Alice Schwarzer schreibt

Liebe Elfriede!

© Bettina Flitner
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Liebe Elfriede,

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vor mir liegt ein Foto von uns, das ich ganz vergessen hatte. Es ist aus dem Jahr 1989, wir sind also 42 (du) und 45 Jahre alt. Und obwohl wir beide wissend dreinschauen, zeichnet sich doch auch so etwas wie Hoffnung auf unseren Gesichtern ab.

Das Foto wurde in deiner Münchner Wohnung gemacht, anlässlich eines Interviews für EMMA. In diesem Gespräch hast du sehr viel Kluges über dich, dein Werk und das Frausein in dieser Männerwelt gesagt – doch das Einzige, was dem Wiener Falter jetzt zu dem Foto und unserem Gespräch einfällt, ist: „Alice Schwarzer tadelt Elfriede Jelinek in einem Interview für ihre langen Haare.“

Wenn es nicht so trist wäre, wäre es zum Lachen. Wie stellen die Burschen sich das vor? Dass ich Zensuren verteile? An dich! Mal ganz davon abgesehen, dass meine Haare auf dem Foto genauso lang sind wie deine und künstlich gelockt dazu. Aber so will man es haben zwischen uns Frauen: Wir ignorieren uns. Oder tadeln uns. Oder bekämpfen uns. Dass wir uns wertschätzen oder gar lieben – das ist nicht vorgesehen.

Genau das aber ist hier der Fall: Liebe Elfriede, ich wertschätze dich und dein Werk seit langem! Und beim Wiederdurchlesen unseres Gesprächs bin ich im Nachhinein noch einmal berührt von deiner Offenheit und deinem Mut.

„Ich bin eine Frau mit einer männlichen Anmaßung“, hast du damals gesagt. „Aber ich genieße meine männlichen Seiten nicht.“ Und du hast hinzugefügt: „Das Entscheidende ist die Verachtung, die dem weiblichen Werk entgegenschlägt.“

Du hast reichlich Wertschätzung erfahren und erfährst sie noch, aber auch tiefste Verachtung. Als du 2004 den Nobelpreis bekamst, ist so mancher schier ausgeflippt. Vom „Altfeminismus“ war die Rede, der doch längst passé sei und vom „Quotenurteil“ der Jury, dem du diesen Preis überhaupt nur zu verdanken hättest.

Es gibt kein Entkommen für eine Frau. Der weibliche Mensch kann in dieser Welt aus dem Frausein nicht austreten. Wer weiß das besser als du.

Damals, 1989, wusstest du noch nicht, dass 17 Menschen aus der Familie deines Vaters im KZ ermordet worden waren. Zur Bürde des Frauseins kam nun die Last dieses Wissens hinzu. Das Dunkle ist mächtiger geworden.

Was ich dir heute wünsche? Dass das Helle mehr Raum einnimmt in dir. Dass du dich besinnst auf die Kraft deines polemischen Zugriffs auf die Wirklichkeit und die Verführung deiner sinnlichen Sprache. Und bitte: Dass du auch die Freude an der modischen Inszenierung nicht verlierst. Louise Bourgeois könnte uns Vorbild sein!

Es umarmt dich fest

Deine Alice

***

DAS INTERVIEW AUS DER EMMA VOM JULI 1989.

Alice Schwarzer: Du bist bekannt für extravagante Inszenierungen deiner eigenen Person. Du kleidest und schminkst dich auffällig und hast einiges darüber gesagt, was Mode und Make-Up für dich bedeuten. Versuchst du, deine Intelligenz und deine kreative Potenz – das, was "männlich" ist an dir – hinter diesem ultraweiblichen Auftritt zu verstecken?
Elfriede Jelinek: Es ist wirklich so. Ich habe bei vielen Dingen das Gefühl, dass ich um Vergebung bitten muss. Ich bitte um Gnade.

Offene weibliche Intelligenz hat ja gemeinhin zur Folge, dass Männer die Frauen nicht mehr begehrenswert finden.  
Das weiß jede Heterofrau, dass sie sich klein machen muss. Da müssen die Frauen die Liebesarbeit machen, während die Männer die Liebesgedichte schreiben. Schon bei der Irmgard Keun geht ihr ganzes Leben über das Sich-Kleinmachen als Frau. Bei meinem Mich-zum-Objekt-Machen Männern gegenüber ist es halt die Schminke, die ich mir ins Gesicht schmiere, und die Kleider, die ich mir kaufe. Ich bin, glaube ich, sehr narzisstisch.

Auch in den Medien inszenierst du dich heute weiblicher denn je zuvor. Selbst die Haare sind jetzt länger.
Stimmt, das ist ja eine Unterwerfungsgeste!

Hast du dein Buch hingelegt und gleichzeitig dich dazu?
Es wäre sicher besser gewesen, ich hätte mich überhaupt nicht dazu geäußert. Denn das weiß man ja, dass Autoren nicht unbedingt diejenigen sind, die dazu berufen sind, ihre Sachen zu erklären. Ich bin eigentlich auch gar nicht so sonderlich intelligent. Ich kenne sehr viel intelligentere Frauen. Ich habe nur eine gewisse Begabung, Dinge zu durchschauen. Das sage ich jetzt nicht aus Koketterie.

Wie definierst du denn Intelligenz?
Ich kann keinen klaren Gedanken fassen. Also, ich kann nicht anschließen an die Dinge, ich kann nicht über etwas reflektieren. Ich kann zum Beispiel keine Aufsätze über etwas schreiben, das ist mir unmöglich. Ich habe nur diesen einen polemischen Zugriff auf die Wirklichkeit, die ich aber mit dieser Sinnlichkeit der Sprache aufarbeiten muss.

In dem Moment, wo die Literatur, Philosophie oder Kunst sich nicht mit dem Leben auseinander setzt, sondern Selbstzweck ist, ist sie ja eh irrelevant. Manche Frauen versuchen sich neuerdings auch in dem Genre. In Frankreich gibt es da ja eine ganze, hierzulande vielbewunderte Strömung: des mots, des mots, des mots. Nichts als Worte.
Findest du ...? Was ich meine, das ist sozusagen der Glaspalast des männlichen Denkens. Das abstrakte Denken. Die Philosophie. Die Musik. Dort sind die Frauen wirklich ausgeschlossen.

Aber sollten wir das so unhinterfragt als die höchste Stufe der Intelligenz anerkennen? In dem Moment, wo sich das Denken und Schöpfen nicht dem Leben stellt, ist es doch sinnentleert, l'art pour l'art.
Ja, aber eine bewundernswerte l'art pour l'art. Eine, die einen schon begeistern kann. Das ist die äußerste Anmaßung, der Geist. So wie ihn die Männer sich sozusagen untereinander zuspielen und unter sich verteilt haben.

Mir scheint, dass du eine gewisse Mystifizierung des "Männlichen", also der Eigenschaften und Qualitäten, die Männer sich heute vorbehalten haben, und eine Kultivierung des "Weiblichen", deiner Schwächen, die sicherlich auch da sind – wie Verletzlichkeit, Empfindsamkeit und Ambivalenz – betreibst.
Ja, aber Alice, ich bin sehr weiblich. Leider. Wenn ich eine Domina wäre, da könnte ich noch abräumen, dann hätte ich ja mit Männern überhaupt keine Schwierigkeiten. Aber dann hätte ich auch nicht schreiben müssen. Ich bin nicht männlich, ich bin ein Trampel. Ich bin unfähig.

Wir haben aber nicht so viele Schubladen in dieser Gesellschaft. Alles, was nicht in die Schublade "weiblich" fällt, fällt in die Schublade "männlich".
Ja, gut. So gesehen bin ich männlich – ohne es aber wirklich leben zu können.

Ohne es zu genießen?
Das ist es! Das ist meine Brechung. Mein Problem ist, dass ich halt sehr verletzlich und in meiner Persönlichkeitsstruktur leider entsetzlich weiblich bin. Ich bin eine Frau mit einer männlichen Anmaßung.

Mir scheint, du näherst dich beim Schreiben der Erotik mit einer weiblichen Empfindsamkeit und Verletztheit, aber einem männlichen Wissen. Das ist, glaube ich, der Grund der Irritation, die "Lust" bei Frauen wie Männern auslöst.
Das ist ja die Perfidie oder die Gespaltenheit und Zerrissenheit: Dass man den männlichen Blick hat und es als Mann schreibt, weil man es als Frau nicht schreiben kann – ohne aber ein Mann zu sein. Man kann es also nicht genießen. Mir ist – schon vor diesem Buch, das mich jetzt offenbar endgültig dämonisiert – aufgefallen, dass ich nicht die Früchte eines Ernstgenommen-Werdens ernten kann, sondern nur Aggression, gemischt mit Verachtung. Das ist das Entscheidende: die Verachtung, die dem weiblichen Werk entgegenschlägt. Daher kommt sicher meine Aggressivität, aber auch dieser genaue und scharfe Blick für Demütigung in jeder Form. Demütigung ist das, was jede Frau am besten kennt.

Bist du mit "Lust" zu weit gegangen?
"Lust" ist das, was ich ästhetisch immer erreichen wollte beim Schreiben. Diese Art von Komprimiertheit und Ineinanderfallen von Sprache und Inhalt habe ich eigentlich immer angestrebt. Ich wusste nicht, wie ich "Lust" jetzt übertreffen oder weiterführen sollte. Es ist schon ein Endpunkt in meinem Schaffen.

Fällt man nicht nach jeder großen Arbeit in ein Loch und denkt, jetzt kommt nichts mehr?
Stimmt. Ich habe jedes Mal geglaubt, jetzt kann ich nichts mehr schreiben. Schon nach der "Klavierspielerin" habe ich gedacht, da kommt jetzt nichts mehr.

Du hast vor zwei Jahren, zu Beginn deiner Arbeit an "Lust", gesagt, du möchtest die "Exklusivität des männlichen Blicks auf den weiblichen Körper" in Frage stellen, willst einen "weiblichen Porno" schreiben. Dann ist dir "Lust" aber nicht zu einem Buch über Erotik geraten, sondern zu einem über Gewalt.
Ja, weil – Sexualität ist Gewalt. Aber das wissen nur die Frauen. Das wissen die Männer nicht. Heterosexualität ist heute eben auf den öden Gebrauch reduziert, den ein Mann von einer Frau macht. Und deswegen sind die überspitzten Formulierungen von Pornografie – wie es die Dworkin macht – auch so wahr. Pornografie ist Ausübung von Gewalt gegen die Frau und die Demütigung und Herabwürdigung der Frau. Es ist eben so, dass, wenn ein Mann gepeitscht wird in einem Hardcore oder in einem Film, ist der Mann als Individuum einer, der sich erniedrigt. Doch wenn die Frau erniedrigt wird, dann wird nicht eine einzelne Frau, sondern dann werden alle Frauen unterdrückt. Ein Mitglied einer unterdrückten Kaste steht sozusagen nicht für sich, sondern steht gleichzeitig für alle. Das ist das Entscheidende.

Du bezeichnest dein Buch heute als Anti-Pornografie. Was ist der Unterschied zur Pornografie?
Eben nicht der Wunsch, die Genussfähigkeit von einer weiblichen Seite her aufzuräumen. Das haben ja viele Autorinnen zur gleichen Zeit wie ich versucht. Das muss aber misslingen, einfach weil es ja diese weibliche Sprache für Sexualität nicht gibt. All diese Arbeiten haben dafür den Beweis  geliefert. Es funktioniert nicht, denn die Frau ist nicht das Subjekt der Begierde, sondern immer das Objekt. Und deshalb müssen sich die Frauen, im Leben wie in der Literatur, letztlich immer an der männlichen Ästhetik orientieren. Ich aber wollte die Frau nicht nur zeigen als eine, die nicht Subjekt der Begierde ist, sondern als eine, die scheitern muss, wenn sie sich zum Subjekt der Begierde macht. Weil sie durch ihre Initiative sozusagen die Begierde des Mannes auslöscht. Vor allem für diese These bin ich so angegriffen worden. Von Männern. Wütendste Briefe von Sexologen. Von Sexualforschern. Auch von durchaus linken, sensiblen, politisch bewussten Männern. Die haben mich beschimpft und gesagt: Es stimmt nicht, dass die Begierde der Frau die Begierde des Mannes auslöscht, ich würde niemals mit einer Frau schlafen, die mich nicht begehrt.

Aber wir aktiven Frauen wissen da natürlich aus Erfahrung, wovon wir reden ...
Die Frauen müssten angeblich lernen, auch zu akzeptieren, wenn ein Mann Nein sagt. Aber da die Frau nicht Subjekt ihrer Wünsche ist, ist sie auch nicht Subjekt ihrer Sprache. Wenn eine Frau Nein sagt, ist es eben nicht Nein. Und weißt du, was das Komische ist? In demselben "profil", wo diese wütenden Leserbriefe gegen mich waren, die mir den Tod gewünscht haben, war hinten im Redaktionellen der Fall einer jugoslawischen Serviererin, die von drei Dorfhonoratioren, also Gemeinderäten, Kleinunternehmern und so, stundenlang festgehalten und vergewaltigt und gequält worden war. Das ist so ein Fall, wo sie gesagt hat: Nein, ich will nicht. Das ist wie nicht gesagt, so wenig ist die Frau Herr der Sprache. Ein Mann, der Nein sagt, hat keine Vergewaltigung dafür zu befürchten, sondern die Frau geht still weiter weg und schämt sich, dass sie es überhaupt versucht hat.

Bekommst du das auch selbst zu spüren?
Ich habe auch schon sexuelle Aggressionen zu spüren  bekommen, wenn ich Nein gesagt habe. Das ist mir oft passiert. Also ich weiß, wovon ich spreche.

Du hast immer wieder öffentlich gesagt: Sexualität geht eigentlich nur zwischen Gleichen und ist darum heute unmöglich zwischen Männern und Frauen. Und du hast provozierend erklärt: Schade, dass ich nicht lesbisch bin. Ich frage mich nun: Was ist denn so unterschiedlich zwischen Männern und Frauen, dass du die einen lieben kannst und die anderen nicht?
Also, das kann ich, glaube ich, sehr gut erklären. Natürlich kann man Masochismus auch nicht ganz leugnen. Ich brauche in der Sexualität das Andere, also auch das mir Unbegreifliche, Unbekannte, das, woran ich mich mit Aggression, mit Verachtung oder auch mit erzwungener Unterwerfung im wahrsten Sinne des Wortes reiben kann. Frauen aber gehört meine  ganze  Zuneigung, es sind für mich Vertraute. Meine Unfähigkeit, mit Frauen zu schlafen, sehe ich – ich möchte jetzt nicht sagen als Perversion – aber als eine Art Entfremdung an, denn eigentlich müsste ich lesbisch sein. Ich kann es aber nicht, weil meine Sexualität in einer Weise zerstört ist, dass ich sozusagen Sexualität jetzt nicht in Verbindung mit Vertrautheit und Zärtlichkeit sehen kann, sondern eher mit Aggressivität verbinde. Andererseits ist es aber so, dass ich unheimlich starke erotische Beziehungen zu Frauen habe. Ich sehe ihnen wahnsinnig gerne zu, wenn sie sich schminken oder anziehen. Ich schaue mir viele Filme nur wegen Frauen an.

Aber Männer und Frauen sind ja nicht nur Prototypen wie in deinen Texten, sondern sind eben auch Individuen, sehr unterschiedliche Individuen. Und da gibt es – wie du selbst sehr gut weißt – auch sanfte Männer und aggressive Frauen.
Sagen wir, das männliche Prinzip flößt mir so eine Fremdheit und so eine Furcht und so ein Nichtverstehen ein, dass es mich reizt, mich sexuell damit auseinanderzusetzen – und mit meinem Masochismus.

Ehrlich gesagt nehme ich dir ja deinen Masochismus nicht so ganz ab.
Dann scheine ich es ja gut zu verbergen.

Ich finde eher, dass du eine ziemlich männliche Frau bist, sowohl im Anspruch an deine Arbeit, wie auch in der Lebensführung. Du führst zum Beispiel ein männliches Leben im Haus. In Wien hast du eine Frau, deine Mutter, die für dich den Haushalt macht.
Ja, ich lebe im Matriarchat. Ich könnte mir denken, dass meine Mutter schuld daran ist, dass ich mich sexuell mit Frauen nicht auseinander setzen kann. Diese Inzestschranke ist so ehern und noch immer so ungelöst ...

In der "Klavierspielerin" hast du diese Inzestschranke schreibend überschritten. Dass den Frauen die Sexualität zerstört wurde, hat sicherlich weitreichendere Folgen, als wir ahnen. Sexualität ist ja auch eine zentrale Quelle der Vitalisierung des Menschen.
Wenn ich das wüsste ... Ich sehe vor allem die Unmöglichkeit all dessen, was zwischen Männern und Frauen passiert. Es kann ja gar nicht funktionieren. Kennst du eine einzige glückliche Beziehung?

Ja, doch, ein paar wenige ...
Ich glaube nicht daran, dass es zwischen Abhängigen oder zwischen Herren und Sklaven glückliche Liebesbeziehungen geben kann. Mir selbst war diese Entsexualisierung schon sehr früh klar. Ich wurde von einer Mutter zur Leistung erzogen, aber das, wofür ich von ihr gelobt wurde und worauf ich so stolz war, hat mich in den Augen der Männer immer monströser gemacht. Denn wenn sie die Wahl haben, die Schönere zu kriegen, dann lassen sie die Klügere lieber stehen.

Du schreibst und sprichst auch viel von der erotischen Entwertung der Frau im Alter.
Ja, Altern entsexualisiert dann völlig. Während Männer ein zweites oder drittes Leben beginnen können, sich durch künstlerische oder wirtschaftliche intellektuelle Leistungen aufwerten können, auch wenn sie alt und hässlich und blind sind, geht es für Frauen nur noch bergab. Eine Frau wird im Alter vollständig entwertet.

Macht dir das Angst?
Und wie. Ich werde natürlich mit 80, wenn ich krank, alt und blind bin, keinen jungen Mann finden, der sich um mich kümmern wird, ich werde wohl eine alte Jungfer werden, die mit einem Hund einsam und alt in einem Hexenhäuschen lebt ...

Es bestimmt eben immer der Herrschende, was begehrenswert ist. Das ist das Problem.
Ja. Und das Imperium schlägt jetzt zurück. Die Männer sind nicht bereit, sich zu verändern, zu verzichten. Sie wollen wieder echte Frauen. Manchen Frauen macht das nichts aus, weil sie es immer so gemacht haben. Dazu gehört auch das Männer-gegeneinander-Ausspielen, das Frauen-Abtaxieren. Diesen Frauen sind wir sowieso unterlegen.

Den Weibchen ...
Ja, die Waffen einer Frau. Ich habe das alles nie gelernt. Es würde mich ja trösten, wenn es das Männliche in mir wäre, das mich daran hindert. Ich fürchte nur, es ist nur das Trampelige in mir. Ich muss allerdings gestehen, dass ich durch Beobachtung diese Tricks jetzt durchschaue, aber zu stolz bin, sie selbst anzuwenden.

Wann bist du denn zum ersten Mal konfrontiert worden mit dem "Männlichen"?
Schon recht früh eigentlich, weil mir die Sexualität so verboten war von meiner katholischen Mutter. In dem Augenblick, wo man seine Sexualität entdeckt und sich sozusagen auf dem Markt der anbietenden und angebotenen Körper bewirbt und versucht, einen Käufer für sich zu finden, begreift man. Die Frau darf nicht wählen, die Frau muss gewählt werden. Und um gewählt zu werden, muss sie eben bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Da war nicht mehr gefragt, wie gut ich Geige oder Klavier oder Orgel spielen konnte oder komponieren oder Ballett tanzen. Da war nur noch gefragt, wie ich aussehe und wie charmant ich bin und wie ich zu haben bin. Ich muss alles vergessen, ein zweites Leben beginnen, sozusagen ein Leben im Untergrund.

Du bist seit zwölf Jahren verheiratet. Dein Mann Gottfried Hungsberg ist so alt wie du und Naturwissenschaftler, wie dein Vater. Er lebt in München, 600 km entfernt von Wien. Du lebst zu zwei Dritteln in Wien im Haus deiner Mutter und zu einem Drittel hier in München. Ihr seht euch also etwa zehn Tage im Monat. Ist diese Distanz einer der Gründe, warum es klappt?
Ja. Ich muss sagen, dass der Gottfried mich sehr, sehr schätzt und nie versucht hat, meine Kreativität in Zweifel zu ziehen oder zu unterdrücken. Dann hätte ich ihn auch nie geheiratet. Und er will mich auch nicht besitzen. Wir lassen uns Freiheiten. Und vor allem: Wir reden nicht über alles. Ich halte nichts von der Wahrheit. Ehrlichkeit in der Beziehung lehne ich ab.

Was schätzt du bei Männern? Und was bei Frauen?
Was ich bei Männern hasse, kann ich genau sagen: Das ist dieses Machogehabe. Ich mag im Allgemeinen sehr junge Männer, also alles, was unfertig ist, was sich noch nicht in diesem System wohnlich eingerichtet hat, um Karriere zu machen. Bei Frauen macht es mir Probleme, wenn sie ein Kind bekommen und darüber ihr eigenes Leben und alles andere vergessen, nur noch Mutter sind.

Haben unmännliche Männer nicht auch Untiefen?
Sicher. Ich muss gestehen, dass mir das auch schon passiert ist, dass sich einem Männer zwar andienen, in fast sklavischer Weise, und dass sie sich auch gerne einer schöpferischen Frau Untertan machen, gerade um sie zu unterstützen in jeder Weise; dass aber irgendwann einmal diese Ansprüche voll zurückschlagen, und sie dann den Gegenwert in einer Art von Dienstleistung zurückerwarten. Der Preis für ihre Servilität oder ihre Unterwerfung wird sehr wohl eingeklagt. Die Männer achten sehr darauf, dass das Konto ausgeglichen wird.

Frauen schlagen zwar auch gern zurück, aber das äußert sich meist selbstzerstörerisch.
Wenn jemand, der keine Macht hat, zurückschlägt, ist das meist nicht sehr effizient.

Du hast direkt und indirekt viel mitgeteilt über die Rolle deiner Mutter in deinem Leben, aber wenig über den Vater. Man weiß von deiner "Eislaufmutter", dass sie dich zum Genie gedrillt hat. Man weiß von deinem Vater, dass er ein "tragisches Wesen" war und im Wahnsinn gestorben ist. Du hast also nicht nur eine starke Mutter, sondern auch einen schwachen Vater gehabt. Was aber heißt: er war auch menschlich, kein Tyrann, der dich erdrückt hat.
Es war absolut unmenschlich! Weil er einfach ein schwerer Psychopath war. Mein Vater war ein außerordentlich begabter Naturwissenschaftler, aber menschlich ein armes Schwein. Er hat das Schicksal gehabt, schwer neurotisch zu sein und dem Wahnsinn zu verfallen.

Wie alt warst du, als er in die Psychiatrie kam?
Da war ich erwachsen. Ich habe praktisch die ganze Zeit meiner Pubertät neben einem Vater gelebt, der den Verstand verlor, der eine unbeschreiblich schwache und lebensuntüchtige und fernstehende, verschrobene, obskure, unfähige Figur war, also keine väterliche Instanz. Die Mutter war phallisch, war eben Vater und Mutter in einer Person. Eine monströse, totempfahlähnliche Instanz. Meine Mutter ist noch heute, mit 86, furchterregend stark. Allerdings habe ich den Eindruck, dass die Töchter von starken Vätern zwar tüchtig sein können, aber nicht kreativ. Der Vater verkörpert ja diese männliche Ordnungsinstanz, dieses Sich-Einpassen ins Karrieredenken. Töchter von starken Vätern werden darum sicherlich gute Anwältinnen oder Ärztinnen und Lehrerinnen und vielleicht auch Wissenschaftlerinnen, aber die Kreativität bleibt bei allen Menschen, die übermächtige Väter haben, auf der Strecke. Auch ich habe meine Kreativität nur entwickeln können dank dieser starken Mutter.

Du hast in der letzten Zeit öfter Ingeborg Bachmann zitiert. Wir müssen heute davon ausgehen, dass sie Inzestopfer war. – Ihre Revolte und Kreativität käme also nicht aus dem Stolz, sondern eher aus der Erniedrigung.
Also jetzt ganz überspitzt: Die Bachmann ist auch ermordet worden, ist auch zugrunde gegangen. Während ich überleben werde. Ich weiß nicht, was erstrebenswerter ist. Ich werde von Männern sicherlich gebrochen, werde zwar freudloser, aber ich werde überleben. Allerdings nicht glücklich, denn die Glücksmöglichkeiten für Frauen in unserer Gesellschaft sind bescheiden. Ich werde auch letztlich aus meiner Arbeit kein Glück ziehen können.

Ich möchte nochmal auf deinen Vater kommen. Er war Jude. Wie hat er eigentlich überlebt?
Natürlich in einer Mischehe mit einer Arierin, und dann als Naturwissenschaftler. Ich glaube, er hat an kriegswichtigen Sachen geforscht und war darum unentbehrlich. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass das auch psychisch auf ihn einen verheerenden Einfluss gehabt hat.

Glaubst du das oder weißt du das?
Ich weiß es. Die Deutschen brauchten nach dem Kautschukboykott künstlich erzeugten Kautschuk für Treibriemen. Alle Räder mussten sich drehen für den Sieg. Er hat an einem Klebstoff für die Treibriemen aus diesem Buna gearbeitet. Das hat ihn bestimmt belastet. Im Alter kam dann noch dieser langsame Abbau dazu. Am Anfang hatte das noch ganz witzige Züge, indem er die Worte für die Gegenstände verwechselte und, wie aus Kindermund, so seltsame Dinge sagte, bis eben zum völligen geistigen Abbau. Das habe ich jahrelang miterlebt.

Und die Familie deines Vaters? Hat die überlebt?
Ja, die hat im Versteck überlebt, ein Teil war emigriert. Ich weiß von keinem, der umgekommen ist. Aber sie haben sich das Leben zur Hölle gemacht. Schon meine frühesten Erfahrungen waren tödlich: mörderische Hassgefühle zwischen meiner Mutter und ihrer Schwester, zwischen der Familie meines Vaters und der Familie meiner Mutter. Dann wirklich Mordversuche meiner Großmutter an meiner Mutter. Das ist ja das allerdüsterste Kapitel, dass in diesem Matriarchat auch eine Großmutter war, die wiederum meine Mutter gehasst hat, die wiederum ihre Schwester gehasst hat, die gar nichts dafür konnte, weil die Mutter natürlich schuld war.

Die hockten alle aufeinander?
Nein, nein, die hatten kaum Kontakt. Die hatten allerdings alles zusammen geerbt, die Häuser wurden zwar alle geteilt zwischen ihnen, aber sie mussten sich trotzdem über Anwälte auseinander setzen. Bis heute. Harmonie in einer Familie, das ist für mich etwas unbeschreiblich Exotisches.

Ich glaube, das ist für die meisten Menschen unbeschreiblich exotisch.
In dem Ausmaß, wie ich es erlebt habe, habe ich es woanders noch nie gesehen. Außer vielleicht bei Unica Zürn, die von ihrer Mutter vergewaltigt worden ist.

Du kennst keine körperliche Gewalt?
Diese gröhlende, brutale Gewalt habe ich nicht erlebt. Das ist mir ganz fremd. Aber ich habe natürlich den Psychoterror in den feinsten Verästelungen und raffiniertesten Nuancen erlebt. Ich glaube, in Psychoterror bin ich Expertin.

Auch die Tatsache, dass du nach dem Nazi-Terminus "Halbjüdin" bist, Jahrgang 1946, muss dich doch geprägt haben.
Bei mir ist das anders. Da waren keine gläubigen Juden in der Familie. Der jüdische Teil meiner Familie, das waren sehr engagierte Linke. Mein Großvater war ein großer Agitator, allerdings auch ein großer Patriarch. Die Frau müsste zu seinen Füßen am Schemel sitzen und durfte nicht einmal auf einer Höhe mit ihm sitzen, und sie müsste essen, was er übrig ließ. Aber ich will das auch nicht mythologisieren. Ich bin in dem Sinne kein Opfer. Obwohl natürlich meine Eltern auch schon 42 und 48 waren, als ich auf die Welt gekommen bin, weil sie es vor '45 natürlich nicht wagen konnten. Und diese völlige Zerstörung meines Vaters, die hat natürlich auch etwas damit zu tun.

Du bist also doppelt betroffen von der Entwertung: als Frau und als Jüdin.
Das stimmt. Diese Erfahrung, verfolgt gewesen zu sein, also diese kollektive Erfahrung, das habe ich schon noch mitbekommen. Dann war aber da das politische Engagement meines Vaters, der zeitlebens in der sozialistischen Partei war, das wiederum richtete sich gegen das meiner Mutter in der katholischen Kirche. Das war wieder die Kluft zwischen meinen Eltern: der jüdische Proletarier und die katholische Großbürgerin. Der Vater war sozusagen der Machtlose.

Ja, aber man stelle sich vor, sie hätte keine Macht gehabt – bei der Tradition, aus der dein Vater kam. So mancher rührende, schwache Mann wäre vermutlich ein Pascha, wenn er nicht eine starke Frau hätte, die ihn daran hindert...
Er war meiner Mutter zeitlebens dankbar, denn sie hat ihm in der Nazizeit ja indirekt das Leben gerettet.

Du persönlich hast die Erfahrung umgekehrter Verhältnisse gemacht: eine starke Mutter und einen schwachen Vater. Gleichzeitig bist du eine konsequente Analytikerin des Machtverhältnisses zwischen Männern und Frauen, das du "faschistoid" nennst.
Eben das ist deshalb nur möglich: weil dieses Anderssein, die ganz andere Erfahrung, den Blick schärft für die tatsächlichen Verhältnisse. Wenn ich mit einem prügelnden, vergewaltigenden Vater aufgewachsen wäre, wäre ich vermutlich gar nicht imstande gewesen, was anderes zu denken, dann wäre ich zerbrochen gewesen und hätte das nicht einmal reflektieren können. Du kannst so was ja nur als Fremdling reflektieren.

Im Ausland ist es üblich, den Sexismus strukturell mit dem Antisemitismus und dem Rassismus zu vergleichen, also auf die identischen Wurzeln, Strukturen und Folgen hinzuweisen. In Deutschland tut man darüber gern schockiert.
Die Parallelen sind natürlich da, Sexismus und Antisemitismus, weil beide, Frauen wie Juden, diese scheinbare Naturhaftigkeit zugesprochen bekommen. In dieser falschen, verlogenen Naturhaftigkeit ist wirklich eine starke gemeinsame Wurzel zwischen Antisemitismus und Frauenfeindlichkeit zu sehen.

Wie siehst du deine Zukunft?
Ich sehe überhaupt keine Lösung … Manchmal möchte ich einfach auch eine ganz normale Ehefrau sein, mit einem Witwer oder einem geschiedenen Mann und erwachsenen Kindern oder halberwachsenen Kindern, die in einem vollkommen geordneten oder geregelten Leben leben.

Du weißt zu viel.
Aber die Phantasie habe ich trotzdem manchmal: zu leben wie in diesen Doris-Day-Filmen ... Um endlich auszuruhen. Nicht mehr diese Berge, die Betonberge aufreißen zu müssen. Ich möchte schon mal eine Zeit lang nicht arbeiten müssen. Aber gleichzeitig denke ich doch, dass ich mich jetzt als nächste Stufe am Denken reiben sollte, in Literatur und Sexualität. Ich kann es offenbar nicht abstellen. Es macht einen nicht glücklich, zu wissen. Da kann man sich ja an einsamen Abenden nichts abbeißen, wenn man etwas weiß. Man kann wenig Glücksgefühle daraus ziehen. Das kennen wahrscheinlich viele engagierte Frauen, dass da eine gewisse Verbitterung entsteht, dass sie jetzt Dinge und Zustände schon so lange sehen und beschreiben und sich ja nichts ändert. Es werden weiterhin – wie die Bachmann sagt – alle Gedanken der Frauen um die Männer kreisen. Die Männer hingegen werden sich nach wie vor kaum mit den Frauen beschäftigen. Es werden immer noch Millionen Bücher gekauft, warum Männer nicht lieben können und warum Frauen zuviel lieben. Von Frauen. Den Männern ist es eigentlich sowieso egal, was die Frauen von ihnen denken. Den Frauen wird es trotz Frauenbewegung niemals egal sein, was die Männer von ihnen halten. Sie werden immer versuchen, zumindest deren Verständnis zu finden, sich mit ihnen zu arrangieren.

Was verständlich ist, weil sie die Schwächeren sind. Aber wie kann man damit leben?
Ich weiß es wirklich nicht. Hast du da irgendwelche Ideen? Einfach Abstand halten zum Universum der Männer? Bewusst stärker auseinander rücken? Sichweniger all dem ausliefern?

Das muss wohl jede für sich beantworten ...
Es wird sich ändern müssen. Und es wird sich auch ändern, aber nicht mehr zu unseren Lebzeiten. Ich glaube, dass alle Kulturleistungen von den Frauen erfunden worden sind. Irgendwann einmal wird dieses schweigende Reich, auf dem die Männer wie auf einem lebenden Fundament stehen, die Frauen eines fernen Tages zu einem neuen Selbstbewusstsein bringen, sie werden sich ihrer Macht bewusst werden.

Neigst du jetzt nicht zur Mystifizierung von Frauen?
Vielleicht. Weil sie mir genauso fremd sind wie Männer.

Vorhin hast du gesagt, Frauen wären dir vertraut.
Habe ich ... ? Ich würde nicht sagen, dass ich die Frauen verstehe. Vielleicht verstehe ich sogar die Männer besser. Ich muss auch gestehen, dass ich mich bisher natürlich auch mehr mit Männern beschäftigt habe.

Das Gespräch führte Alice Schwarzer

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Nobelpreis für Jelinek - 7.10.04

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Literatur-Nobelpreis für Elfriede Jelinek - 7.10.04

Alice Schwarzer hat Elfriede Jelinek mehrfach für EMMA interviewt.
Das erste Gespräch wurde 1989 in ihrer Münchner Wohnung geführt.
Das zweite Gespräch
1997 zusammen mit Marlene Streeruwitz in Jelineks Haus in Wien.

Elfriede Jelinek wurde 1946 in Mürzzuschlag/Steiermark geboren. Sie ist die Tochter einer österreichisch-katholischen Mutter und eines slawisch-jüdischen Vaters. Der Beginn ihres literarischen Schaffens steht unter dem Zeichen der Befreiung der Tochter von einer von ihr als "dämonisch und herrisch" beschriebenen Mutter, eingebettet in eine radikale Analyse der Klassen- und Männergesellschaft. Seit Mitte der 1990er Jahre thematisiert Jelinek auch die väterliche Hypothek offensiv: den Antisemitismus und die KZ-Opfer in der eigenen Familie. Jelinek studiert auf dem Wiener Konservatorium Klavier und Komposition. 1970 erscheint ihr erster Roman, " Wir sind Lockvögel, Baby", eine literarische Collage, die mit der Trivialliteratur spielt. Mit ihrem dritten Roman, "Die Klavierspielerin", wird sie 1983 berühmt. Es ist eine autobiografisch geprägte, sadomasochistische Mutter-Tochter-Geschichte. "Meine Figuren sind Prototypen", präzisiert Jelinek, "Menschen und ihre subtilen Verhaltensweisen interessieren mich nicht". Um Prototypen geht es auch 1989 in "Lust", ein, wie sie sagt, "Antiporno, allerdings im obszönen Idiom". Für Jelinek, die mit einem Deutschen verheiratet ist, ist "Sexualität selbst Gewaltausübung, und zwar Gewalt des Mannes gegen die Frau".

Mehr über Elfriede Jelinek:
www.elfriedejelinek.com

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