Im Zentrum steht der Schmerz

Artikel teilen

Nach drei Stunden geht der Workshop über Pornografie dem Ende zu. Die vierzig Teilnehmerinnen arbeiten allesamt in einem Krisenzentrum für misshandelte und vergewaltigte Frauen.

Anzeige

Sie sind die, die an vorderster Front stehen, die an der 24-Stunden-Hotline erreichbar sind und in der Einzelbetreuung arbeiten. Sie beraten Frauen, die gerade vergewaltigt worden sind, helfen weiblichen Opfern häuslicher Gewalt und kümmern sich um missbrauchte und misshandelte Kinder.

Diese Frauen haben also schon alles gehört und gesehen. So brutal eine Geschichte auch sein mag, sie kennen eine noch brutalere. Was männliche Gewalt angeht, da kann ihnen niemand mehr etwas Neues erzählen. Und dennoch: Nach drei Stunden Pornofilmen sind die meisten dieser Frauen fertig. Die Stimmung ist gedrückt.

Eine, die während des gesamten Workshops die Arme fest um den Oberkörper geschlungen hielt, sagt: "Das ist schmerzhaft. Es ist einfach so schmerzhaft. Es schmerzt zu wissen, dass du als Frau, ganz egal, wer du bist, auf ein Ding reduziert werden kannst, das dazu da ist, penetriert zu werden, und dass in vielen Pornofilmen Erniedrigung zentral ist." Und Männer auch noch drauf stehen.

Damit haben selbst diese Frauen zu kämpfen, die es im wahren Leben doch schaffen, offensiv auf die Folgen konkreter männlicher Gewalt zu reagieren. Doch mit Taten, selbst mit extrem brutalen Taten, konfrontiert zu sein, scheint eine Sache zu sein - die Gedanken, Vorstellungen und Phantasien hinter diesen Taten kennen zu lernen, noch eine ganz andere.

Pornofilme erzählen Storys über Sex. Die Frage ist, welche Art Story? Für wen? Und aus wessen Perspektive? Unter Mainstream-Pornos verstehen wir heute die vielerorts erhältlichen Videos und DVDs, die als "Hardcore" gelten, und hauptsächlich von Männern ausgeliehen oder gekauft werden.

Sie zeigen vor allem Sex zwischen Männern und Frauen. Die sexuelle Aktivität ist dabei in der Regel nicht simuliert: Diese Videos sind Aufnahmen von faktischem Sex zwischen den Darstellern. Was auf dem Bildschirm stattfindet, hat auch real stattgefunden.
Sopornos IV zum Beispiel ist ein Video von VCA Pictures, einer Firma, die für den in der Branche so genannten "Paare-Markt" produziert. Die Handlung ist eine Parodie auf The Sopranos, die (auch in Deutschland ausgestrahlte) populäre Mafia-Serie des Pay-Kanals HBO. In Sopornos IV ist Gangsterboss Bobby Soporno besessen vom Gruppensex. In der finalen Sexszene hat seine Frau dann Sex mit zweien seiner Leute.

Nach oralem und vaginalem Sex schickt sich einer der Männer an, sie anal zu nehmen. Sie sagt: "Dieser verdammte Schwanz ist so verdammt riesig. ... Spreiz meinen verdammten Arsch. Spreiz ihn auf." Er penetriert sie. Dann sagt sie, etwas leiser: "Nicht tiefer", offenkundig hat sie Schmerzen. Am Ende der Szene bettelt sie dann um das Sperma: "Zwei Schwänze, die in mein Gesicht abspritzen. Das will ich!". Sie öffnet den Mund und beide Männer ejakulieren gleichzeitig auf sie.

Oder Two in the Seat 3, ein bei Red Light District erschienenes Video. Es besteht aus sechs Szenen, in denen jeweils zwei Männer Sex mit einer Frau haben, und gipfelt in der Doppelpenetration, wobei die Frau gleichzeitig vaginal und anal penetriert wird. In einer der Szenen sagt die zwanzigjährige Claire, sie sei jetzt seit drei Monaten in der Branche.

Vom Interviewer aus dem Off gefragt, antwortet sie: "Ich bin hier, um richtig durchgebumst zu werden." Die beiden hinzukommenden Männer überschütten sie mit einem Schwall von Beleidigungen, nennen sie ein "dreckiges, verdorbenes kleines Ding", eine "verdammte kleine Fotze", eine "kleine Schlampe".

Nach dem oralen und vaginalen Sex bittet sie einen von ihnen: "Steck deinen Schwanz in meinen Hintern." Während der Doppelpenetration auf dem Fußboden klingen die Laute, die sie von sich gibt, gequält. Am Sofa eingekeilt, bewegt sie sich kaum. Die Männer schlagen sie, und ihr Gesäß ist sichtlich rot. Einer der Männer fragt sie: "Heulst du?" Claire: "Nein, es macht mir Spaß." Der Mann: "Verdammt, ich dachte, du heulst. Es hat mich angetörnt, dass ich dachte, du heulst." Claire: "Möchtest du, dass ich heule?" Der Mann: "Ja, gib mir eine verdammte Träne. Ah, da ist ja eine verdammte Träne." Etc. etc.

Oder ein drittes und letztes Beispiel: Gag Factor 10. Der Film ist ein 2002 veröffentlichtes Video von J. M. Productions. Die Website des Unternehmens wirbt damit, dass die Gag-Factor-Videos als "beste Oralserie" prämiert wurden und beantwortet die Frage, "Wodurch unterscheidet sich Gag Factor von all den vielen Blowjob-Videos da draußen?" So: 1. Jedes Mädel muss die volle Ladung Sperma schlucken! 2. Jedes Mädel wird in die Kehle gefickt, bis es würgt und beinah kotzt! 3. Bei Gag Factor werden alle Mädels bis zum Anschlag in die Kehle gefickt!

Eine der zehn Szenen des Films beginnt damit, dass eine Frau und ein Mann im Park picknicken. Dann steht er auf und stößt in ihren Mund, während sie auf der Decke sitzt. Zwei scheinbar zufällig vorbeikommende Männer schließen sich an und machen mit. Unter Äußerungen wie "Bums dieses Gesicht, bums dieses verfickte Gesicht", "Ganz runter, komm schon, bis zum Ersticken" und "Das nenn ich einen echten Gesichtsfick" halten sie ihren Kopf fest und stoßen immer fester.

Einer packt sie am Haar und zieht ihren Kopf immer wieder ruckartig über seinen Penis, eine Technik, die sein Kumpel den "Presslufthammer" nennt. Ihr Gesicht ist verzerrt. Sie liegt auf dem Boden und die Männer nähern sich ihr von hinten. "Du kleine Hure, du stehst doch drauf, dass es weh tut", sagt einer. "Stehst du auf Gesichtsfick?", fragt ein anderer. Sie kann nicht antworten. "Mach den Mund auf, wenn du drauf stehst", sagte er.

Sie öffnet den Mund. Als sie alle drei in ihren Mund ejakulieren, rinnt das Sperma auf ihren Körper hinunter. Nach der letzten Ejakulation schaut sie ihren Freund an und sagt: "Gott, ich liebe dich, Baby." Ihr Lächeln gleitet ab in einen gequälten Ausdruck von Scham und Verzweiflung.

Diese drei Beispiele sind typisch für Mainstream-Videos und DVDs mit Gonzo-Pornos. Entscheidend dabei ist der Schmerz der Frauen. Wenn man bedenkt, dass die überwiegende Mehrzahl der Käufer und Entleiher solcher Videos Männer sind, stellt sich die Frage: Warum empfinden manche Männer es nicht als Lust hemmend bzw. sogar Lust steigernd, wenn Frauen beim Sex Schmerz zugefügt wird?

Als in den 70er und 80er Jahren die gesetzlichen Einschränkungen der Pornografie gelockert wurden und die Darstellung von Sex auf der Leinwand oder dem Bildschirm nicht mehr per se etwas Verbotenes war, wurde analer Sex zum Standard in Pornofilmen. Analsex galt als etwas, das Frauen nicht wollen, und war insofern ein besonderer Kick. Als Analsex in der Pornografie Routine wurde, verschoben die Gonzo-Pornos die Grenze in Richtung Doppelpenetration und Kehlensex bis zum Würgen.

In Adult Video News erklärt der Porno-Produzent Jerome Tanner bei einer Roundtable-Diskussion: "Die Leute wollen immer härtere und noch härtere Sachen." Ein anderer Porno-Regisseur, Jules Jordan, sagt unverblümt: "Anscheinend wollen heutzutage alle ein Mädel bei einer D.P. (Doppel-Penetration) oder einem Rudelfick sehen. Die extremeren Sachen haben den Pornofilm eindeutig vorangebracht. Aber wo das noch hinsteuert, weiß ich auch nicht."

In den letzten Jahren wurden drei Studien durchgeführt, die den Inhalt von Mainstream-Video/DVD Pornografie untersuchten, alle mit dem Ergebnis: Der Hass auf Frauen ist zentrales Element zeitgenössischer Pornografie. Würde man jedes Video entfernen, in dem eine Frau Nutte, Fotze, Schlampe oder Hure genannt wird - dann wäre das Regal fast leer.

Die Andersartigkeit von Frauen im Gegensatz zu Männern ist eines der Leitmotive in der Pornografie; genau wie die Vorstellung, dass sie Schmerz, Demütigung und Erniedrigung genießen.

Wir leben in einer Kultur, in der Männer vor Fernsehern und Computerbildschirmen masturbieren, auf denen Sex mit immer mehr Grausamkeit gegenüber Frauen stattfindet. Was niemanden sonderlich zu beunruhigen scheint. Pornografie ist nicht nur weithin akzeptiert, sie wird uns auch noch als Emanzipation verkauft.

Doch wenn eine Studentin bei einer Projektbesprechung einem Dozenten gegenübersitzt, der am Vorabend Gag Factor 10 gesehen hat - wer ist sie dann für ihn? Wenn eine Frau auf die Bank kommt, um ein Darlehen zu beantragen, und der Bankbeamte am Vorabend Two in the Seat 3 gesehen hat - was denkt er dann? Wenn eine Frau vor einen Richter tritt, der am Vorabend Sopornos IV gesehen hat, kann sie erwarten, dass er sie als vollwertigen Menschen wahrnimmt?

Sicher, es wäre alles leichter, wenn wir davon ausgehen könnten, dass diese Filme von einer kleinen, devianten Minderheit der Männer konsumiert würden. Wenn wir auf die Frage, "Was für Männer stehen denn auf so was?", antworten könnten, das seien eben emotional gestörte Männer oder pathologische Fälle, Männer mit einem Problem. Dann könnten wir diese Männer identifizieren und isolieren, ja vielleicht sogar heilen. Aber die Antwort auf die Frage, wer so etwas konsumiert, lautet: Männer wie ich. Männer wie wir alle.

Männer, die es schwer haben, Kontakt zu Frauen zu finden, oder solche, die so viele Kontakte zu Frauen haben, wie sie sich wünschen. Allein lebende Männer oder verheiratete Männer. Männer aus einem liberalen Elternhaus, wo ein gelassenes Verhältnis zu Pornografie herrschte, oder Männer aus einem streng religiösen Elterhaus, wo Sex tabuisiert war. Reiche Männer oder arme Männer. Männer jedweder Art.

Sie geben pro Jahr allein in den USA zehn Milliarden Dollar für Pornografie aus. Jedes Jahr werden 11.000 neue Pornofilme produziert. Und in diesen Filmen sind Frauen keine Menschen. Sie sind nichts als drei Löcher und zwei Hände.

Die Pornoindustrie ridikulisiert jede gesellschaftliche Debatte über die Bedeutung von Intimität und Sexualität als prüde und repressiv. Sie will das Nachdenken über Sexualethik verhindern. Dabei hat sie selbst natürlich durchaus eine Sexualethik: die des Anything-Goes. Es ist richtig: Erwachsene Menschen sollen selbst entscheiden dürfen, das finde ich auch. Aber in einer Gesellschaft, in der die Macht ungleich verteilt ist, bedeutet Anything-Goes: Für Männer geht alles - auf Kosten von Frauen und Kindern.

Kritik an Pornografie üben heißt, sich hinstellen und sagen, dass Menschen wichtiger sind als die Profite der Pornoindustrie und das Vergnügen der Pornokonsumenten. Es heißt schlicht und einfach: Frauen sind keine Untermenschen, sondern genauso ernst zu nehmen wie Männer.

Artikel teilen
 
Zur Startseite