Alice Schwarzer schreibt

Ehre & Häme

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Zahlreiche der maßgebenden Herren auf der Buchmesse und ihre Allzeit-zu-Diensten-Damen gerieten regelrecht aus der Fassung. Von einem "gewaltigen Fehlurteil" war die Rede und dem "längst überholten Altfeminismus" der Jelinek. "Das literarische Talent der Elfriede Jelinek" sei, "um es vorsichtig auszudrücken, eher bescheiden", tönte Marcel Reich-Ranicki. Denn "ein guter Roman ist ihr nie gelungen, beinahe alle sind mehr oder weniger banal oder oberflächlich".

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Spiegel-Autor Matthias Matussek, bisher weniger bekannt als Literaturkritiker und eher als emanzipationsgeschädigter (weil verlassener) Hysteriker vom Dienst, darf sich gar über vier Heftseiten auslassen über die "schwer verdaulichen Sadomaso-Schinken und den umso geläufigeren Kaschmirschal-Alpen-Antifaschismus". Für ihn ist dieser Preis ein "Quotenurteil", mit dem "nicht die Avantgarde", sondern "eine ziemlich abgelatschte Feminismus-Front" prämiert werde. Die am Anfang noch "interessante" Jelinek habe sich spätestens mit ihrem Roman "Lust" (1988) "eingeklinkt in den EMMA-Diskurs".

Wer also geglaubt hat, Jelinek sei nach einem Vierteljahrhundert Schreiben und einer Flut von Preisen längst eine Klassikerin, wird also hier eines besseren belehrt. Ihre Wahrheiten scheinen so kastrierend zu wirken, dass die Burschis nur noch mit ihrem besten Stück in die Tasten hauen.

Ganz anders tönt das Nobelpreiskomitee: "Der Nobelpreis für Literatur des Jahres 2004 wird der Österreicherin Elfriede Jelinek verliehen für den musikalischen Fluss von Stimmen und Gegenstimmen in Romanen und Dramen, die mit einzigartiger sprachlicher Leidenschaft die Absurdität und zwingende Macht der sozialen Klischees enthüllen." In "Lust" beschreibe sie "die sexuelle Gewalt gegen Frauen als Grundmuster unserer Kultur". Ihre literarische "Welt ohne Gnade" konfrontiere die LeserInnen damit, wie "die Klischees der Unterhaltungsindustrie ihren Einzug in das Bewusstsein der Menschen halten und ihren Widerstand gegen klassenbedingte Ungerechtigkeit und geschlechtliche Unterdrückung lähmen."

Soweit die präzise Würdigung. Die Schmähungen der Ewiggestrigen allerdings haben mal wieder das zu Erwartende untertroffen. Da nutzt es Jelinek auch wenig, wenn sie schon in vorauseilender Demut erklärt, Peter Handke hätte den Preis "viel mehr verdient" als sie. Und schon gar nicht, dass sie es schon vorher wusste: "Wenn man den Preis als Frau bekommt, dann kriegt man ihn auch als Frau - und kann sich nicht uneingeschränkt darüber freuen."

Der weibliche Mensch kann aus dem Frausein nicht austreten. Doch muss er sich die Freude über den Nobelpreis gleich ganz vermiesen lassen? Jelineks erster Kommentar am 7. Oktober um 13 Uhr lautete: "Natürlich freue ich mich auch, da hat es keinen Sinn zu heucheln. Aber ich verspüre eigentlich mehr Verzweiflung als Freude. Ich eigne mich nicht dafür, als Person an die Öffentlichkeit gezerrt zu werden. Da fühle ich mich bedroht." Zu recht, wie wir sehen.

Das Gespräch mit Elfriede Jelinek aus dem Jahr 1989 habe ich nach Erscheinen von "Lust", ihrem " Antiporno in öbszönem Idiom", geführt. Das meiste würde sie wohl heute genauso sagen. Einen entscheidenden Einschnitt allerdings hat es seither in ihrem Leben gegeben. Sie entdeckte, dass auch die eigene Familie keineswegs verschont geblieben ist vom Holocaust (wie sie es noch im Gespräch mit mir vermutete), sondern 17 Verwandte ermordet wurden (und schrieb den Roman "Die Kinder der Toten").

Alice Schwarzer, EMMA November/Dezember 2004

Weiterlesen:
Das Gespräch mit Elfriede Jelinek 1989

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