In der aktuellen EMMA

Vom Tracking zum Stalking

Vertrauen ist gut ... Kontrolle ist besser? Foto: milindri/istock
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Angefangen hat alles mit der Family-App „Find My Kids“, einem Ortungsdienst, mit dem Eltern per Handy beobachten können, wo sich ihre Kinder aufhalten. „Unsere Tochter fährt nach dem Basketball-Training eine einsame Strecke nach Hause, da fanden wir das Tracking sinnvoll“, erzählt Andrea S. Es war praktisch. Sie und ihr Mann konnten auf dem Handy verfolgen, wo die Tochter gerade ist.

Doch schon bald haben Andrea und ihr Mann Martin sich auch gegenseitig getrackt. Irgendwann hatte Martin Fragen. Warum Andrea zweimal die Woche bei ihrer Freundin vorbeifährt. Warum das Einkaufen so lange dauert. Warum sie ständig bei ihren Eltern ist. Andrea: „Vertrauen ist gut, Kon­trolle ist besser, hat er gesagt. Ich habe mich plötzlich überwacht und kontrolliert gefühlt. Mein eigener Mann ist zum Stalker geworden.“ Als sie eines Abends länger bei besagter Freundin ist, steht ­Martin plötzlich vor der Tür und rastet aus.

Kathrin W. dachte anfangs, es wäre ein Einkaufschip, der ins Innenfutter ihrer Handtasche gerutscht sei. Aber das Apple-Zeichen auf dem Chip machte sie stutzig. Der Chip war ein Airtag, ein winziges Ortungsgerät, das Apple 2021 auf den Markt brachte. Der Chip ist ungefähr so groß wie ein Zwei-Euro-Stück, und kann auf Oberflächen problemlos angebracht werden. Am Auspuff des Autos, im Innenfutter von Jacken, als Schlüssel­anhänger. Eltern befestigen einen Airtag oft im Schulranzen ihres Kindes. Es gibt sogar Schuh­sohlen für Kinderschuhe, die eine Einlassung für den Chip haben. Er funktioniert als einfacher Bluetooth-Sender, der von Apple-Geräten erkannt wird. 

Kathrin war geschockt und wusste sofort, wer ihn in ihrer Handtasche versteckt haben muss. Ihr Ex-Freund. Über zwei Monate hat er sie heimlich ausspioniert. Nun wusste sie auch, warum er ihr so oft „zufällig“ über den Weg gelaufen ist.

Tracking-Apps und Ortungsdienste, wie sie früher nur von Privatdetektiven benutzt wurden, sind heute leicht zu handhaben. Noch nie war es so einfach, in die Lebenswelt von Menschen einzudringen und sie rund um die Uhr zu verfolgen, zu belästigen oder gar zu bedrohen. Für Frauen in der Trennungsphase kann das auch tödlich enden.

Maren H. arbeitet in einem Frauenhaus in Berlin. Seit Handy-Ortung so einfach ist, ist es für Männer ein Leichtes, ihre Frau auch im Frauenhaus aufzuspüren. „Viele der Frauen wissen gar nicht, dass sie überwacht werden“, erzählt Maren. Besonders wenn Frauen aus Familienclans fliehen, sei es nur eine Frage der Zeit, bis ihr Peiniger vor der Tür stehe. Es ist nahezu unmöglich, keine digitalen Spuren zu hinterlassen. Maren beobachtet auch, was digitales Stalking mit den Frauen macht. „Sie denken, er ist immer da. Sie kommen von dem Gedanken daran nicht los. Auch bei uns im Frauenhaus kommen sie nicht zur Ruhe.“ 

Über 17.000 Mädchen und Frauen sind laut Bundeskriminalamt 2023 Opfer von digitaler Gewalt geworden, darunter auch Cyberstalking - 25 Prozent mehr als 2022. Die Dunkelziffer dürfte mindestens ein Zehnfaches davon betragen. Manche Männer installieren sogar Spionage-Apps, mit denen sie Anrufe mitschneiden oder Nachrichten mitlesen können. Das Spektrum ist groß: Wer Smart-Home-Anwendungen nutzt, weiß via Handy nicht nur, ob die Heizung angestellt ist, sondern auch, ob jemand zuhause ist. Schlösser können per App ver- und entriegelt werden. Das eigene Haus kann zum Gefängnis werden. 

Sandra Cegla hatte von Anfang an einen sehr persönlichen Bezug zum Thema. Sie ist 20, als ihre Tante umgebracht wird – vom eigenen Lebensgefährten. Cegla war 14 Jahre Kriminalkommissarin bei der Berliner Polizei und hatte danach ihre eigene Sicherheitsagentur „SOS-­Stalking“. 2016 wirkte sie als Sachverständige im Bundestag an der Novellierung des Stalking-­Paragrafen des Strafgesetzbuches mit. 

Ceglas erster Rat an Frauen lautet: Prävention! „Frauen müssen sich für ihre digitale Identität verantwortlich fühlen. Keine geteilten Konten, Pins, Accounts, Logins, keine gemeinsamen Passwörter, keine verbundenen Handys und vor allem: kein Tracking!“ Cegla rät sehr davon ab, die eigenen Kinder oder sich als Eheleute gegenseitig zu tracken. „Es fängt oft mit kleinen Dingen an und schon überwacht der eine den anderen. Gerade Männer sind häufig technikbegeistert und beginnen, damit Macht über ihre Frauen auszuüben.“ Auch rät sie Frauen, die Verdacht schöpfen, das eigene Handy auf Spyware zu durchforsten. „Diese Apps sind oft als Spiele oder Systemeinstellung getarnt. Es gilt also, jede einzelne App genau anzuschauen und verdächtige zu deinstallieren.“

Durch ihre Arbeit als Profilerin bei der Polizei ist Cegla tief in die Psyche der Stalking-Täter eingedrungen, in ihre Motive und Handlungsmuster – um ihnen einen Schritt voraus zu sein. „Oft sind es Eifersucht oder Rachegelüste, die Männer durch Stalking ausleben.“ Cegla hat diese Männer ausfindig gemacht und sie mit ihren Straftaten konfrontiert. Denn sie weiß, wie gefährlich Stalking ist. „Wenn wir in Deutschland die Mordrate an Frauen senken wollen, müssen wir das Thema Stalking angehen. Eine britische Studie zeigt, dass 95 Prozent aller Femizide mit Stalking angefangen haben. Da geht jemand auf die Jagd. Aber in unserer Politik geht niemand dieses Thema an!“

Die Verurteilungsrate bei Stalking liegt noch immer unter zehn Prozent. „All die Straftaten gegen Frauen sind in unserer Justiz, unserer Politik und damit auch bei unseren Möglichkeiten der Verbrechensbekämpfung ganz weit unten angesiedelt. Für Diebstahl und Eigentumsdelikte geht man sehr viel schneller in Haft. Selbst bei Mord wird selten die Höchststrafe ausgesprochen, wenn die Opfer Frauen sind“, klagt Cegla. Sie arbeitet mittlerweile als Coachin für „Female Leadership“, für weibliche Führungskräfte, und berät sie auch zu Sicherheitsfragen. 

Gerade weil Polizei und Justiz diesen Verbrechen und ihrer Prävention nicht angemessen nachgehen, müssen Frauen ihren digitalen Schutz auch selbst in die Hand nehmen. Cegla: „Eine geteilte digitale Privatsphäre ist kein Liebesbeweis. Vertrauen ist gut, die eigene Kontrolle darüber ist besser.“   

Übrigens: In München gibt es einen Frisör, der neben Haarschnitten auch die Verwahrung von Handys für zwei, drei Stunden anbietet. Er ist gut besucht. Und die Ehemänner seiner Kundinnen sind beruhigt: Meine Frau ist beim Frisör! 

 

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