Jouanna: Queere Vermittlerin (Nr. 9)

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„In meiner Freizeit organisiere ich seit fünf Wochen die medizinische Erstversorgung vor dem LaGeSo, dem Landesamt für Gesundheit und Soziales in Berlin Moabit. Moabit ist mein Kiez – und als Anfang August die Nachricht von den bis zu 2.000 Flüchtlingen die Runde machte, die vor dem Amt in der gleißenden Sonne ausharrten, bin ich gleich hin und habe sofort gesehen: Es mangelt an medizinischer Versorgung.

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Die Frauen schweigen - oder kommen gar nicht erst hier an

Die Menschen kommen in einem desolaten Zustand in Deutschland an, besonders Frauen und Kinder sind völlig geschwächt. Also habe ich einen Kiez-Apotheker gefragt, ob er rezeptfreie Medikamente spendet. Die ersten Tage waren makaber: Wir haben die Schmerzmittel, Vitamine und auch Desinfektionsmittel sortiert, in einen Einkaufswagen und Wannen gepackt und sind damit über das Feld gegangen, auf dem über 2.000 Leute auf ihre Erstanmeldung warten. Das war kaum zu bewältigen!

In der zweiten Woche bin ich dann ganz offiziell als Mitarbeiterin des Lesben- und Schwulenverbands Berlin-Brandenburg auf Einrichtungen wie die Berliner AIDS-Hilfe zugegangen und habe weitere Spenden gesammelt, um mehr Medikamente zu besorgen. Zu dem Zeitpunkt hatten uns auch schon Ärzte und MedizinstudentInnen ihre Hilfe angeboten. Und so haben wir die Sache schrittweise professionalisiert.

Ich bin leider sehr ernüchtert über die Zusammenarbeit mit den Behörden. Nach drei Wochen wollten sie uns ganz wegschicken und haben behauptet, die Berliner Ärztekammer würde die Sache übernehmen. Das war aber nicht so. Wir haben dann verhandelt und durften bleiben. Bis jetzt war ich die ehrenamtliche Koordinatorin, alles lief über mich. Die Organisation der Helferinnen und Helfer und auch die Registrierung der Medikamente, die bei uns ankommen. Seit Freitag gibt es eine hauptamtliche Koordination über die Caritas.

Schon bei der Anmeldung sollte jemand mit geschultem Blick dabei sein

Natürlich kann nicht jede und jeder seine abgelaufenen Kopfschmerztabletten vorbei bringen. Und oft machen gut gemeinte Aktionen die Sache erst richtig kompliziert. Das Feld vor dem LaGeSo ist kein Ort, wo sich Hobbypsychologen mal in Traumatherapie austoben können.

Klar, wir sehen ja selbst, dass die Flüchtlinge oft mehr benötigen als medizinische Erstversorgung. Frauen brauchen eine Gynäkologin, Diabetiker brauchen einen Facharzt und Insulin, Menschen mit psychischen Erkrankungen brauchen TherapeutInnen. Und Lesben und Schwule brauchen nochmal einen besonderen Schutz und zusätzliche Unterstützung.

Selbstverständlich kommen die Menschen hier nicht an und outen sich. Ich versuche also, sie vor dem LaGeSo anzusprechen, wenn ich so eine Ahnung habe, erzähle ihnen, was ich tue und gebe ihnen meine Visitenkarte. Diese Menschen flüchten nicht selten wegen der Diskriminierung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung - und landen hier schon wieder in Unterkünften, wo die Homophobie groß ist. Auf so engem Raum können die Männer - es sind fast ausschließlich schwule Männer, die ankommen – das auf Dauer nicht verbergen und werden als ‚Schwuchteln’ bedroht und zusammengeschlagen. Solche Fälle gab es in Unterkünften in ganz Deutschland.

Ich habe in den vergangenen Wochen bisher nur zwei lesbische Frauen getroffen und gerade eine weitere E-Mail von zweien aus Mazedonien erhalten, die um Hilfe bitten. Ansonsten schweigen die Frauen – oder sie kommen gar nicht erst an.

Sicher, ich kann verstehen, dass der Fokus gerade nicht auf homosexuellen Flüchtlingen liegt – aber es muss einfach klar sein, dass Menschen ankommen, die schutzbedürftiger sind als andere und nicht in die Massenunterkünfte gehören. Das gilt genauso für Frauen und Kinder, die Gewalt erfahren haben auf der Flucht.

Ich fände es deshalb gut, wenn die Behörden schon bei der Anmeldung jemanden dazusetzen würden, der einen geschulten Blick hat und diese Leute rauszieht. Damit ihre Registrierung beschleunigt wird und sie in separate Unterkünfte gebracht werden können, die für solche Fälle freigehalten werden.

‚Miles’, das ist das LSVD-Zentrum für Migranten, Lesben und Schwule, hat deshalb eine Kooperation mit der Aktion ‚Flüchtlinge Willkommen’ gestartet. Freiwillige HelferInnen, die sich dort registrieren, können angeben, wenn sie homo- oder transsexuelle Flüchtlinge aufnehmen möchten und werden dann an uns vermittelt.

Ich war selbst das kleine Mädchen in dem Flüchtlingsheim

Vor kurzem hat sich ein Mann bei uns gemeldet, dem ein älterer Flüchtling zugewiesen wurde, weil er vor der Obdachlosigkeit steht. Er hat sich beschwert, weil er einen jungen Syrer wollte ... An den vermitteln wir natürlich niemanden mehr! Wir begleiten die Vermittlung professionell und prüfen erst mal, ob das Zusammenleben funktioniert. Und wir planen die Fortsetzung unserer Sprach- und Integrationskurse für queere Flüchtlinge. Dafür sammeln wir gerade Spenden.

Warum tue ich all das? Vielleicht, weil mich die aktuelle Situation an meine eigene Fluchtgeschichte erinnert. Ich war ja selbst das kleine Mädchen, das in einem Flüchtlingsheim untergebracht war und nicht wusste, wie es weitergeht. Meine Mutter ist mit mir und meinem Bruder Ende der 1980er Jahre vor dem Bürgerkrieg im Libanon nach Deutschland geflohen, meine Familie kommt eigentlich aus Palästina. Erst Jahre später kamen mein Vater und meine anderen Geschwister nach. Wir hatten Glück – aber sie haben fürchterliche Dinge auf der Flucht erlebt. Natürlich prägt das. Obwohl ich das alles jahrelang verdrängt hatte.“

Am 1. Oktober erhält Jouanna Hassoun den Verdienstorden des Landes Berlin.

Du willst mitmachen?
www.fluechtlinge-willkommen.de
berlin.lsvd.de

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Birte: Die Informantin (Nr. 1)

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„Angefangen hat alles im Oktober 2014. Ich hatte mich als Journalistin schon länger über den zündelnden Ton gewundert, in dem eine Lokalzeitung über Flüchtlinge berichtet und habe das Thema deshalb sehr genau verfolgt. Und schließlich wollte ich selbst etwas darüber schreiben, am liebsten sogar mithelfen in einer Flüchtlingsorganisation. Also habe ich mich auf die Suche nach einem Projekt in meiner Umgebung gemacht. Und nichts gefunden. Ich habe mich bei Bekannten und KollegInnen umgehört. Und die hatten alle das gleiche Problem: Sie wollten helfen – wussten aber nicht wie und wo. Also habe ich entschieden: Ich schaffe diese zentrale Informationsstelle. Ich habe einen Wordpress-Blog aufgesetzt und so „Wie kann ich helfen?“ ins Leben gerufen. Um Projekte in ganz Deutschland vorzustellen, die Flüchtlingen helfen. Menschen, die ebenso helfen wollen, finden auf dem Blog die Infos, die sie brauchen. Das ist in dieser Form bisher einmalig.

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Die pauschale Ablehnung des Ostens finde ich beunruhigend

Innerhalb von wenigen Tagen sind die Zugriffzahlen explodiert. Obwohl anfangs gar nicht so viel drauf stand auf meinem Blog. Die ersten Projekte musste ich mir noch mühsam zusammensuchen. Heute gibt es eine Übersichtskarte, auf der ich über 350 verlinkt habe. Initiativen aus ganz Deutschland schreiben mich an. Und ich suche selbst gezielt weiter. Zurzeit in genau den Orten, in denen es Aktionen gegen Flüchtlinge gibt, in Leipzig und in Nauen zum Beispiel. Denn auch in diesen Städten gibt es ja Leute, die in der Flüchtlingshilfe engagiert sind. Die kommen bloß in den Medien nicht vor. Da sehen wir gerade dauernd die Bilder von den brennenden Flüchtlingsheimen und der angeblich schweigenden Masse. Das führt leider auch zu einer pauschalen Ablehnung des Ostens, was ich ähnlich beunruhigend finde. 

Ich selbst bekomme gelegentlich E-Mails von Männern und Frauen, die mir die Sache mit den Flüchtlingen mal ganz grundsätzlich erklären wollen. Oft auch in diesem typischen Pegida-Ton. Ich erhalte auch Hilferufe von Flüchtlingen, die Probleme bei ihren Asylverfahren haben oder abgeschoben werden sollen. Aber da kann ich natürlich nichts tun. Das ist manchmal sehr bedrückend. Dafür bin ich oft beeindruckt von den vielen schönen Ideen, die Menschen haben. Was mir allerdings fehlt, sind mehr Projekte für Frauen. Klar, für viele ist es schwierig, nachzuvollziehen, was diese Frauen auf der Flucht erleben: Sexuelle Gewalt oder die vielfache Belastung. Sie müssen sich ja trotzdem um alles und jeden kümmern: die Kinder, die Männer, die Versorgung der Familie. Für sich selber haben sie keine Zeit. Viele kommen völlig traumatisiert hier an.

Was mir fehlt, sind mehr Projekte für Flüchtlingsfrauen

Ich wünsche mir deshalb mehr Solidarität von Frauen mit den Flüchtlingsfrauen. Damit sie hier frei leben können. Ich kämpfe selbst eigentlich schon seit der Schulzeit für Gleichberechtigung und führe auch noch ein zweites Blog: „Thea“. Darin geht es um feministische Themen: geschlechtergerechte Sprache und die Darstellung von Frauen in den Medien. In meinen Zwanzigern habe ich in Neuseeland am Theater gearbeitet, ich weiß also selbst, wie es sich anfühlt, die Ausländerin zu sein. Heute verdiene ich mir meinen Lebensunterhalt als Texterin, vor allem in den Bereichen Kultur, Tourismus, Natur und Umweltschutz. Gerade nimmt mich die Flüchtlingssache aber ganz schön in Anspruch. Mein Ziel? Alle Projekte in Deutschland erfassen. Dann erst höre ich auf!“

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