„Ein wahrer Kuhhandel!“

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Für misshandelte Ehefrauen allerdings ist die Verlängerung fatal, denn: „Schon heute bleiben viele Frauen aus Angst vor einer Abschiebung in einer ungewollten und gewalttätigen Ehe“, erklärt Christa Stolle von der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes. Dass die Verbesserung für die Betroffenen von Zwangsverheiratung einher geht mit einer Verschlechterung für Opfer Häuslicher Gewalt, ist für sie „ein wahrer Kuhhandel“.

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Es war an einem Freitag nachmittag, als Myria Böhmecke den Anruf einer verzweifelten Mutter bekam: Die Schulfreundin ihrer Tochter solle von ihren Eltern in die Türkei geflogen und dort zwangsverheiratet werden, erklärte sie. Es sei Eile geboten. Beim Jugendamt erreichte Terre des Femmes-Mitarbeiterin Böhmecke jetzt niemanden mehr, also rief sie die Polizei an und bat sie, das Mädchen aus der Wohnung zu holen. Der Polizeibeamte am anderen Ende der Leitung weigerte sich. Er habe dafür „keine Rechtsgrundlage“.

Das stimmte nicht, denn Zwangsverheiratung gilt seit Februar 2005 als „besonders schwerer Fall“ von Nötigung. Zu finden in § 240 des Strafgesetzbuches unter „Nötigung“, Absatz 4. Myria Böhmecke faxte den Passus ins Polizeipräsidium, worauf der Beamte sich schließlich in Bewegung setzte.

Ähnliche Erfahrungen macht die Organisation auch mit den MitarbeiterInnen von Jugendämtern. Von einem eigenständigen Straftatbestand erhofft sich Böhmecke deshalb „eine andere Signalwirkung, so dass Polizei und Jugendämter wissen, auf welcher rechtlichen Grundlage sie agieren können“.

Seit Jahren hatte Terre des Femmes das Gesetz bereits gefordert, seit 2005 ging es seinen langen Weg durch die deutschen Gesetzgebungs-Institutionen, der im übrigen noch nicht zu Ende ist. Nach der Verabschiedung durch das Kabinett muss es nun noch durch Bundestag und Bundesrat.

Ein weiterer Teil des Gesetzentwurfs ist mindestens ebenso wichtig wie die Schaffung eines eigenen Straftatbestandes: Mädchen und Frauen, die zwecks Zwangsverheiratung ins Ausland gebracht wurden, sollen künftig zehn Jahre lang die Möglichkeit zur Rückkehr nach Deutschland haben – statt bisher einem halben. Gelang es einem in die Türkei verschleppten Mädchen also zum Beispiel, acht Monate nach der Hochzeit aus der Ehe zu flüchten, hatte es kein Rückkehrrecht mehr. Das soll sich nun ändern.

Ändern soll sich auch etwas für ausländische Frauen und Männer, die ihrem Ehepartner oder ihrer Ehepartnerin nach Deutschland folgen. Sie sollen künftig ein eigenständiges Aufenthaltsrecht erst nach drei Jahren erhalten – statt bisher zwei. Zur beabsichtigten Verhinderung oder Erschwerung von Scheinehen mag diese Verlängerung geeignet sein – für misshandelte Ehefrauen bedeutet sie im Zweifel eine einjährige Verlängerung ihres Martyriums. Aus Angst vor einer Abschiebung – oft zu einer Familie, die sie nun wegen der „Schande“ der Trennung ablehnt – bleiben viele bei ihrem Peiniger.

Dies war ein entscheidender Grund dafür, dass Rot-Grün – mit Unterstützung der CDU-Frauen - im Jahr 2001 die Frist für das eigenständige Aufenthaltsrecht von vormals vier auf dann zwei Jahre verkürzt hatte. Jetzt will Schwarz-Gelb diesen Fortschritt für Frauen wieder zurücknehmen. Zwar enthält das Gesetz eine Härtefall-Klausel, laut der Frauen bei nachgewiesener Misshandlung bleiben dürfen. Aber genau dieser Nachweis ist das Problem: „Die Frauen müssen zum Beweis ärztliche Atteste vorweisen und Zeugen der Misshandlung benennen. Aber das ist gerade für Frauen, die ins Haus verbannt sind, unendlich schwierig“, erklärt Myria Böhmecke. „Deshalb fordern wir ein eigenständiges Aufenthaltsrecht ab dem Zeitpunkt der Eheschließung.“

Zum Schluss noch einmal eine gute Nachricht: Auch dieser Gesetzentwurf muss noch von Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden. Und ob letzterer mit seiner rot-rot-grünen Mehrheit ihn durchwinkt, darf bezweifelt werden.

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