Frankreich für Freierbestrafung!

Französische AbolitionistInnen demonstrieren, mit Staatssekretärin Pascale Boistard (Mitte).
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Die Begeisterung ist groß: „Eine entscheidende Etappe!“ twittert Pascale Boistard (Foto Mitte), Staatssekretärin für Frauenrechte und erste Rednerin in der heutigen Debatte, nachdem das Abstimmungsergebnis feststand. „Merci!“ jubelt „Abolition2012“, ein breites Bündnis aus 50 französischen (Frauen)Organisationen, die für die Abschaffung des „Prostitutionssystems“ kämpfen. „Wir freuen uns, dass die Nationalversammlung eine wiederhergestellte Fassung des Gesetzentwurfs angenommen hat, der den Kampf gegen das Prostitutionssystem stärken wird“, verkündet das „Mouvement du Nid“, Frankreichs größte Anti-Prostitutions-Organisation, die in 36 Städten Prostituierte beim Ausstieg unterstützt. „Wir gratulieren den französischen NGOs!“ schreibt die Europäische Frauenlobby.

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Das Kernstück
des Gesetzes:
die Bestrafung
der Freier

Mit klarer Mehrheit und quer durch alle Parteien hat die Nationalversammlung heute in zweiter Lesung für ein neues Prostitutionsgesetz gestimmt. Sein Kernstück: die Bestrafung der Freier. Und die Entkriminalisierung der Prostituierten, die unter dem damaligen Innenminister Sarkozy seit 2003 mit Geldbußen bestraft wurden, wenn sie öffentlich sichtbar um Kunden warben.   

Eigentlich ist die Sache seit dem 4. Dezember 2013 klar. An diesem Tag hatte die Nationalversammlung mit 268 zu 138 Stimmen schon einmal dafür votiert, künftig die „Kunden“ von Prostituierten in die Verantwortung zu nehmen und so die Nachfrage nach der „Ware Frau“ zu senken. Dann allerdings wurde es still um das neue Gesetz, das nach dem Parlament auch noch vom Senat – dem Pendant zum deutschen Bundesrat - bestätigt werden musste. Dort aber verschwand der Gesetzentwurf in der Versenkung. Es war offensichtlich, dass die Mehrheit der Senatoren das Vorhaben boykottierten.

Dann aber begann der sogenannte Carlton-Prozess um Dominique Strauss-Kahn. Frauen, die auf „Sexpartys“ DSK und seinen Kumpanen zu Diensten sein mussten, sagten aus, wie brutal und menschenverachtend es dort zuging. „Der Prozess hat den Menschen gezeigt, was die sogenannte freiwillige‘ Prostitution bedeutet“, sagt Grégoire Théry, Generalsekreträr des „Mouvement du Nid“. „Die Stimmung ist völlig gekippt - auch in den Medien.“

Die Stimmung ist völlig gekippt - auch in den Medien

Schließlich wurde der Druck zu groß: Nach 16 Monaten, am 30. März, setzte der Senat das Prostitutionsgesetz erstmals auf die Tagesordnung. Das – zu erwartende – Ergebnis: Ein Entwurf, der den ursprünglichen Paradigmenwechsel ad absurdum führte. Die SenatorInnen strichen die Freierbestrafung und plädierten stattdessen dafür, die Bestrafung der Prostituierten wieder einzuführen.

Mit der heutigen Abstimmung haben Frankreichs Abgeordnete gezeigt, dass die es ernst meinen mit einer neuen Prostitutionspolitik in Frankreich. Einer Politik, die sich nicht länger gegen die Prostituierten richtet, sondern gegen diejenigen, die den Markt für den Sexkauf erst schaffen. Mit der heutigen Abstimmung ist die Tour de Force aber noch nicht ganz zu Ende. Der Entwurf muss nun noch einmal in den Senat und schließlich, zur dritten Lesung, ein letztes Mal in die Nationalversammlung.

Die Reform stößt auch in Frankreich auf Widerstand bei den üblichen Verdächtigen. Aber sie hat es bei unseren Nachbarn nicht ganz so schwer, denn die Geschäftsinteressen sind kleiner. Man geht heute in Frankreich von etwa 30.000 Mädchen und Frauen in der Prostitution aus – nur etwa ein Zehntel der Prostituierten in Deutschland. Was auch das Resultat einer traditionellen Ächtung in Frankreich ist, wo 1948 via Gesetz die Bordelle geschlossen wurden. Französische Sextouristen kommen deshalb besonders gern nach Deutschland, das Freier- und Zuhälterparadies.

Deutschland ist von alledem Lichtjahre entfernt

In den eineinhalb Jahren, in denen der Gesetzentwurf in den Schubladen des Senats verstaubte, haben übrigens zwei weitere Länder die Freierbestrafung eingeführt: Kanada und Nordirland. Und auch in Irland hat die Justizministerin einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. Bei dessen Verabschiedung könnte helfen, dass das Europäische Parlament am 9. Juni 2015 eine „Resolution zur Gleichstellung von Frauen und Männern“ verabschiedet hat. Darin fordern die EU-ParlamentarierInnen – mal wieder – die „sexuelle Ausbeutung“ von Frauen zu bekämpfen: indem „die Nachfrage“ nach Prostitution „bekämpft“ und Ausstiegsprogramme für Prostituierte geschaffen werden.

Und Deutschland? Ist von alledem immer noch Lichtjahre entfernt.

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Freispruch für Strauss-Kahn

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Über Monate hatte der Prozess gegen Dominique Strauss-Kahn in Lille Frankreich erschüttert. Denn öffentlich wurden nicht nur die "etwas rüderen Sexualpraktiken" (DSK) des Angeklagten, sondern auch das Elend der von ihm benutzten Frauen. Wider allen Augenschein leugnete Strauss-Kahn bis zuletzt, gewusst zu haben, dass die ihm über Jahre und allerorten zahlreich zugeführten Frauen Prostituierte waren. Die Frauen waren angeheuert und bezahlt worden von Leuten, die sich viel versprachen von der Gunst des als zukünftiger (sozialistischer) Präsident Frankreichs gehandelten Strauss-Kahn: von Unternehmern, einem Polizeipräsidenten und Zuhältern. Hätte es als bewiesen gegolten, dass DSK sehr wohl wusste, dass die von ihm als "Material" bezeichneten Frauen gekauft waren, hätte man ihn wegen "Zuhälterei" verurteilen müssen. Denn das französische Gesetz definiert jede Art von Vorteilnahme bei Prostitution als "Zuhälterei". EMMA hatte mehrfach über den Fall DSK berichtet. Zuletzt im Februar 2015:

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Es waren die Tage im Mai 2011, in denen für ganz Frankreich feststand, dass Strauss-Kahn der nächste Präsident von Frankreich sein würde. Denn der potenzielle Kandidat der Sozialisten und Chef der Weltbank galt als wählbar auch für das bürgerliche Lager. Doch dann kam Nafissatou Diallo. Das schwarze Zimmermädchen bezichtigte einen der mächtigsten Männer der Welt, sie oral vergewaltigt zu haben.

Zur weltweiten Verwunderung wurde der Strafprozess gegen den in New York in U-Haft Einsitzenden dann überraschend doch nicht eröffnet (wegen angeblich erschütterter Glaubwürdigkeit von Diallo). In dem darauf folgenden Zivilprozess jedoch zahlte DSK der Frau im Vergleich ein Schmerzensgeld in Millionenhöhe.

In dieser Zeit wurde ruchbar, was DSK in den Jahren zuvor sonst noch so getrieben hatte. An die Ohren der französischen Justiz gelangte das, als einer seiner feinen Kumpel am Telefon dem Anwalt von Diallo gegen Cash einschlägige Informationen anbot. Die französische Polizei hörte mit.

Prostituierte sprechen von abartigen Praktiken und „Gemetzel“.

Die Anklage gegen Strauss-Kahn, 65, lautet jetzt auf 15 Fälle von „organisierter, bandenmäßiger Zuhälterei“ in den Jahren zwischen 2007 und 2011. Als „Zuhälter“ gilt nach französischem Recht jeder, der die Prostitution eines anderen Menschen „unterstützt“, dabei „assistiert“ oder von ihr profitiert. DSK soll führend bei der Organisation der Orgien mit Prostituierten gewesen sein, zusammen mit u.a. einem Bordellbetreiber, einem hohen Polizeibeamten sowie Unternehmern.

Es heißt, DSK habe sich das „Material“, so seine Wortwahl, in Luxushotels, Bordelle und eine eigens von ihm angemietete Wohnung in Paris bestellt. Bezahlt wurden die Gewaltorgien von einem Baukonzern und einer Pharmafirma, nachdem DSK die Rechnungen gegengezeichnet hatte. Die Unternehmer versprachen sich wohl so einiges von der Gunst des zukünftigen Präsidenten.

Die letzte dieser „Partys“ hatte, mit aus Frankreich eingeflogenen Frauen, in Washington stattgefunden, am Sitz der Weltbank – am Tag vor der Affäre Diallo. Auf die Klage des Zimmermädchens hatte Strauss-Kahn damals entgegnet, es habe sich um „einvernehmlichen Sex“ gehandelt. Zu den Anwürfen in Frankreich sagte er, er habe nicht gewusst, dass es sich um gekaufte Frauen handelte, er habe sie für die Ehefrauen oder Freundinnen seiner Kumpel gehalten.

Bei den Orgien waren die Frauen immer nackt und die Männer angezogen. Zunächst. Strauss-Kahn, gern im Bademantel, pflegte sich nach den Aussagen der Frauen „ohne Vorrede und ohne ein Wort“ auf sie zu stürzen, und das „in ungewöhnlich brutaler Weise“. Sieben Frauen sind bereit auszusagen. Sie alle bezeichnen das Verhalten von DSK als „abartig, gewalttätig und bestialisch“ und sprechen von „Gemetzel“ oder „Schlachthaus“.

Eine nannte die Art von Strauss-Kahns Verkehr mit ihr sogar eine „Vergewaltigung“. Und eine weitere erklärte, er habe sie nach ihren Tarifen gefragt. Es ging Strauss-Kahn bei diesen Orgien offensichtlich vor allem um Gewalt. Seine bevorzugte sexuelle Praxis war die anale Penetration – die auch Prostituierte nur selten akzeptieren.

Es wird in diesem spektakulären Prozess über sexuelle Gewalt in höchsten wie niedrigsten Kreisen auf Folgendes ankommen: Ob man DSK beweisen kann, dass er wusste, dass die Frauen bezahlt waren – und, dass er bei diesen Orgien die treibende Kraft war.

Müssen wir wählen zwischen: „Freiheit“ à la DSK & den Islamisten?

Die Widerstände gegen den Prozess waren groß. Schließlich sind die Sozialisten, deren Star DSK so lange war, zurzeit an der Macht. Tatsächlich wollten auch die französischen Staatsanwälte, ganz wie die amerikanischen, das Verfahren einstellen. Doch die Ermittlungsrichter bestanden auf Anklage. Sollte Strauss-Kahn verurteilt werden, drohen ihm bis zu zehn Jahren Gefängnis und bis zu 1,5 Millionen Euro Geldstrafe.

Dieses Geld zu mobilisieren dürfte dem einst so Reichen inzwischen schwerfallen. Denn nach langer Nibelungentreue – nicht zuletzt auf Kosten der anderen Frauen – hat sich seine schwer vermögende Ehefrau, die Journalistin Anne Sinclair, von ihm getrennt. Auch die in den letzten Jahren von ihm als Berater im Sudan, Russland oder Südkorea verdienten Honorare dürften bei dem betrügerischen Bankrott den Bach runtergegangen sein, den sein Geschäftspartner Thierry Leyne hingelegt hat. Mit dem hatte DSK in Luxemburg den Fond LSK (Leyne Strauss-Kahn Partners) gegründet. Leyne hat inzwischen Selbstmord begangen. Auf Strauss-Kahn warten Millionenklagen.

Trotzalledem gibt es immer noch Stimmen, die Strauss-Kahn verteidigen, vor allem aus der libertären Männerecke. Sie sagen, in Wahrheit ginge es den „prüden Kräften Frankreichs“ darum, den „Sex zu verteufeln“. Der eine Verteidiger von Strauss-Kahn ist niemand Geringerer als Henri Leclerc, 80, der legendäre Verteidiger der 68er-Revolutionäre. Sein zweiter Anwalt ist Richard Malka, der Jurist von – Charlie Hebdo (!). Die beiden linken Anwälte plädieren im Namen der „sexuellen Freiheit“ und gegen die „politischen Feinde“ des Angeklagten.

Auch der Bestseller-Autor und Herausgeber des französischen Lui, Frédéric Beigbeder, Initiator des Pro-Freier-Appells in Frankreich, hält zu DSK. Für ihn ist die „sexuelle Freiheit“ eines Strauss-Kahn immer noch besser als „die Prüderie des Islamischen Staates“. Aber wer will da schon wählen? Schließlich ist beides (sexuelle) Gewalt in Reinkultur.

***

Die Opfer - zum Beispiel Mounia

Was für Frauen waren das eigentlich, die Strauss-Kahn sich da als „Material“ für seine Gewaltorgien zu bestellen pflegte? Liberation veröffentlichte ein Porträt von Mounia. Die Tochter marokkanischer Einwanderer wurde als Kind von ihren Brüdern missbraucht und von den Eltern an einen arabischen Minister verkauft. 

Mounia ist 41 Jahre alt. Sie ist in Roubaix geboren, das siebte Kind von neun marokkanischer Eltern, der Vater Lastwagenfahrer, die Mutter Hausfrau. Sie wurde als Kind von ihren Brüdern sexuell missbraucht und mit 20 von ihrer Familie an einen Minister der Vereinigten Arabischen Emirate „verkauft“. Mounia konnte fliehen, prostituierte sich bis 30 und versuchte dann rauszukommen.

Sie konnte sein Honorar nicht bezahlen, da bot er ihr Bezahlung "in Natur" an.

Bei einem Prozess um das Sorgerecht für ihr Kind begegnete sie Emmanuel Riglair, ein hoch renommierter Anwalt in Lille. Sie konnte sein Honorar nicht bezahlen, er bot ihr Bezahlung „in Natur“ an. Dann stellt er sie René Kojfer vor, der im Hotel Carlton zuständig ist für die Öffentlichkeitsarbeit. Der soll Mounia in der Kanzlei des Anwaltes „ausprobiert“ – und sie dann an diverse Freier vermittelt haben. 2006 begegnet Mounia einem Mann, mit dem sie zusammenzieht und hört auf, sich prostituieren. Sie wird schwanger. Der Mann geht nach der Geburt des Kindes.

2009 nimmt sie wieder Kontakt mit Anwalt Riglair auf. Der präsentiert sie 2010 David Roquet, Leiter einer Filiale des Baukonzerns Eiffage. Der Geschäftsmann heuert Mounia „für einen Abend in Paris“ an. „Man muss diskret sein“, sagt er, denn bei dem Abend geht es um Dominique Strauss-Kahn. Er rät Mounia, 1 500 Euro zu verlangen. Mounia fährt mit dem Polizeichef Lagard und dem Unternehmer Roquet nach Paris, ins Hotel Murano. Dort sind schon drei weitere Mädchen, die für sie „eindeutig Prostituierte“ sind. Man schickt sie zu Dominique Strauss-Kahn aufs Zimmer. Da erduldet sie unter Tränen eine gewalttätige anale Penetration. Bei der Befragung mochte sie den Vorfall dennoch nicht als Vergewaltigung bezeichnen, schließlich sei sie dafür „bezahlt worden“. Aber sie wiederholt: „Man spürte, dass es ihm um Gewalt ging.“

Richter: "Merkte er, dass sie weinten?" Mounia: "Ja... er lächelte nur."

PS von EMMA: Am 10. Februar tritt Mounia in Lille in den Zeugenstand. Wenige Meter von ihr entfernt sitzt Strauss-Kahn auf der Anklagebank. Der Richter fragt Mounia behutsam nach dem besagten Abend. Sie antwortet sehr leise, mit stockender Stimme: „Ich bin zu ihm aufs Zimmer.“ DSK schickte sich an, sie anal zu penetrieren. Sie wehrte sich und weinte heftig. Der Richter: „Hat er gemerkt, dass sie geweint haben?“ Mounia: „Ja, aber er lächelte nur. Ich hatte den Eindruck, er genoss, was er tat. Ich habe ihm gesagt, dass er mir sehr weh tut. Er hat nicht aufgehört.“ Der Richter: „Waren Sie einverstanden?“ Mounia: „Ja. Ich brauchte doch das Geld.“

In seiner anschließenden Befragung bestätigt DSK den Vorgang, streitet jedoch ab, gemerkt zu haben, dass die Frau geweint hat. „Da wäre es mir vergangen.“ Und er fügt hinzu: „Die Prostitution ist nicht meine Sache. Ich habe gerne, wenn es ein Fest ist.“ Außerdem nutzt DSK, den der Richter zuvor als damals einen der „mächtigsten Männer der Welt“ bezeichnet hatte, die Gelegenheit, dem Gericht Folgendes darzulegen: „Ich bilde mir nichts darauf ein, aber in dieser Zeit haben wir den Planeten vor einer der schlimmsten finanziellen Krisen gerettet.“

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Der Fall DSK

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