Ehepartner aus dem früheren Heimatland. Wieder ein Elternteil, das kein Deutsch kann.“

Zurzeit ist viel die Rede davon, dass Rechtsradikale und Linksradikale bekämpft werden müssen. Zu recht. Aber auch die Islam-Radikalen – inklusive ihrer Wölfe, die Kreide gefressen haben – müssen endlich bekämpft werden! Denn diese Islamisten sind die neue, bestorganisierte internationale Rechte.

Nicht nur in Deutschland wollen viele das bis heute nicht wahrhaben. Bei unserem französischen Nachbarn kündigt sich gerade ein Wandel an. Zwei Reporter der linksliberalen Tageszeitung Le Monde, Gérard Davet und Fabrice Lhomme, haben ein Buch mit den Ergebnissen ihrer monatelangen Recherchen in den Pariser Vororten veröffentlicht. Was sie da sahen, ist alarmierend.

Mitten in Paris – und ganz Frankreich – leben zum Beispiel kleine Mädchen, die vollverschleiert sind, keine Musik hören dürfen (haram) und mit Puppen ohne Gesicht spielen müssen. Denn auch das Gesicht einer Frau und ihr Haar sind haram, sind Sünde. Und die kleinen Jungen? Die bewachen ihre Schwestern wie Gefangene und träumen vom Djihad.

„Seit Erscheinen des Buches werden wir in den sozialen Medien – die man treffender als asozial bezeichnen sollte – als ‚islamophob‘, ‚faschistisch‘, ja sogar als ‚Nazis‘ beschimpft“, klagt Reporter Fabrice Lhomme in einem Interview mit dem Magazin Le Causeur. Er ist, wie sein Kollege, selber in einer dieser Vorstädte aufgewachsen und erkennt sie nicht wieder.

Dabei haben wir Angela Merkel
so viel zu
verdanken

Die Reporter weiter: „Twitter ist eine Waffe der Feiglinge und Frustrierten geworden“, die Aufklärer und Kritiker einschüchtern und diffamieren. „Offensichtlich haben alle gesellschaftlichen Kräfte, vom Polizisten über den Professor bis zum Journalisten, da etwas übersehen. Manche allerdings haben es gesehen, doch sie hatten Angst, zu reden oder zu handeln. Angst, als ‚rechts‘ oder ‚islamophob‘ bezeichnet oder gar Opfer von Gewalt zu werden. Das alles hat uns zum Schweigen gebracht. Und dieses Schweigen dauert an.“

Noch immer kann man die KritikerInnen, kann man uns Wenige ungestraft einschüchtern und diffamieren. Zu diesem Klima hat leider auch die Kanzlerin beigetragen, indem sie das Problem nicht benannte und öffentlich mit dem Ver­fassungsschutz einschlägig bekannten Scharia-Muslimen Arm in Arm auftritt.

Dabei haben wir Angela Merkel gleichzeitig so viel zu verdanken. 1. Ganz schlicht ihre Existenz: Eine Frau im Kanzleramt! 2. Ihren Stil: Statt Groß­kotzigkeit 13 Jahre Bescheidenheit und Sachbezogenheit! 3. Ihre großartige Außenpolitik! Sie setzt nicht auf Krieg, sondern auf Diplomatie.

Sie ist nicht mit einmarschiert in Libyen, wo Amerika und Frankreich nicht nur ein Land, sondern einen halben Kontinent in ein heute von Islamisten dominiertes Chaos gestürzt haben. Und sie hat, mindestens einmal, den Weltfrieden gerettet: Im Februar 2015 in Minsk, als sie es geschafft hat, in einem 48-Stunden-­Verhandlungsmarathon gleichzeitig Putin zu besänftigen und Obama am Aufrüsten der Ukraine zu hindern.

Kein Zweifel: Sie wird nicht nur uns fehlen! Trotz alledem. Und sie hat Geschichte geschrieben. Frauen­geschichte.

Alice Schwarzer

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