Antisemitismus. Rassismus. Sexismus.

Artikel teilen

Als erstes flucht Stephan B. über sein eigenes Scheitern. „Ja, natürlich haste kein Netz!“ nöhlt er, als er Probleme hat, seinen Livestream einzurichten. Dann brüllt er raus, wer schuld am schlimmen Zustand der Welt ist: Der Jude! Die Masseneinwanderung! Der Feminismus!

Anzeige

Der halbstündige Stream zeigt: Der 27-Jährige aus Sachsen-Anhalt, der noch bei seiner Mutter lebte, entspricht offenbar genau dem Typus Attentäter, der in letzter Zeit schon so oft sein Unwesen getrieben hat: Ein junger Mann, der sich als Loser fühlt. Er projiziert seinen Selbsthass auf die „anderen“. Er ist anfällig für radikale Ideologien. Denksysteme, die ihm erklären, wie er sein gekränktes, männliches Ego aufwerten kann. Erhöhung des Selbst durch Erniedrigung der anderen. Diese „Anderen“ sind bei Stephan P. Juden, Muslime und Frauen. Dabei ist Frauenhass quasi immer Teil des Hass-Gesamtpakets, denn im Kern steht bei diesem Typus Täter die gefühlte Entwertung als Mann.

Brenton Tarrant: Starke Männer werden nicht ethnisch ausgetauscht

Marina Weisband beschrieb es bei Maybrit Illner als „Dreiklang aus Rassismus, Antisemitismus und Antifeminismus“. Man sehe, erklärt die jüdische Ex-Piratin, „wie das auf diesen Plattformen in eine einzige ideologische Blase gegossen wird“. Gemeint sind rechtsextreme Plattformen wie 8chan, in denen auch Stephan B. unterwegs war. Elmar Theveßen stimmt Weisband zu: „Diese Ideologie beinhaltet, dass es hier nicht nur gegen Juden geht, sondern gegen alle, die zu ‚Anderen‘ deklariert werden“, erklärt der ARD-Terrorismus-Experte. Diese „Anderen“ könnten Muslime sein, Menschen mit abweichender Meinung oder Feministinnen.

Die Welt macht darauf aufmerksam, dass das Manifest des Täters in Foren der sogenannten „Incel“-Bewegung verbreitet wurde. Diese „involuntary celibataires“, die unfreiwillig Beziehungslosen, geben Frauen, die ihrer Ansicht nach zu selbstbewusst geworden sind, die Schuld an ihrem Single-Dasein. In ihren Foren ergießen sie sich in Hasstiraden auf den Feminismus. Einer von ihnen war der Attentäter, der im April 2018 in Toronto mit einem Transporter in eine Menschenmenge fuhr und zehn Menschen tötete. Stephan B., der Attentäter von Halle, spielte in seinem Video denselben Song ab, den auch der Toronto-Attentäter auf seiner Todesfahrt hörte.

Es gebe in der Szene „einen massiven Hass auf Menschen, die für die Gleichberechtigung der Geschlechter eintreten“, erklärt Daniel Köhler, Direktor des GIRDS-Forschungsinstituts für Deradikalisierung, auf die Frage der Welt nach der „Frauenfeindlichkeit in dieser Community“.

„Einmal Verlierer, immer Verlierer“ fluchte Stephan B., nachdem es ihm nicht gelungen war, in die Synagoge einzudringen.
Der Attentäter von Halle erfüllt das klassische Täter-Muster.

So war es auch bei Brenton Tarrant, dem Attentäter von Christchurch, der am 15. März dieses Jahres eine Moschee stürmte und 50 Menschen erschoss. Auch Tarrant, der seine Tat ebenfalls per Livestream übertragen hatte, hatte sich in rechten Foren radikalisiert und in seinem Manifest eine krude Mischung aus Fremden- und Frauenhass verkündet.

„Starke Männer werden nicht ethnisch ausgetauscht, starke Männer lassen ihre Kultur nicht untergehen, starke Männer lassen ihr Volk nicht sterben“, schrieb Tarrant. „Schwache Männer haben uns in diese Lage gebracht und starke Männer werden jetzt gebraucht, um sie wieder in Ordnung zu bringen”. So ein starker Mann wäre Brenton Tarrant, der frauenlose Arbeitersohn ohne Ausbildung, gern gewesen. Seine Vision: Eine Gesellschaft mit „starken Geburtenraten“ und „starken Geschlechternormen“.

Der gekränkte Mann kann gefährlich werden. Lebensgefährlich.

Auch Anders Breivik hatte davon geträumt, das „Patriarchat wiederherzustellen“. Der Mann, der am 22. Juli 2011 in Oslo und auf der norwegischen Insel Utoya 77 Menschen erschoss, wollte nicht nur die Welt vor der „islamischen Invasion“ bewahren. Er war ein erklärter Frauen- und Feministinnenhasser. Und ein krachend gescheiterter Mann, der mit 27 wieder bei seiner Mutter einzog.

Auch bei den islamistischen Attentätern ist der pathologische Frauenhass unverzichtbarer Teil ihrer menschenverachtenden Ideologie, ganz wie der Judenhass. Der Mann, der am Nachmittag des 7. Oktober in Limburg mit einem gestohlenen LKW in eine Autoschlange fuhr, war polizeibekannt. Seine Vergehen: Körperverletzung, Drogendelikte, Diebstahl und – sexuelle Belästigung.

Kurz vor dem Aufprall habe der Mann „Allah, Allah“ gerufen, berichten Zeugen. Doch die Polizei erklärt, es handle sich nicht um einen Terrorakt, sondern um die Tat eines „verwirrten Einzeltäters“. Es mag sein, dass der Attentäter von Limburg allein loszog, um Menschen zu töten. Wie womöglich auch Stephan P. in Halle. Doch in Wahrheit haben beide Hunderttausende Komplizen.

„Einmal Verlierer, immer Verlierer“ fluchte Stephan B., nachdem es ihm nicht gelungen war, in die Synagoge einzudringen. Er hatte vergeblich versucht, die verschlossene Tür der Synagoge aufzuschießen – drinnen zitterten 70 gläubige Juden, die an diesem Tag Jom Kippur feiern wollten, das Fest der Versöhnung. Juden müssen also in Deutschland wieder um ihr Leben fürchten. Es ist unendlich beschämend.

Kurz bevor er sich mal wieder als Loser abgekanzelt hatte, hatte Stephan B. einer Frau, die zufällig an der Synagoge vorbeigekommen war und sich über den Lärm beschwert hatte, in den Rücken geschossen. Anschließend ballert er noch mehrfach auf die am Boden liegende, vermutlich schon tote Frau.

„Der gekränkte Mann kann gefährlich werden“, hatte Alice Schwarzer in einer Analyse über den Zusammenhang zwischen Terrorismus und Amokläufen geschrieben. „Lebensgefährlich.“

Artikel teilen

Was ist ein Einzeltäter?

Der Attentäter von Christchurch. Seine Inspiration war der Attentäter von Utoya.
Artikel teilen

Es mag ja sein, dass Brenton Tarrant allein war, als er am Freitag in die beiden Moscheen im neuseeländischen Christchurch stürmte und 50 Menschen erschoss. Doch wer sein Manifest liest, weiß, dass der 28-Jährige viele, sehr viele Brüder im Geiste hat. Und das sind nicht nur die, die der Attentäter selbst nennt: “Ich unterstütze viele, die aufgestanden sind gegen den ethnischen und kulturellen Genozid”, schreibt er.

Anzeige

Zum Beispiel: Dylann Roof, 25, der am 17. Juni 2015 in einer Kirche in Charleston, North Carolina, neun schwarze Menschen erschoss. Oder Anton Lundin Pettersson, der am 22. Oktober 2015 im schwedischen Trollhättan drei Schüler und einen Lehrer erstach. Die Schule, die der damals 21-jährige für seinen Amoklauf auswählte, wurde von vielen MigrantInnen besucht. Und natürlich: Anders Breivik, der am 22. Juli 2011 in Oslo und auf der norwegischen Insel Utoya 77 Menschen erschoss.

Seine Brüder im Geiste: Alle, die den starken Mann wieder herbeisehnen

Er habe “die Schriften von Dylann Roof und vielen anderen gelesen”, erklärt Brenton Tarrant, das Manifest von Breivik jedoch sei für ihn die “wahre Inspiration” gewesen. Und so finden sich die zentralen “Thesen” des Massenmörders Breivik auch in dem Pamphlet des Massenmörders Tarrant. Titel: “The Great Replacement” (Der große Austausch).

Ausgetauscht werden solle die “weiße Rasse” gegen die muslimischen “Invasoren”, die mit ihrer “Masseneinwanderung” und durch ihre “große Fruchtbarkeit unsere Länder übernehmen”. Schuld daran seien “wir selbst, die europäischen Männer. Starke Männer werden nicht ethnisch ausgetauscht, starke Männer lassen ihre Kultur nicht untergehen, starke Männer lassen ihr Volk nicht sterben. Schwache Männer haben uns in diese Lage gebracht und starke Männer werden jetzt gebraucht, um sie wieder in Ordnung zu bringen”. Starke Männer wie Brenton Tarrant, der Arbeitersohn ohne richtige Ausbildung, gern einer gewesen wäre.

Die Lösung: Nachdem die “Invasoren zerstört” seien, müssten die “katastrophal niedrigen Geburtenraten” der westlichen Welt gesteigert werden, und zwar “um jeden Preis”. Und das heißt: Frauen zurück an den Herd! Denn: “Die einzigen Völker, die solche Probleme nicht haben, sind solche mit starken Traditionen und Geschlechternormen.” Es müsse also “eine neue Gesellschaft gebildet werden. Eine Gesellschaft mit einem viel stärkeren Fokus auf familiäre Werte, Geschlechter- und soziale Normen”. Genauso, sogar noch krasser, hatte es auch Breivik formuliert. Auch der wollte “das Patriarchat wiederherstellen”, Frauen müssten wieder “wissen, wo ihr Platz ist”.

Wir haben es also – mal wieder – mit einer fatalen Mischung aus Fremden- und Frauenhass zu tun. Und die ist anschlussfähig. Zum Beispiel bei den Maskulisten, jenen Männerrechtlern, die mit ihrer Mischung aus rechtem und frauenfeindlichen Gedankengut gegen den Verlust ihrer Vorherrschaft schäumen.

Wieder einmal eine fatale Mischung aus Fremden- und Frauenhass

„Was ist aus dem Helden geworden, dem Jäger und Ritter, dem Horizontdurchbrecher und Kontinenteerschließer?“ sorgt sich zum Beispiel Michael Klonovsky, Ex-Focus-Redakteur und heute persönlicher Referent von Alexander Gauland (AfD). „Wo schwindende Völkerschaften Räume frei machen, drängen fruchtbare nach“, erklärt auch Klonovsky,  „und es wird faszinierend sein zu beobachten, wie unsere Schwulen, Lesben und Feministinnen zum Selbstbehauptungskampf gegen die muslimischen Machos antreten."

Es geht also nicht nur um Rassismus, sondern im Kern um (junge) Männer, die sich als Männer entwertet fühlen und ihren Hass auf solche Männer richten, die sie für viriler und mächtiger halten als sich selbst. Und um Hass auf Frauen sowieso. Wie die Zehntausenden “Incels” (=involuntarily celibates), diese so genannten „unfreiwillig beziehungslosen Männer“, die der Ansicht sind, dass sie ein “Recht” auf Frauen haben und in ihren Foren ihrem Hass auf Frauen freien Lauf lassen, die ihnen dieses “Recht” vorenthalten. (Und ihrem Hass auf Männer, die sie für attraktiver halten als sich selbst, zum Beispiel arabische.)

Auch bei Brenton Tarrant wird sich vor Gericht demnächst womöglich die Frage stellen, ob man ihn für zurechnungsfähig hält. Im Falle Breivik hatte das Gericht, entgegen einem psychiatrischen Gutachten, eine klare Haltung: „Ich halte es für prinzipiell bedenklich, Verbrecher von Schuldfähigkeit freizusprechen, indem man ihre Gesinnung für krankhaft erklärt“, hatte die Richterin verkündet. In der Tat: Die Gesinnung, die guten alten Verhältnisse wiederherzustellen, ist „normaler“, als wir es uns wünschen können. Denn sie schlummert in Millionen Männern.

Weiterlesen
 
Zur Startseite