Christine Bergmann: Die feministische

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Die Berliner Politikerin Christine Bergmann ist eben unwiderstehlich.

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Alle Monate wieder wird in Berlin nach der beliebtesten Politikerin, dem beliebtesten Politiker gefragt – und alle Monate wieder ist sie die Nummer Eins: die Senatorin Christine Bergmann, 58 Jahre alt, stellvertretende Bürgermeisterin und „Senatorin für Arbeit, Berufliche Bildung und Frauen“. Warum gerade sie? Weil sie „Osterfahrung in den Westen bringt“. Und weil sie es ernst zu meinen scheint mit dem „Recht auf Arbeit“ und den Frauen.
Dabei ist die ehemalige Apothekerin und promovierte Pharmazeutin überhaupt erst seit acht Jahren in der Politik, denn zu DDR-Zeiten empfand sie sich „zwar schon als eine politische Frau, doch war das nicht mein Staat.“ Nun mischt die im Dezember 1989 frischgebackene Sozialdemokratin mit. Und wie. Mit einem starken Durchsetzungswillen. „Da bin ich erprobt, schließlich wuchs ich mit drei Brüdern auf. Einer davon ist mein Zwilling.“ Dessen weibliche Hälfte wagt es sogar, Freude an der Macht zu haben. Denn „Frauen, die Machtausübung ablehnen, werden niemals irgend etwas für Frauen verbessern“, weiß sie.
Christine Bergmann bekennt sich offen als „Feministin“. Was schon im Westen für eine Politikerin eher pikant ist, gilt im Osten als mutig. Denn in der DDR, die weitgehend unbehelligt vom realexistierenden Feminismus blieb, hielt sich hartnäckig das Klischee von den „verbissenen Männerhasserinnen“.
Versteht sich, daß der geborenen Sächsin und Wahl- Berlinerin die Lage der Frauen im Ostteil ihrer Stadt besonders am Herzen liegt. Zu den „bittersten Kapiteln des Einigungsprozesses“ zählt für Christine Bergmann „der unerhörte Raubbau, der mit der Qualifikation vieler ostdeutscher Frauen betrieben wurde“.
Die Arbeitssenatorin hat jüngst eine viel beachtete Rede im Bundesrat gehalten, in der sie mit überaus deutlichen Worten eine andere Arbeitsmarktpolitik der Bonner Regierung einmahnte. Doch verhindern kann auch sie nicht, daß allein in Berlin 150.000 Frauen als Arbeitslose registriert sind. Dennoch, sagt sie, „haben wir es in Berlin geschafft, daß – im Verhältnis zu den Männern – hier weniger Frauen erwerbslos sind als anderswo.“ Es ist eben alles eine Frage der Relation in einer großen Koalition mit der CDU. „Ein regelrechter Seiltanz ist das oft“, klagt die Senatorin. Aber sie läßt nicht locker: „Ich halte nichts von Grabenkämpfen der Parteien, ich bin an der Lösung von Problemen interessiert. Da bin ich zäh und pragmatisch.“ Christine Bergmann sucht sich Verbündete, über Parteigrenzen hinweg. Selbstverständlich schloß sich die Senatorin ohne Vorbehalte 1992 mit anderen Berliner Politikerinnen von CDU bis PDS zur „Überparteilichen Frauen-Initiative Berlin – Stadt der Frauen“ zusammen. Und auf Hochtouren läuft zur Zeit die Vorbereitung eines europäischen Frauenkongresses, der – wohl nicht zufällig im Wahljahr – im Mai in Berlin stattfinden wird. Unter dem Motto „Europa - Union der Bürgerinnen“ sollen Perspektiven und Strategien der Frauen in einer globalen Welt beraten werden.
Sicher wird auf dem Kongreß von dem Projekt geredet werden, für das die Frauensenatorin vehement kämpft: Für die Umsetzung feministischer Erkenntnisse zur Männergewalt in die Praxis. Bergmann initiierte, trotz Geldnot, das Berliner „Interventionsprojekt gegen häusliche Gewalt“, das vom Bundesfrauenministerium und ihrer Verwaltung getragen wird und 2,3 Millionen kostet. Und ein neues Spezialdezernat zur Verfolgung von häuslichen Gewalttaten an Frauen konnte bereits in den ersten sechs Monaten mehr als 1.500 Fälle bearbeiten. Und sie unterstützte die „Frauenkasse“, die mittellosen Frauen den Schwangerschaftsabbruch finanziert.
Die beliebteste Politikerin Berlins hat zwei Büros: das eine als stellvertretende Bürgermeisterin im eindrucksvollen Roten Rathaus, das andere in einem nüchternen DDR-Bau. Und sie hat einen Arbeitstag von 14 bis 16 Stunden.
Was ihr Mann, Veterinärmediziner und Professor an der Berliner Freien Universität, ihr nicht übel zu nehmen scheint. Christine Bergmann: „Der ist emanzipiert. Seit unsere Kinder aus dem Haus sind, kümmert er sich ums Einkaufen und Kochen.“ Und wenn der Vielbeschäftigten doch mal ein Stündchen bleibt? Dann entspannt sie sich mit ihren beiden kleinen Enkelkindern oder geht wandern.
An Voraussagen für die Bundestagswahlen im Herbst will sie sich nicht beteiligen, aber es wird viel spekuliert: Käme die SPD an die Macht, verlöre Berlin vielleicht  seine beliebteste Politikerin an Bonn.

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