Berlin: Angry White Men wählten AfD

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23 Prozent der Berlinerinnen, aber nur 20 Prozent der Berliner wählten die Sozialdemokraten. Die sind mit insgesamt 21 Prozent der schwächste Wahlsieger der bundesrepublikanischen Wahlgeschichte. Wäre es allerdings nach den Wählerinnen über 60 gegangen, wäre die SPD auf 29 Prozent gekommen.

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Auch die CDU konnte ihren Frauenvorsprung halten, den sie seit 2005, also seit Angela Merkel hat. 19 Prozent der weiblichen Wähler machten ihr Kreuz bei der Kanzlerinnenpartei, aber nur 17 Prozent der Männer. Auch hier waren es vor allem die Wählerinnen über 60, die überdurchschnittlich häufig (23%) die CDU wählten.

Der selbe Typus Mann, der auch Donald Trump zujubelt

Auch die Grünen haben den – in diesem Fall traditionellen – Frauenvorsprung (Frauen: 17%, Männer: 14%). Allerdings punkten sie vor allem bei den jüngeren Wählerinnen: Knapp jede vierte Berlinerin zwischen 18 und 44 machte ihr Kreuz bei der Öko-Partei.     

Hingegen einen traditionellen Männervorsprung, wenn auch diesmal einen kleinen, haben die wiederauferstandene FDP (Frauen: 6%, Männer: 7%) und Die Linke (Frauen: 15%, Männer: 16%). Sie ist im gesamtdeutschen Berlin der eigentliche Sieger: Die Linke ist die einzige unter den bereits etablierten Parteien, die nicht nur keine Verluste hat, sondern einen satten Zugewinn von vier Prozent.

Stark männerlastig ist, wie gehabt, die AfD, wenn auch nicht ganz so stark wie in Mecklenburg-Vorpommern. Während dort der Gender Gap bei historischen neun Prozent lag, wählten in der Hauptstadt sechs Prozent mehr Männer (17%) als Frauen (11%) die Rechtspopulisten mit Frauke Petry an der Spitze. Und auch diesmal ist die AfD bei den Männern einer bestimmte Altersgruppe die stärkste Partei. Jeder fünfte Berliner zwischen 45 und 59 Jahren wählte die AfD. Das ist die Generation der Angry White Men, die auch in den USA Donald Trump zujubelt.

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Die AfD ist nicht das einzige Problem!

afd-Wahlplakat
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Es hat einen Hauch von Harry Potter, genauer: seines Gegenspielers Lord Voldemort, der so furchterregend ist, dass niemand wagt, seinen Namen auszusprechen. Er heißt deshalb: „Der, dessen Namen man nicht nennt“. Auch in dem „Berliner Manifest“, das jetzt von 200 überwiegend homosexuellen ErstunterzeichnerInnen, von Maren Kroymann bis Volker Beck, unterschrieben wurde, gibt es dieses Phänomen. Das, was hier offenbar nicht beim Namen genannt werden darf, ist: die krasse Homophobie eines nicht unbeträchtlichen Teils der Flüchtlinge, die seit letztem Sommer nach Deutschland gekommen sind.

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Manche homosexuelle Frauen und Männer haben Angst

Auch in der hiesigen muslimischen Community ist der Hass auf Schwule und Lesben nachweislich manifester als beim Rest der Bevölkerung in Deutschland. Was so manchem homosexuellen Mann und so mancher homosexuellen Frau verständlicherweise Angst macht. Aber auch das wird in dem Manifest nicht erwähnt. Stattdessen erklären die UnterzeichnerInnen: „Wir wenden uns gegen die Vereinnahmung sexueller Minderheiten durch rechtspopulistische und rechtsradikale Parteien, Gruppierungen und Publizist_innen.“ 

Aber von vorn. Am 18. September wird in Berlin gewählt. Die Umfragen prognostizieren der AfD bis zu 15 Prozent der Stimmen, womit die Rechtspopulisten dicht zu Linken (15-17%), Grünen (17-19%) und sogar der CDU (17-20%) aufschließen würden. Selbst die SPD bricht ein und dürfte nicht über 24 Prozent kommen.

Nun ist die AfD auf die Idee gekommen, gezielt um homosexuelle Wähler zu werben (die Wählerinnen sind wie immer mitgemeint). Auf einem AfD-Wahlplakat erklärt ein Männerpaar: „Mein Partner und ich legen keinen Wert auf die Bekanntschaft mit muslimischen Einwanderern, für die unsere Liebe eine Todsünde ist.“

Damit greift die AfD geschickt ein Problem auf, das die Homosexuellen-Szene seit Monaten umtreibt. Denn die Angst vor der Homosexuellenfeindlichkeit so manches Ankömmlings aus traditionell homosexuellenfeindlichen Gesellschaften treibt auch so manchen schwulen Mann und so manche lesbische Frau nicht erst seit dem Attentat von Orlando in die Arme der Rechtspopulisten.

Und dieses Unbehagen ist keineswegs aus der Luft gegriffen. So belegt eine Studie des Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), dass zwei von drei Befragten mit türkischem oder marokkanischem Migrationshintergrund „Homosexuelle als Freunde ablehnen“. Eine ganz aktuelle Studie von Emnid und der Universität Münster unter türkischen MigrantInnen ergab: JedeR dritte wünschte sich eine „Rückkehr zu einer Gesellschaftsordnung wie zu Mohammeds Zeiten“, jedeR achte hat ein geschlossenes „islamisch-fundamentalistisches Weltbild“.      

Und dann sind da auch die Hilferufe aus den Flüchtlingsunterkünften. Mehr als 130 homo- und transsexuelle Flüchtlinge haben sich allein 2015 hilfesuchend an den Berliner „Lesben- und Schwulenverband in Deutschland“ (LSVD) gewandt. Natürlich ist das nur die Spitze des Eisbergs. Homosexuelle Männer melden, dass sie von anderen Flüchtlingen als „Haussklaven“ zum Putzen benutzt wurden, andere bezeichnen ihre Zeit in der Flüchtlingsunterkunft aufgrund der Misshandlungen durch andere Flüchtlinge als „schlimmste Zeit ihres Lebens“.

Wie kann es da sein, dass nur die AfD das Problem thematisiert? Dass das eine scheinheilige Wahlpropaganda ist – klar. Aber warum fordern die UnterzeichnerInnen des Manifestes nicht gleichzeitig die demokratischen Parteien auf, den Schwulen- und Lesbenhass konservativer oder gar reaktionärer Muslime ernst zu nehmen? Stattdessen werden die Ängste als „islamophob“ abgebügelt. Das ist fatal, denn genau damit treibt man die Menschen in die Arme der Rechtspopulisten.

Aber sie werden mit dieser Angst einfach alleine gelassen 

Das sollte sich inzwischen eigentlich auch bis zu den schwul-lesbischen MeinungsmacherInnen in Berlin herumgesprochen haben. Aber auch das Lesbenmagazin L.MAG bringt es fertig, in seiner aktuellen 15-seitigen Titelgeschichte „Lesben zwischen Rechtsruck und Widerstand“ die Gefahr durch einen politisierten Islam und die dazugehörige Homophobie nicht ein einziges Mal zu erwähnen.  

Wo also bleibt das Manifest gegen die muslimischen Verbände, deren Haltung zur Homosexualität mindestens so reaktionär ist wie die der AfD? Und wo der Protest gegen das Wahlplakat des Regierenden Bürgermeisters mit einer Muslimin, die Kopftuch trägt, also ein rückwärtsgewandtes Islam-Verständnis verkörpert? (Schließlich trägt in Deutschland nur eine von fünf Musliminnen ein Kopftuch.) 

Befragt zu den homosexuellenfeindlichen Übergriffen in Flüchtlingsunterkünften klagte Jouanna Hassoun von Miles, dem Berliner Zentrum für Migranten, Lesben und Schwule: "Wir werden von der Politik damit allein gelassen." Und leider eben auch auch von den VerfasserInnen des „Berliner Manifests“.

Chantal Louis

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