Catcalling: Brauchen wir ein Gesetz?
Vor einiger Zeit ging ich am Rhein spazieren, an einer recht einsamen Stelle am Strand mit Uferwald. Dort saßen zwei Jungen, vielleicht 15 Jahre jung. Einer der beiden rief mir hinterher: „Ich fick dich in den Arsch!“ Einfach so. Ich war kurz fassungslos über diese Unverschämtheit. Dann blickte ich verstohlen über meine Schulter, um zu schauen, ob die beiden mir womöglich folgen würden. Das taten sie nicht. Vermutlich wollte der Rufer seinem Kumpel gegenüber einfach ein bisschen angeben. Indem er einer zufällig vorbeikommenden Frau mit Vergewaltigung drohte.
Ich bin der Ansicht, dass Männer, und zwar gerade junge Männer, bei so etwas eine klare Grenze gesetzt bekommen müssen. Menschen, die anderen im Straßenverkehr den Stinkefinger zeigen, erfüllen glasklar den Straftatbestand der Beleidigung und werden regelmäßig zu Geldstrafen verurteilt. Selbst wer anderen einen Vogel zeigt, kann dafür angezeigt werden. Und es ist nicht einzusehen, dass ein Mann, der eine Frau aufs Gröbste zum Sexualobjekt herabstuft, das ungestraft tun kann.
Das kann er bisher aber, wie eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2017 zeigt. Ein Rentner hatte ein elfjähriges Mädchen auf der Straße angesprochen: Er wolle mitkommen und ihr „an die Muschi fassen“. Der BGH befand, das hier weder eine „sexuelle Belästigung“ nach §184i vorliege, weil der Mann das Mädchen ja nicht angefasst hatte. Eine Beleidigung sei es aber auch nicht, denn die „bloße sexuell motivierte oder sexuell anzüglich gemeinte Äußerung“ sei nicht „ehrverletzend“ gewesen. Dazu hätte der Täter „Missachtung“ ausdrücken müssen.
Hallo? Was bitte soll es denn sonst sein, wenn einem alten Mann die Grenzen eines Kindes völlig egal sind bzw. es ihm genau darum geht, diese Grenzen zu verletzen? Genau wie den anderen Männern, die Mädchen und Frauen mit „sexuell anzüglich gemeinten Äußerungen“ belästigen, einschüchtern und bedrohen?
Deshalb begrüße ich, dass Justizministerin Stefanie Hubig eine „Gesetzeslücke“ ausgemacht hat und überprüfen will, ob und wie das sogenannte „Catcalling“ unter Strafe gestellt werden kann.
Nein, natürlich will ich nicht, dass jeder Spruch à la „Na Süße, wie wär’s denn mit uns beiden?“ vor dem Kadi landet. Aber wer auf Instagram in den inzwischen 150 Catcalling-Foren aus über 50 Städten nachliest, was sich Frauen so anhören müssen, sieht: Es geht um Herabsetzung. „Nen 50er für nen Quickie, Mausi?“ – „Geiler Arsch, aber mach mal mehr Sport!“ – „Könntest du mir meinen Schwanz lutschen?“ – „Arsch und Titten, will ich ficken!“ Und so weiter.
Hier also mein Vorschlag: Auch bei der Beleidigung gilt es, zwischen freier Meinungsäußerung und einer Straftat zu unterscheiden. Bei der Beleidigung gibt es eindeutig strafbare Fälle: die sogenannte „Schmähkritik“. Verwendet jemand Begriffe aus der Fäkalsprache wie „Arschloch“, erfüllt das klar den Straftatbestand der Beleidigung. Analog könnte man es beim „Catcalling“ machen: Fallen Begriffe wie „Titten“ oder „Fotze“, ist das in jedem Fall herabsetzend. Punkt.
Geht das Ganze mit einer Drohung einher, ist das strafbar. Ist ein Kind betroffen, ist das strafbar. Und das ist oft der Fall. Eine Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) ergab: Die erste Erfahrung mit „Catcalling“ machen Mädchen im Durchschnitt mit 13, viele aber auch schon mit acht oder neun Jahren.
Das alles steht und fällt selbstredend damit, dass die Taten dann auch tatsächlich verfolgt werden. Da könnte man sich ein Beispiel an den Niederlanden nehmen. In unserem Nachbarland steht „Catcalling“ seit dem 1. Juli 2024 unter Strafe. In Rotterdam sind jetzt in einem Modellversuch ein Jahr lang Ordnungskräfte in zivil unterwegs, um in solchen Fällen einzugreifen. Ein Mann wurde bereits zu einer Geldstrafe von 280 Euro verurteilt.
Stellen wir uns nun also vor, ich hätte den jungen Mann anzeigen können (vorausgesetzt, es hätte einen Zeugen gegeben, was auch bei anderen Delikten Voraussetzung ist) und er wäre zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Dann hätte er verstanden, dass ihm die Gesellschaft eine Grenze setzt, wenn er Frauen sexistisch beleidigt und bedroht. Und der nächsten Frau wäre so ein Spruch hoffentlich erspart geblieben.
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