"Wir haben einen Sklavinnenmarkt mitten in Deutschland!"
PolitikerInnen fallen nicht selten unangenehm auf durch verschleierndes Wortgeschwurbel. Nicht so Julia Klöckner. Bei der Verleihung des „HeldinnnenAwards“ in Berlin fand die Bundestagspräsidentin äußerst klare Worte: „Mitten in unserer Gesellschaft besteht ein Sklavinnenmarkt“, erklärte Klöckner. „Frauen aus den Armenhäusern Europas“ würden in der Prostitution „geschlagen, sie müssen sich ins Gesicht spucken lassen und auf den Knien vor ihren Freiern rumrutschen“. Prostitution sei „ein Verstoß gegen die Menschenwürde und die Menschenrechte“ . Kurzum: „Frauen und ihre Körper sind keine Ware.“
Den deutschen Sonderweg, Prostitution zu einem „Beruf wie jeder andere“ zu erklären, befand Julia Klöckner für gescheitert. „Wir beobachten in Deutschland seit mehr als zwei Jahrzehnten, dass wir Prostituierte mit unserer Gesetzgebung eben nicht ausreichend schützen. Ganz im Gegenteil: Deutschland ist der Puff Europas!“ Deshalb forderte die Bundestagspräsidentin: „Wir müssen den Sexkauf hierzulande endlich auch verbieten!“
Wie es in den letzten Jahren andere Länder wie Schweden, Norwegen, Frankreich oder Irland längst getan haben. Julia Klöckner war an diesem Abend in der überfüllten Berliner Landesvertretung Baden-Württemberg als Laudatorin für eine der beiden Preisträgerinnen des diesjährigen „HeldinnenAwards“ eingeladen, die die Alice-Schwarzer-Stiftung in diesem Jahr zum dritten Mal verlieh. Sie machte ihre Laudatio auf die Stuttgarter Sozialarbeiterin Sabine Constabel zu einem Appell an die Politik, das Ruder herumzureißen und in der Prostitutionspolitik eine neue Richtung einzuschlagen.
Begonnen hatte die Preisverleihung mit einem berührenden Film von Bettina Flitner. Die Fotografin zeigte Auszüge aus ihren drei Fotoprojekten „Frauen – Freier – Orte“ und ließ dabei Frauen auf dem längsten Straßenstrich Europas an der tschechischen Grenze ebenso zu Wort kommen wie Freier im Stuttgarter Wellnessbordell „Paradise“. Frauen, die ihre Körper verkaufen, um ihren Kindern eine Schulausbildung zu ermöglichen, trafen auf Männer, die Frauen kaufen, weil ihnen anspruchsvolle Frauen „auf den Sack gehen“ und sie mit ihnen „machen können, was sie wollen“.
„Bei der Prostitution geht es nicht um Sex, sondern um Macht“, erklärte Alice Schwarzer in ihrer Rede zum Auftakt der Preisverleihung. Der nun zum dritten Mal verliehene Preis ist mit 10.000 Euro dotiert. Schwarzer machte auf die Kluft zwischen dem, was alle schon solange wissen und dem „deutschen Sonderweg" aufmerksam. Sie zitierte die UN-Konvention zur Bekämpfung des Menschenhandels von 1949, die Prostitution als "mit der Würde und dem Wert der menschlichen Person unvereinbar" erklärte. Und zwar unabhängig von der "Einwilligung" der Person. Ebenso solle "jede Person bestraft werden, die ein Bordell unterhält".
Und obwohl die Vereinten Nationen dies schon 1949 erklärt hätten, behaupte die Politik in Deutschland immer noch, man müsse "erst mal eine Evaluation machen, um zu verstehen, was in der Prostitution passiert". Und auch Schwarzer wurde deutlich: "Veräppeln können wir uns alleine." Sie erklärte: "Wenn wir eine wahre Gleichberechtigung in der Gesellschaft wollen, werden wir die niemals kriegen, solange es Prostitution gibt – solange Frauen das käufliche Geschlecht sind."
Mit ihrer Stiftung zeichnete Alice Schwarzer nun zwei Frauen aus, die nicht nur als Streetworkerinnen seit Jahrzehnten Frauen in der Prostitution beim Ausstieg begleiten: Sabine Constabel in mit ihrem Prostituierten-Café "La Strada" mitten in der Stuttgarter Rotlichtmeile und Cathrin Schauer mit ihrem Schutzhaus im sächsischen Plauen nahe der tschechischen Grenze. Beide Frauen haben Hunderten Frauen zum Ausstieg aus der Prostitution verholfen. Die beiden Preisträgerinnen gehören auch – Schauer mit ihrem Verein KARO und Constabel mit ihrem Verein Sisters – zu den vernehmbarsten und beharrlichsten Stimmen für die Freierbestrafung in Deutschland. Sie wollen nicht nur Symptome bekämpfen, sondern das ganze System Prostitution, das jedes Jahr Zehntausende Frauen traumatisiert und zerstört an Körper und Seele zurücklässt.
"Da draußen wird immer noch von 'freiwilliger Sexarbeit' gesprochen, aber die meisten Frauen, die mir begegneten, hatten bereits als Kinder oder Jugendliche sexualisierte Gewalt erlebt", erklärte Sabine Constabel. "Prostitution ist keine Dienstleistung, Körper und Seele sind untrennbar miteinander verbunden. Man kann den Körper nicht mal eben als Ware über die Theke reichen. Und deshalb brauchen wir den Mut, das Sexkaufverbot auch in Deutschland umzusetzen."
"Wenn man mit Cathrin Schauer unterwegs ist, und das war ich öfter in den vergangenen zehn Jahren, dann ist man erstaunt darüber, wie empört sie nach 30 Jahren Sozialarbeit für Frauen in der Prostitution immer noch ist", berichtete Bettina Flitner in ihrer Laudatio. Die Fotografin hatte die Streetworkerin immer wieder auf dem Straßenstrich oder in die "Terminwohnungen" begleitet, in denen Frauen angeboten werden.
"Ich habe unvorstellbares Leid gesehen: Frauen, die blutig geschlagen, verletzt, zerbrochen waren. Und fast alle haben schon in der Kindheit Gewalt erlebt. Diese Geschichten sind keine Krimis. Es sind Tragödien – mitten unter uns", erklärte die sichtlich bewegte Cathrin Schauer-Kelpin in ihrer Dankesrede.
Die KARO-Gründerin versicherte: "Ja, ich bleibe empört über ein System, das Armut, Gewalt und Missbrauch mit schönen Worten zudeckt! Ich bleibe empört über Strukturen, die Frauenkörper zur Ware machen – und das 'sexuelle Selbstbestimmung' nennen! Ich bleibe empört, wenn Politik und Gesellschaft wegsehen!"
Als die etwa 150 Gäste, darunter die Vorsitzende der Gruppe der Frauen in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Mechthild Heil, ebenso wie feministische Pionierinnen und sehr junge Frauen, noch mit einem Glas zusammenstanden und sich über die klaren Worte der Bundestagspräsidentin freuten, war spürbar: Die Empörung darüber, dass Deutschland immer noch zulässt, dass Hunderttausende Frauen mitten unter uns „auf einem Sklavinnenmarkt“ wie Ware gehandelt und an Körper und Seele schwer verletzt werden, ist groß. So wird es nicht weitergehen in Deutschland.

