100 Jahre Frauenfriedenskongress

US-Pazifistin Jane Addams (4. v li) und Mitstreiterinnen unterwegs zum Kongress. © The granger Collection
Artikel teilen

Wir Frauen aus vielen Ländern, zum ­Internationalen Kongresse versammelt, erklären hierdurch über allen Hass und Hader hinaus, der jetzt die Welt erfüllt, uns in der gemeinsamen Liebe zu den Idealen der Gesittung und Kultur verbunden zu fühlen, auch wo unsere Wege zu diesem Ziele auseinander gehen. Wir erklären feierlich jeder Neigung zu Feindschaft und Rache zu widerstehen, dagegen alles Mögliche zu tun um gegenseitiges Verständnis und guten Willen zwischen den Nationen herzustellen und für die Wiederversöhnung der Völker zu wirken. Wir erklären: Der Lehrsatz, Kriege seien nicht zu vermeiden, ist sowohl eine Verneinung der Souveränität des Verstandes, als ein Verrat der tiefsten Triebe des mensch­lichen Herzens. Von der innigsten Teil­nahme beseelt für die Leidenden, Trost­losen und Unterdrückten, fordern wir, Mitglieder dieses Kongresses, die Frauen aller Nationen feierlichst auf, für ihre ­eigene Befreiung zu arbeiten und unaufhörlich für einen gerechten und dauernden Frieden zu wirken.

Anzeige

1. Protest
Wir protestieren gegen den Wahnsinn und die Gräuel des Krieges, der nutzlos Menschenopfer fordert und vielhundertjährige Kulturarbeit der Menschheit zerstört.

2. Leiden der Frauen im Krieg
Wir protestieren aufs Entschiedenste gegen das furchtbare Unrecht, dem Frauen in Kriegszeiten ausgesetzt sind, und besonders gegen die entsetzlichen Vergewal­tigungen von Frauen, welche die Begleit­erscheinungen jedes Krieges sind.

3. Friedensschluss
Wir Frauen der verschiedenen Nationen, Klassen, Parteien und Glaubensrichtungen sind uns einig im Ausdruck warmen Mit­gefühls mit den Leiden Aller, die unter der Last des Krieges für ihr Vaterland arbeiten und kämpfen, gleichviel welcher Nation sie angehören. Da die Völker aller im Kriege befindlichen Länder glauben, keinen Angriffskrieg zu führen, sondern zur Selbstverteidigung und für ihre bedrohte nationale Existenz zu kämpfen, können keine unversöhnbaren Gegensätze zwischen ihnen bestehen. Ihre gemeinschaftlichen Ideale bieten eine Grundlage, auf der ein gerechter und ehrenhafter Friede aufgebaut werden kann. Wir fordern daher die Regierungen der Welt auf, das Blutvergießen zu beenden und Friedensverhandlungen zu beginnen.

4. Ständige Vermittlung
Wir fordern die neutralen Länder auf, sofort Schritte zu unternehmen, um eine Konferenz neutraler Staaten einzuberufen, die unverzüglich ständige Vermittlungsbereitschaft anbieten soll.

5. Anerkennung der Volksrechte
Wir erklären in Anerkennung des Rechts der Völker auf Selbstbestimmung, dass kein Gebiet ohne Einwilligung seiner männlichen und weiblichen Bevölkerung übertragen werden soll, und dass keinem Volk Auto­nomie und ein demokratisches Parlament ­verweigert werde.

6. Schiedsgericht und Vergleich 
In der Überzeugung, dass Krieg die Verneinung von Fortschritt und Zivilisation bedeutet, fordern wir die Regierungen aller Länder auf, zu einem Übereinkommen zu gelangen, auf Grund dessen alle künftigen internationalen Streitigkeiten einem Schiedsgericht oder einer Vermittlung zu unterstellen sind. (...)

8. Kontrolle auswärtiger Politik
Da Krieg gewöhnlich nicht durch die Volksmassen verursacht wird, die ihn nicht wünschen, sondern durch einzelne Interessengruppen, fordern wir, dass die äußere Politik demokratischer Kontrolle unterstellt werde. Wir erkennen als demokratisch nur ein System an, welches die gleiche Vertretung von Männern und Frauen umfasst.

9. Die Gleichberechtigung der Frau
Da der zusammenwirkende Einfluss der Frauen aller Länder einer der stärksten Faktoren zur Vermeidung des Krieges ist, und da Frauen nur dann volle Verantwortung und wirksamen Einfluss ausüben können, wenn sie die gleichen politischen Rechte wie die Männer haben, fordern wir politische Gleichberechtigung der Frauen. (...)

11. Internationale Organisation
Dieser Internationale Frauenkongress fordert, dass die Organisation einer Vereinigung der Nationen auf der Grundlage aufbauenden Friedens gestaltet werde und folgendes umfasse:
a) Das Haager Schiedsgericht werde durch einen dauernden internationalen Schiedsgerichthof erweitert.
b) Zur Fortentwicklung des aufbauenden Werkes der Haager Konferenz soll eine ständige internationale Konferenz organisiert werden, mit regelmäßigen Sitzungen, an denen auch Frauen teilnehmen sollen. Diese Konferenz soll derartig organisiert sein, dass die Grundsätze der Gerechtigkeit, Billigkeit und guten Willens aufzustellen und durchzusetzen im Stande ist, durch welche die Kämpfe unterdrückter Gemeinwesen voll anerkannt und die Interessen und Rechte nicht nur der Großmächte, und der Mittelstaaten, sondern auch der schwächeren Länder und der Naturvölker durch eine aufgeklärte öffentliche Meinung allmählich geregelt werden können.

12. Allgemeine Abrüstung
Da dieser Internationale Frauenkongress allgemeine Abrüstung empfiehlt und sich bewusst ist, dass diese nur durch ein internationales Übereinkommen erreicht werden kann, fordert er als einen Schritt zu diesem Ziel, dass alle Länder auf Grund internationalen Abkommens die Fabrikation von Waffen und Munition verstaatlichen und deren internationalen Handel unter Aufsicht stellen. Der Kongress sieht in der Ausschaltung der Privatinteressen an der Waffenfabrikation ein wichtiges Mittel zur ­Abschaffung der Kriege. (...)

15. Die Frauen in der Politik
Dieser Internationale Frauenkongress erklärt es für unumgänglich, sowohl national, wie international den Grundsatz in die Praxis umzusetzen, dass die Frauen alle bürger­lichen und politischen Rechte und Ver­antwortungen unter gleichen Bedingungen ­tragen sollen, wie die Männer.

16. Die Kindererziehung
Dieser Internationale Frauenkongress betont die Notwendigkeit, die Erziehung der Kinder so zu leiten, dass ihr Denken und Wünschen auf das Ideal aufbauenden Friedens gerichtet wird. 

18. Friedensbedingungen
Dieser Internationale Friedenskongress fordert, dass Vertreter des Volkes an der Konferenz teilnehmen sollen, in welcher die Friedensbedingungen nach dem Krieg festgesetzt werden und fordert, dass auch Frauen unter diesen Vertretern an der ­Konferenz teilnehmen.

19. Die Frauen beim Friedensschluss
Dieser Internationale Frauenkongress beschließt die Abhaltung eines internationalen Frauenkongresses am selben Ort wo, und in derselben Zeit, wenn die Konferenz der Mächte zur Feststellung der Friedensbedingungen tagt, um dieser praktische Vorschläge zu unterbreiten.

20. Deputationen zu den Regierungen
Um die Regierungen der Welt zu veranlassen, dem Blutvergießen ein Ende machen und einen gerechten und dauernden Frieden zu schließen, entsendet dieser Frauenkongress Deputationen, welche die in den Resolutionen niedergelegte Botschaft den Oberhäuptern der kriegführenden und neutralen Staaten Europas und dem Präsidenten der Vereinigten Staaten Nordamerikas überbringen sollen.

Artikel teilen

Ein Weltgastrecht für Frauen

Artikel teilen

Ein Wort wird zentnerschwer: K-R-I-E-G.

Anzeige

Natürlich kennen wir das Wort, aber für die meisten von uns bezeichnet es Nachrichten von anderswo. Oder ein Etwas aus Geschichtsbüchern. Der 1. Weltkrieg ist ein fernes Gespenst. Der 2. Weltkrieg endete 1945, unsere Mütter oder Großmütter haben ihn noch erlebt. Aber wenn wir jünger als 70 Jahre alt sind? Dann sind wir Friedenskinder.

Wir kennen Erzählungen und Fotos von Elend und Luftschutzkellern. Vereinzelt noch Baulücken in Städten. Hinzu kommen aktuelle aber ferne Kriege aus zweiter Hand, Nachrichtenschnipsel, wackelige Kamerafahrten, KommentatorInnen vor hastig arrangiertem Hintergrund.

Krieg ist die Katastrophe schlechthin

Wir misstrauen den Bildern, während sie uns zugleich gefangen halten. Wenn wir aber hinsehen: Was wäre zu tun? Scham und Ohnmacht mischt sich mit der gleichwohl vorhandenen Erleichterung, „hier“ sicher zu sein.

Ein diffuser Schrecken: Krieg ist die Katastrophe schlechthin. Ich zum Beispiel empfinde neben den Bombentoten oder Schusswaffen das als ­besonders fürchterlich, was zwischen Uniformierten und Zivilisten passiert, was marodierende Milizen anrichten. Dazu das, was Schmerzen, Verletzungen, Tod wie eine Lache umgibt, die auch in Jahrzehnten nicht trocknen wird: Angst, Grauen, Trauer, Panik, Verrat. Der Zerfall jeglicher Freundschaft und Fürsorge. Zu lindern ist das nicht – oder eben durch Hass.

Hass wiederum treibt Kriegsbereitschaft und Kriegsgeschäfte weiter voran. Überhaupt, ja: die Geschäfte. „Sicherheit“ ist ein Gut, dessen Aktienkurse man durch Kriegsangst und Krieg hochtreibt. Es gibt Ökonomien des Krieges, Branchen, für die sich Krieg rechnet, und militärische Eliten, deren Handwerk er ist. Die Soldaten und neuerdings auch Soldatinnen sind nur zu verheizendes Material.

Und Waffen sind Material, das verbraucht sein will, zumal in Zeiten, in denen es kein teures (also lukratives) Wettrüsten mehr gibt. Die „neuen“ Kriege gehen darum so: Immer seltener steigen heute ganze Staaten offiziell ein. Stattdessen toben heute, wo geschossen, vergewaltigt, verstümmelt wird, die Wölfe: Warlords, Clanchefs, Milizen, Söldner, Mafia. Ein schmutziger Alptraum mit leisem Beginn und ohne Ende.

Krieg ist nach wie vor Männersache, auch das macht ihn gespenstisch. Trotz Frauen im Soldatenberuf: In der Eskalation fallen die Geschlechterrollen wieder brutal auseinander. Schon lange sterben in Kriegen prozentual mehr Zivilpersonen als Militärs. Systematische Vergewaltigungen sind ein Instrument auch der Kriegführung des 21. Jahrhunderts. Und das Leben danach mit den Ex-Kämpfern, die das Vergewaltigen und Morden professionell betrieben haben? Frauensache. Das Grauen geht auch nach Kriegsende im Kleinen weiter.

Und das Leben danach mit den Ex-Kämpfern?

Wohin also mit dem Krieg? Einfach nur hoffen, dass er uns nicht trifft? Und wenn ich etwas tun will: Wie kann ich heute noch friedenspolitische Zeichen setzen? Gibt es Friedensdemonstrationen, die hie die Waffenproduzenten und da die Warlords, marodierende Milizionäre, die Mafia beeindrucken? Oder auch nur den Sohn meiner Nachbarin, der mit Kumpels weltweit World of Warcraft spielt? Ist ja nur ein Spiel, meinte die Nachbarin, eine überzeugte Pazifistin. Unlängst meldete ihr Sohn sich als Zeitsoldat zum Bund. Gewalt öffentlich anprangern, Heroisierung verweigern, Bilderkonsum hinterfragen. Reicht das aus?

Ich habe einen Traum: Lasst uns in großem Stil weibliche Flüchtlinge aus Kriegsgebieten aufnehmen! Öffnet die Kindergärten für afghanische Mädchen, bietet ihren Müttern Wohnraum und einen Job, schafft Studienplätze für syrische Studentinnen, holt weibliche afrikanische Vertriebene – kurzum: Schafft ein Weltgastrecht für Frauen! Aufenthalt so weit und so lange sie es wollen. Nehmen wir den kriegführenden Parteien die andere Hälfte der Menschheit weg, ihr Ruhekissen und ihre Zukunft.

Angenommen, diejenigen, zu denen Soldaten, Waffenschmuggler, Milizionäre zurückkehren wollen, könnten mit den Füßen abstimmen.

Angenommen, ihre Frauen, ihre Mütter, ihre Töchter wären keine Geiseln des Territoriums mehr. Dann endlich würde Krieg sich nicht mehr lohnen.

Weiterlesen
 
Zur Startseite